Höhere Macht des großen Zwangs

Italien Berlusconi-Nachfolger Monti führt eine Regierung der Techniker, der Europäischen Union und Europäischen Zentralbank. Der parlamentarische Widerstand hält sich in Grenzen

Der Jubel über diesen Rücktritt fiel – von einigen Straßenszenen in Rom abgesehen – verhalten aus. Das hat im wesentlichen zwei Gründe. Zum einen war es nicht „das Volk“, das den Ministerpräsidenten Berlusconi stürzte, sondern eine – derzeit – offensichtlich höhere Macht, bestehend aus den Finanzmärkten, der Europäischen Zentralbank (EZB) und der informellen EU-Doppelspitze in Gestalt von Merkel und Sarkozy. Dem konnte auch der nach eigenem Urteil „beste italienische Premier der vergangenen 150 Jahre“ nichts mehr entgegensetzen. Hatte Berlusconi noch vor kurzem die Krise ganz geleugnet und dann behauptet, wer sie beheben wolle, müsse sich nicht übermäßig beeilen, verschwand er dann doch überraschend schnell und verabschiedete sich per Videobotschaft. Der zweite und wahrscheinlich wichtigere Grund für die nur mäßige Begeisterung von Berlusconis Gegnern liegt in der Ungewissheit, was nach ihm kommt. Fast zwei Jahrzehnte lang war er Fixpunkt der römischen Politik, auch in den Jahren, in denen er nicht regierte. Man war für ihn oder gegen ihn, ignorieren konnte man ihn schlecht.

Nachfolger Mario Monti wird aller Voraussicht nach eine Politik verfolgen, für die der Ex-Premier und sein immer weiter auseinander driftender Rechtsblock zuletzt zu schwach waren. Der neue Mann soll es also richten. Den Spitznamen „Super-Mario“ erhielt er in den Jahren 1995 bis 2004, als er Italien in der EU vertrat, zuerst als Binnenmarkt-, dann als Wettbewerbskommissar. Monti gilt als überzeugter Wirtschaftsliberaler, in ersten Kommentaren zu seiner Amtsübernahme werden ihm immer wieder „Mut und Klugheit“ bescheinigt.

Die Frage ist allerdings, wofür er diese Tugenden einsetzt. Bei ersten öffentlichen Auftritten nach Berlusconis Rücktritt gab er sich moderat: Er habe nie von „Blut und Tränen“ gesprochen, wohl aber von gemeinsamen Opfern. Das Sparprogramm zur Reduzierung der Staatsschulden müsse eine „starke soziale Komponente“ enthalten, die Förderung der Frauen und der Jungen sei ihm besonderes Anliegen. Immerhin einen Bestandteil von Berlusconis „Wachstumsprogramm“ will er zunächst auf Eis legen: den limitierten Kündigungsschutz. Der gilt aber ohnehin nur noch für den schrumpfenden Anteil unbefristet Beschäftigter und zählt damit zu „Privilegien“, die Monti mittelfristig kassieren will.

Allgemeiner Burgfrieden

Der Rest seines Programms ist identisch mit dem, was EU und EZB seit langem von Italien fordern, und was Berlusconi schließlich zugestehen musste: Einstellungs- und Lohnstopp im öffentlichen Dienst, ein auf 67 Jahre für Männer und 65 für Frauen erhöhtes Renteneintrittsalter, weitere Privatisierungen staatlicher Unternehmen.

Gleichwohl haben, abgesehen von der Lega Nord, alle Parlamentsfraktionen einer neuen überparteilichen „Regierung der Techniker“ Beistand zugesagt. Diese soll nach Montis Plan bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2013 amtieren und weitere Sparprogramme durchsetzen. Ob es dazu kommt, ist offen. Nicht nur die Lega, auch große Teile von Berlusconis Volk der Freiheit (PdL) setzen weiter auf vorgezogene Neuwahlen. Ob schon 2012 oder erst 2013? Prognosen sind äußerst schwierig, zwar liegt die oppositionelle Demokratische Partei (PD) derzeit in der Wählergunst klar vorn. Dass sie sich als erste und am entschiedensten hinter Monti gestellt hat, könnte aber zum Bumerang werden – wenn die Folgen seiner Politik erst einmal spürbar sind. Diese Regierung sei eine „der EZB und der Märkte“, wie Il Manifesto kritisch anmerkt. Zu einem ähnlichen Schluss, wenngleich mit anderer Bewertung, kommt auch die liberale La Repubblica, die sich freut, Montis Regierung genieße „das Vertrauen der Märkte, Europas und der Bürger“ – man beachte die Reihenfolge.

Opposition findet nur außerhalb des Parlaments statt und auch das nur verhalten. Die organisierte Linke spielt dabei kaum eine Rolle, während die Gewerkschaften die klare Linie suchen. Hatte die linke CGIL zunächst Neuwahlen favorisiert, verlangt sie jetzt den Dialog mit der Regierung über Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Dazu ist Monti gern bereit im Unterschied zu seinem Vorgänger, für den das nur Zeitverschwendung war. So ändert sich zwar der Stil der Politik, nicht aber ihr Inhalt. Für viele abhängig Beschäftigte könnte es in Zukunft sogar schlimmer kommen als unter Berlusconi.

Jens Renner ist Italien-Kolumnist des Freitag

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