Perspektive Ist Ulrich Peltzers neuer Roman „Das bessere Leben“ ein sprachliches Kunstwerk oder ein schwacher Roman über den Kapitalismus? Eine Doppelkritik
Die Argumente des Literaturwissenschaftlers Ekkehard Knörer
Etwa in der Mitte des Romans besucht Jochen Brockmann eine Ausstellung in Mailand. Zu sehen sind Werke der afroamerikanischen Künstlerin Renée Green. Besonders eindringlich beschrieben wird der Werkkomplex Partially Buried, der unterschiedliche Schichten der amerikanischen Geschichte am Beispiel der Stadt Kent in Ohio freilegt: Hier wurden 1970 vier Menschen bei einer Antikriegsdemonstration von Polizisten erschossen; hier entstand Robert Smithsons erstes Land-Art-Projekt; außerdem schrieb James Michener einen Roman über das Geschehen bei der Demonstration und darum ist auch sein Werk Teil der Installation. Die Arbeiten von Green sind stets extensiv recherchiert, so auch diese
extensiv recherchiert, so auch diese. Sie geben dem Betrachter/Besucher in Text, Foto, Video, Installation die Herstellung einer Ordnung, die Deutung des Materials in starkem Maße selbst auf.Es ist natürlich kein Zufall, dass Peltzer die Ausstellung dieser Künstlerin so prominent platziert hat. Ähnlich demonstrativ zitiert, nein, beschreibt, zerlegt, analysiert er noch ein weiteres, auf ähnlich komplexe Weise Historie bearbeitendes Werk, nämlich Marco Bellocchios Rote-Brigaden-Film Buongiorno, notte. Von beiden Werken aus laufen Fäden in viele Teile dieses Romans, sie haben Beziehungen zu den Figuren und den Motiven, solche des Inhalts und solche der Form. „The future will be what the people struggle to make it“lautet ein Schriftzug in der Geschichtsinstallation von Renée Green. Peltzers Roman seinerseits ist eine Meditation nicht über die Zukunft, sondern über eine Vergangenheit, in der man über die Zukunft so dachte, in der man „the people“ als Akteur und als Subjekt dieses Satzes betonte und auch den kollektiven Kampf, der auf die Überwindung von Widerständen nicht hofft, sondern setzt. Und es ist ein Roman über die Gegenwart, in der kaum einer über ein künftiges besseres Leben so intensiv noch nachdenkt.Es ist darum eine zutiefst melancholische Meditation. Die falsche Zukunft, nicht die, um die die Jugend einst kämpfte, hat in unserer Gegenwart enorme Geländegewinne gemacht. Jochen Brockmann und Sylvester Lee Fleming, die beiden Protagonisten des Buchs, sind Männer, die die Jugend hinter sich haben. Bei Fleming gibt es einen direkten biografischen Bezug zu den Toten von Kent (er war vor Ort, er war in eine der Toten verliebt); in der Gegenwart ist er ein Versicherungs-Wheeler und -Dealer mit sehr schmutzigen Händen, und je weiter der Roman fortschreitet, desto stärker wird er mit satanischen Motiven assoziiert. Brockmann hat als Mann der Wirtschaft reüssiert, aber mit seinem lukrativen Job bei einer italienischen Maschinenbaufirma geht es zu Ende: Indonesien ist wohl sein Schicksal. In Amsterdam immerhin wartet die Liebe, als nur leider radikal privatisiertes Zukunftsversprechen.Tausend Teile tiefEs ist freilich sehr ungenau, Fleming und Brockmann die Protagonisten zu nennen. Eher sind sie etwas wie die zentralen Bewusstseinsinstanzen, durch die Peltzer einen ungeheuren Strom der Erinnerungen, Assoziationen, quasiphilosophischen Überlegungen, Beobachtungen, aber auch Alltäglichkeiten und Banalitäten aller Art schleust. Eine Welt wird in Ausschnitten präsentiert, diese Ausschnitte aber sind überbordend, in summa erschlagend, randvoll mit Themen und Thesen, aber deshalb ist Das bessere Leben noch lange kein Themen- und Thesenroman. Kein Buch über die gegenwärtige Ökonomie (siehe dagegen Text rechts), obwohl der Brockmannstrang von den verzweifelten Versuchen, doch noch an Geld und Kredit zu gelangen, bestimmt ist. Kein Buch über