Ein dunkler Raum, eine weiße Wand. Durch ein Loch in dieser Wand steckt man den linken Arm. Er wird gegriffen, wird bewegt. Nur ab und zu erblickt man die Hände, die Finger, die dies tun. Dann spürt man einen Stift auf der Haut. Kleine Figuren entstehen, eine Zeichnung, die einen Treck von Geflüchteten darstellt. Über Kopfhörer lauscht man der Geschichte des Zeichners: ein Palästinenser, aufgewachsen in einem Flüchtlingslager in Damaskus, geflohen in die Türkei, in Deutschland für kurze Zeit inhaftiert. Und er singt, auf Arabisch, einen Rap. Der übersetzte Text steht auf der weißen Wand. „In den Booten sind alle Gesichter gestresst / Halten den Atem an / Pressen ihre Wunden ab / Sie haben viel Gewehrfeuer gehört / Sie f
e fühlen nichts mehr“, heißt es darin. Ein Stück über die Sehnsucht nach Sicherheit und Freiheit, ein Aufbegehren gegen die Angst.As Far As My Fingertips Take Me hat die zwischen Beirut und London pendelnde Künstlerin Tania El Khoury ihre Performance genannt, bei der jeweils ein einzelner Zuschauer auf den Darsteller Basel Zaraa trifft. Sie dauert kaum länger als zehn Minuten und hinterlässt doch einen starken Eindruck. Auf einem Festival mit dem Titel Displacements im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm wurde das Stück nun zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum gezeigt.Kitschpostkarten und DrahtDie Werkschau, die Inszenierungen aus den vergangenen drei Jahren zusammenfasst, will ein Gegenentwurf zum aktuellen Status quo sein, der Geflüchtete nur noch als Abzuwehrende wahrnimmt. Gezeigt werden Arbeiten aus den Grenzbereichen des Theaters, vom Berliner Performance-Kollektiv Rimini Protokoll, von dem brasilianischen Regisseur Marcio Abreu oder dem japanischen Künstler Akira Takayama, die Gruppe Mobile Albania organisiert Interventionen im Stadtraum. Die zentralen Fragen des Festivals werden schon seit einiger Zeit heftig diskutiert: Welche Rolle können Geflüchtete im Gegenwartstheater spielen? Wie können Projekte auf Augenhöhe entstehen? Wo werden Flüchtlinge zum Material, zur Projektionsfläche verdammt? Wo verläuft die Grenze zwischen Kunst und Sozialarbeit?Die aus Syrien stammende und heute in Paris lebende Künstlerin Bissane Al Charif zeigt im Foyer ihre Videoinstallation Women’s Memories. Das Werk ist sehr sachlich, sehr unaufgeregt – obwohl die syrischen Frauen, die darin zur Wort kommen und ihre Fluchtgeschichten minutiös nacherzählen, von unerhörten Grausamkeiten berichten. Bissane Al Charif hat die Interviews mit den Frauen großteils bereits 2013 und 2014 geführt, ihre Arbeitsweise entspricht viel eher der einer Journalistin als der einer Dramaturgin oder Regisseurin. Aus ihren Recherchen erschafft sie kein Stück, sondern eine Dokumentation.Mit viel Wucht und großer Geste arbeitet hingegen der südafrikanische Regisseur Brett Bailey. Sanctuary hat er seine Inszenierung getauft. Es ist die Weiterentwicklung einer Installation, die der Künstler bereits in Athen, auf Lesbos und im vergangenen Jahr in Hamburg beim Festival Theater der Welt gezeigt hat. Bailey hat dafür eine große Halle am Stadtrand von Frankfurt in ein Labyrinth verwandelt, hat aus viel schwarzem Stoff und Nato-Stacheldraht einen eindrucksvoll-beängstigenden Parcours erschaffen. Einzeln werden die Besucher in dieses Anti-Paradies eingelassen. Auf der ersten Station bekommen sie noch postkartenkitschige Europa-Impressionen – das Brandenburger Tor, das idyllische Vernazza an der ligurischen Küste, österreichische Wiesen – vorgeführt, doch je weiter sie in Baileys Irrgärten vordrängen, umso bedrückender werden die Szenen. Auf weißen Zetteln, mit roter Schnur verbunden, stehen die Namen von Geflüchteten und die typischen Stationen ihrer Wege: Istanbul, die serbische Grenze, Sofia, der „Dschungel“ von Calais. Drei Jahre lang hat der Südafrikaner Bailey auf den Flüchtlingsrouten und in den Camps für seine Installation recherchiert.Auch seine Darsteller sind Geflüchtete oder Aktivisten. Die Figuren aber, die sie repräsentieren, sind nicht sie selbst, sondern fiktiv. Man stößt auf eine Frau, die sich prostituiert, um die Schulden bei den Schleppern zu begleichen, man sieht einen Mann in Abschiebehaft, man erblickt eine griesgrämige Alte mit Strickzeug auf dem Sofa, auf ihrem Fernseher erscheint das Konterfei von Marine Le Pen. Der Theatermacher inszeniert all diese Figuren als Tableaux vivants. Sie bleiben stumm, sie starren die Besucher an, sie wirken ausgestellt wie Zootiere. Es fällt schwer, ihre fordernden Blicke zu erwidern, genauso schwer fällt es, diesen Blicken auszuweichen.Baileys Installation baut darauf, dass man sich in ihr unwohl fühlt, Europa zeichnet der Regisseur als unbarmherzigen Ort. Sanctuary wirkt dabei plakativ, man fühlt sich wie von einer Moralkeule erschlagen, die Inszenierung ist alles andere als subtil. Vielleicht aber, denkt man, ist es ja genau das, was gerade jetzt benötigt wird: ein Theater, das den Ist-Zustand schonungslos nachzeichnet, das angreift, das aus seinem aktivistischen Impetus kein Geheimnis macht.Placeholder infobox-1