Hochspannung

IRAN Die Parlamentswahl im Machtkampf zwischen Konservativen und Reformern

Zum ersten Mal seit der Islamischen Revolution vor 21 Jahren haben es die iranischen Wähler tatsächlich in der Hand, über das politische Schicksal ihres Landes zu entscheiden. Kein Wunder also, dass sich der Konflikt zwischen der Reformfraktion um Präsident Khatami und der auf weitere Islamisierung drängenden ultra-konservativen Fraktion um den Staatspräsidenten Ayatollah Khamene'i im Vorfeld der Parlamentswahl dramatisch zugespitzt hat. Vor dem Urnengang an diesem Freitag müssen sich die Konservativen, deren Kontrolle über die Legislative, die Judikative, den Geheimdienstapparat und die bewaffneten Kräfte des Landes lange Zeit ungefährdet schien, ernsthafte Sorgen um ihre Machtpositionen machen.

Dabei wollte man nach der Niederlage des konservativen Wunschkandidaten Nateq Nuri gegen Mohammed Khatami bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 1997 und einem weiteren Fiasko bei den Kommunalwahlen im Februar vergangenen Jahres, diesmal nichts anbrennen lassen. So fiel eine Reihe prominenter Reformkandidaten bereits der Vorauswahl des konservativen Wächterrates zum Opfer. Der Rat, ein von Khomeini geschaffenes Verfassungsorgan, das weltliche Gesetze auf ihre Übereinstimmung mit dem von ihm vertretenen Islamverständnis prüfen soll, hat einige Übung darin, Kandidaten noch vor der Wahl als "unislamisch" aus dem Rennen zu kippen. Diesmal reichte den Wächtern allein die "Unterstützung der Demokratisierung" als Grund, um erklärte Gegner der Ultra-Konservativen wie beispielsweise den Chef der "Freiheitsbewegung" Ebrahim Yazdi, seines passiven Wahlrechtes zu berauben.

Der publizistisch stark beachtete Machtkampf zwischen Reformern und Konservativen verdeckt jedoch, dass es in der politischen Szenerie Irans weitaus mehr Gruppierungen gibt, die bei den Wahlen um Macht und Einfluss ringen. Die künftige Entwicklung der Islamischen Republik und darin eingeschlossen das Schicksal des Reformkurses werden entscheidend davon abhängen, wie sich die drei großen Gruppierungen - Reformer, Konservative und "Unabhängige" - nach dem Urnengang positionieren.

Das Reformlager

Die Reformer haben sich bei dieser Wahl in der "Front des 2. Chordat" zusammengeschlossen. Am 2. Chordat 1997- nach europäischem Kalender der 23. Mai - wurde Khatami zum Staatspräsidenten gewählt. Genau genommen handelt es sich bei dieser "Front" um eine breite Koalition von Individuen, politischen Parteien und Gruppen, die vor allem das Interesse an politischen Reformen unter Führung Khatamis eint, darüber hinaus aber fundamentale Unterschiede aufweist. Diese betreffen sowohl Tempo, Ausmaß und Inhalt der Reformen, als auch solche zentrale Fragen wie die Haltung zur iranischen Verfassung und zur Struktur des theokratischen Systems.

Einen Dialog über die politischen, sozialen und ökonomischen Differenzen gibt es innerhalb der "Front" ebenso wenig wie eine - über die Person Khatamis hinausgehende - Führungsstruktur. Deshalb ist die Gefahr eines Auseinanderbrechens relativ groß, und zwar unabhängig davon, ob die Reformer bei den Wahlen eine Mehrheit erhalten oder nicht.

Die Zeitung Sobh-e Emruz, eine führende publizistische Kraft innerhalb der Reformbewegung, identifizierte unlängst drei Strömungen innerhalb des Reformlagers: "Traditionelle Linke", "Pragmatiker" und "Neue Linke", wobei der Begriff "links" wenig mit dem europäischen politischen Verständnis dieser Kategorie zu tun hat. Passender wäre "radikal" im Sinne einer konsequenten Ablehnung der gegenwärtigen Herrschaftspraxis. "Traditionalisten", wie beispielsweise der durch Ayatollah Khamene'i als Khomeini-Nachfolger beerbte Ayatollah Montazeri, betonen nicht nur die demokratischen Defizite Irans, sondern halten darüber hinaus auch am sozial-egalitären Anspruch der Islamischen Revolution und der iranischen Verfassung fest.

Für viele "Pragmatiker" hingegen, zu denen unter anderem der Bruder und die Tochter des ehemaligen Parlaments-und Staatschefs Hashemi Rafsandjani - Mohammad Hashemi und Faezeh Rafsandjani - gehören, sind Demokratie und soziale Gerechtigkeit eher abgeleitete Größen. Die Kritik der technokratischen Elite richtet sich vor allem dagegen, dass Iran in seiner gegenwärtigen Verfassung nicht kompatibel mit der "Neuen Weltordnung" und den Anforderungen der Globalisierung ist.

"Neue Linke" hingegen wie der ehemalige Innenminister Abdollah Nouri, dessen Kandidatur aus der Gefängniszelle weltweit für Aufsehen sorgte, haben mehr oder weniger deutlich mit der Theokratie insgesamt gebrochen und lehnen das von Khomeini installierte klerikale Herrschaftsprinzip der Führung des Landes durch einen (obersten) Islamischen Rechtgelehrten (Velayat-e Faghi) konsequent ab.