die Kunst und das Kino, obwohl beide als gültige Versuche zur Vergangenheits- und Gegenwartserfassung in Form und Stoff des Romans eingewirkt sind. Auch kein Buch über Politik, überhaupt kein Buch „über“ etwas, sondern die Anstrengung einer Prosa, die in ihrer eigenen Verfasstheit Politiken der Erinnerung und des Alltags wahrnehmungs- und sprachflusstechnisch so ineinander verklammert, dass die Trennung der Sphären kaum möglich scheint.Erst recht natürlich ist das kein Buch des psychologischen Realismus. Die Subjekte und Figureninstanzen, von denen das ausströmt, bleiben in den Umrissen vage, fluide, der Wahrnehmungspointillismus ist paradoxerweise zu genau, um klare Umrisse zu erzeugen – es gibt neben den beiden Männern im Übrigen noch eine Reihe auch weiblicher Assistenzfiguren aus vergangenen und neueren Zeiten, einmal zurück bis ins Moskau der 30er Jahre, aus denen es aber in derselben Weise in hinreißend rhythmischer Sprache sprudelt und fließt.Die Lektüre versetzt den Leser dabei in eine eigentümliche Lage. Den Fluss der Sprach- und Gedankenkomposition kann man im Grunde nur ertragen und dann auch genießen, indem man sich von ihm treiben und überwältigen lässt. Zugleich fordert die Misch-, Überblendungs- und Auslassungstechnik ständige Aufmerksamkeit, denn man kann sehr schnell den einen oder anderen Anschluss verpassen.Das bessere Leben ist, kurz gesagt: höchst ambitioniert. Ein knappes Jahrhundert Arbeit an gesellschaftlichen Utopien in Sprache und Gedanken gefasst, dabei gewollt und gekonnt in tausend einander reflektierende Einzelteile zerbrochen. Die Akteure sind dabei oft passiv, liegen nicht selten im Bett; das Ganze ist eine Redekur, die den Leser ständig fordert: zur Deutung, zur Gegenrede. Ob dabei irgendwer therapiert wird und wie die Therapie aussehen könnten, sagt und weiß der Roman nicht. Er schließt vieles auf, die eigene Wirkung jedoch bleibt ihm natürlich verschlossen.Placeholder infobox-1Wie die Banalität ermüdetDie Argumente des Volkswirtes Jens KorteEin ernst zu nehmender deutscher Wirtschaftsroman? Na endlich, dachte man. Kriegt man selten. Doch beim Lesen von Das bessere Leben macht sich bald Enttäuschung breit. Die globalen Finanzmärkte sind keine Welten, die hier wirklich erforscht werden. Es wird nicht geklärt, was Banker, Spekulanten, Vertriebsleute möglicherweise umtreibt. Ulrich Peltzers Einsichten wirken oberflächlich, ja erschreckend simpel, Gier und Ganoven überall. Man fragt sich, ob er sich die Mühe gemacht hat, auch nur mal das Wall Street Journal in die Hand zu nehmen.Die Wirtschaft ist jedenfalls der düstere Hintergrund, vor dem sich der Protagonist vom Niederrhein abheben soll. Genauer beschreibt der Autor ausgerechnet solche Szenen, die keinen Insiderblick brauchen: „Als die Espressos serviert wurden, ein Aschenbecher dazu, zwei Kassenbons daruntergeklemmt, riss Brockmann forsch das Zuckertütchen auf und kippte den ganzen Inhalt in seine Tasse. Langsam versank der kleine Kegel aus Kristallkörnchen in dem cremigen Überzug, kurz rühren, nippen.“ Wer dagegen wissen will, welche krummen Geschäfte etwa Abzocker aus Wien genau betreiben, bleibt ahnungslos.Ärgerlich auch die blinden Flecken der Hauptfigur, Jochen Brockmann, 51-jähriger Vertriebsleiter einer mittelständischen Firma. Einmal kommen wir in den Genuss einer waschecht geschilderten Vorstandssitzung. Leider ist die ein rares Highlight. Brockmann versucht die niederländische ABN Amro zu einem Kredit zu überreden, um ein notleidendes Geschäft zu retten. Der Besuch bei der Großbank in Amsterdam ist ein wichtiger Wendepunkt. Aber warum dürfen wir nicht dabei sein? Warum bleiben die Banker gesichtslose Typen, während man am Alltag von Randfiguren ermüdend lange teilhaben darf?Brockmanns größtes Problem ist sein bevorstehender Rausschmiss. Doch für viele seiner realen Kollegen im Vertrieb – besonders im Mittelstand – geht es bei ihrem Kampf um Aufträge nicht nur ums persönliche Fortkommen, sondern durchaus um Arbeitsplätze oder um die Familien, für deren Existenz man mitverantwortlich ist. Interessant wäre doch gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie es kommt, dass selbst Menschen mit den besten Absichten ethisch fragwürdige Entscheidungen treffen oder Praktiken mittragen, die ihnen unter anderen Bedingungen verwerflich vorgekommen wären. Oder warum sie mit Partnern paktieren, denen sie sonst nicht einmal die Hand geben würden, zum Beispiel mit Konzernen, die von Sklavenarbeit profitieren.Ulrich Peltzer erspart dem Helden solche Zwiespalte. Jochen Brockmann ist eher ein selbstmitleidiger Typ. Er erträgt seinen Job dank der Liebe für die Kunst, was recht albern klingt, wie Peltzer es beschreibt: „Und dann sammeln, sich etwas zuzulegen, dessen Wert mit alltäglichen, mit materiellen Maßstäben nicht zu erfassen ist, ein Blatt von Pettibon, eine fein linierte Bleistiftskizze von David Hockney.“Gegenüber Fleming jedoch wirkt Brockmann geradezu authentisch. Der US-Amerikaner ist ein wahrer Finanz-James-Bond, immer in geheimem Auftrag unterwegs (auch eine Art Miss Moneypenny gibt es). Fleming schafft Probleme für ausländische Investoren aus dem Weg, höchstvermutlich illegal, alles nebulös. Fleming soll eine große Nummer sein. Dazu will dann nur nicht passen, wie dusselig er sich von den Wiener Anlagebetrügern abzocken lässt.Unbeholfen, aufgesetztDas kosmopolitische Gehabe des Protagonisten und die exotischen Schauplätze können jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier einen deutschen Roman lesen, in dem dann China als fremd und bedrohlich gezeichnet wird. Das liest sich ebenfalls recht unbeholfen, wenn von „Schriftzeichen“, von „seltsamem Essen“ oder gar vom „Chinamann“ die Rede ist. Die Sicht auf Brasilien, das hier stellvertretend für die Schwellenländer stehen soll, klingt herablassend und aufgesetzt, etwa wenn Brockmann durch São Paulo fährt, „hinweg über Viertel, die sich nur Halbwahnsinnige zu betreten trauen ... bis zum Abriss für etwas Neues, einen neuen Knotenpunkt des von überallher in die Stadt hineinströmenden Kapitals (es gibt jetzt sogar eine Mittelschicht), das investiert werden will in Produktionsanlagen, verwaltet in Großraumbüros, konsumiert in den schicken Geschäften.“Aus Brockmanns Perspektive lässt sich der Versuch eines Schwellenlands, mittels Wachstum mehr Menschen Zugang zu einem besseren Leben zu ermöglichen, als chaotisch, brutal und unzulänglich abtun. „Wir“ wissen es ja besser als die armen Landflüchtlinge Brasiliens. Über materiellen Wohlstand heißt es an einer Stelle des Buchs: „Ohne Bedeutung, sinnlos.“Man darf den Autor natürlich nicht mit seinen Figuren gleichsetzen. So oder so hat Peltzer jedoch aufgegriffen, was viele seiner Landsleute vielleicht denken. Dabei lebt Exportvizeweltmeister Deutschland davon, dass Schwellenländer wachsen. Und ja, auch davon, dass es Banker, Investoren und Flemings gibt, die es möglich machen, dass deutsche Fabrikanten dorthin Maschinen und Anlagen exportieren. Die realen Brockmanns müssen sich in dieser Welt – ja, sogar in China mit seinen, huch!, Schriftzeichen und dem seltsamen Essen – zurechtfinden, sich durchwursteln. Wie sie das machen, was dabei auf der Strecke bleibt, wie es sich anfühlt, ein Rädchen im Getriebe der Globalisierung zu sein – das wäre spannender Stoff. Aber Peltzer scheint daran nicht interessiert. Zynischer Ami, gerissene Anlagespekulanten, eiskalte Banker, korrupte Entwicklungsländer – der Roman wiederholt die Klischees vom Raubtierkapitalismus. Gier und Ganoven überall.
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