Die Heterogenität der Khatami-Front zeigte sich besonders deutlich, als die Graue Eminenz der Islamischen Republik, Hashemi Rafsandjani, überraschend seine Kandidatur bekannt gab und sofort Unterstützung aus dem starken Lager der Pragmatiker und Technokraten erhielt, während traditionelle und neue Linke in ihm - zu Recht - ein trojanisches Pferd der Reaktion vermuten.

Rafsanjani - ein denkbarer Moderator

Rafsandjani, ob seines taktischen politischen Geschicks in Iran auch der "Fuchs" genannt, hat offen erklärt, dass er ins Rennen geht, um den politischen "Reform"prozess zu moderieren. Das heißt: Im wesentlichen alles so zu belassen, wie es ist und die eigene Stellung im politischen Machtsystem der Islamischen Republik zu festigen. Rafsandjani gilt als aussichtsreicher Kandidat für den einflussreichen Posten des Parlamentspräsidenten und soll, so das Kalkül der Rechtskonservativen, einem erwarteten Sieg der Khatami-Front die Spitze nehmen und verhindern, dass die Madjlis zu einer Bastion der Reformer wird. In diese Strategie passt auch, dass radikale Reformer wie Abdollah Nouri von der Kandidatur ausgeschlossen wurden, während gemäßigte Reformer passieren konnten, in der Gewissheit, dass sie einem Moderator Rafsandjani keine Steine in den Weg legen werden. Rafsandjanis Kandidatur könnte darüber hinaus auch ein Zeichen sein, dass sich die Rechtskonservativen auf ein Ende islamistischer Kontrollinstanzen einrichten und ihren Einfluss in die staatlichen Institutionen zu verlagern suchen.

Die Front der Reaktion

Freiwillig werden sich die reaktionären Kräfte des islamischen Despotismus nicht ergeben. Ihre Front umfasst ultrakonservative Geistliche, religiöse Gruppierungen mit mafiosem Charakter, reiche Bazarhändler, Großgrundbesitzer und bewaffnete Schlägertrupps, die Angst und Schrecken verbreiten sollen. Die Rechtskonservativen haben prominente Führer an ihrer Spitze, wie den ehemaligen Obersten Richter Yazdi, den Parlamentspräsidenten Nateq Nuri oder den unlängst wegen Mordbeteiligung an kritischen Intellektuellen entlassenen Geheimdienstchef Fallahian. Ihr Ziel ist unverändert und klar: Die Islamisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens in Iran, entgegen allen demokratischen Bestrebungen der vergangenen Jahre. Weil dieses Ziel aber in Iran zunehmend unpopulär geworden ist, verbergen sich viele Konservative hinter der Formel vom Primat der Ökonomie über die Politik . Ob diese Leerformel angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Entwicklung Irans unter der Ägide konservativer Hardliner noch greift, darf hoffnungsvoll bezweifelt werden.

Virtuelle Unabhängige

In letzter Zeit ist - vor allem in den Medien - verstärkt von "unabhängigen" Gruppierungen und Kandidaten die Rede. Dabei handelt es sich streng genommen um vier verschiedene Gruppierungen. Die wenigsten sind wirklich unabhängig in einem Sinne, dass sie sich programmatisch und politisch von den beiden Hauptlagern abgrenzen würden. Dies ist angesichts der Bandbreite innerhalb der jeweiligen Lager auch schwierig und bezieht sich in den wenigen glaubhaften Fällen deshalb meist auf organisatorische Unabhängigkeit.

Unabhängig nennen sich aber auch solche Kandidaten, die wie Rafsandjani das "Label" missbrauchen, um sehr starke eigene Interessen nach der Methode "divide et impera" durchzusetzen oder aber andere, die - ganz im Gegenteil dazu - keinerlei inhaltlich-politische Vorstellungen haben. Doch sie wollen auf jeden Fall ein politisches Mandat erringen. Schließlich gibt es "Unabhängige", die bis gestern noch bekennende Konservative waren und nun angesichts des Umschwungs der öffentlichen Meinung in Iran darauf hoffen, ihre Wahlchancen mit dem neuen Etikett zu erhöhen. Sie werden sich, so der Schwindel Erfolg zeitigt, schon bald nach der Wahl als fünfte Kolonne der Hardliner zu erkennen geben.

Das iranische Volk hat jedoch ein gutes Gedächtnis und konnte zuletzt genügend politische Erfahrungen sammeln. Der Drang nach Demokratisierung ist stark und die Erkenntnis wächst, dass dauerhafte und tiefgreifende Reformen innerhalb des bestehenden islamischen Systems nicht zu erreichen sind. Dafür spricht die breite Front jener, die sich vehement gegen Moderatoren vom Schlage Rafsandjanis zusammengefunden hat. Iran steht unter politischer Hochspannung. Sollten die Konservativen in dieser Situation versuchen, die demokratische Willensbildung zu manipulieren oder gar ganz zu stoppen, kann sich die Spannung sehr schnell gewaltsam entladen.

Unser Autor ist stellvertretender Generalsekretär des Komitees zur Verteidigung der Rechte des Iranischen Volkes (KODIR)

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