Hollanditis, du wunderbare Krankheit

Die Niederlande in Afghanistan Veteranenkult und Traditionspflege für die Moral der Heimatfront

Diese Truppenmacht am Hindukusch zählt 1.800 Mann, entfaltet sich seit März 2006 größtenteils rings um das Kamp Holland in der Provinz Uruzgan, trägt als Militäreinheit den Namen Poentjak und leidet unter fehlender Reputation an der Heimatfront. Nur wenige ältere Niederländer horchen auf, wenn von Poentjak die Rede ist, die meisten glauben, es handle sich um einen afghanischen Ortsnamen wie Uruzgan oder Kandahar. Poentjak aber liegt nicht in Afghanistan, sondern auf Südwest-Java in Indonesien. So heißen ein Berg und ein traumschöner Pass - so hieß 1947 auch ein Vorposten des 3. Bataillons der Königlichen Niederländischen Brigade Prinzessin Irene, das damals im Krieg gegen die Unabhängigkeitskämpfer des späteren indonesischen Präsidenten Sukarno diesen Pass zu sichern hatte. Dieser Vorposten sei heiß umkämpft gewesen, wird überliefert.

60 Jahre später sichert das 17. Panzerinfanteriebataillon aus dem Garderegiment der Prinzessin Irene wiederum einen Pass fern der Heimat, steht dazu erneut auf vorgeschobenem Posten - und nennt ihn wieder Poentjak.

Ein anderes Fort des gleichen Bataillons in Afghanistan trägt den geschichtslastigen Namen Java. Ihren Kolonialkrieg zwischen 1946 und 1948 gegen "den Extremisten Sukarno" nannten die Niederländer eine "Politische Aktion" (politionele actie) - das klang kaum anders als "Afghanistan-Mission" heute. Auf Kontinuität wird Wert gelegt.

Das Bedürfnis, darauf zu verweisen und das mit Nachdruck, hat manchen niederländischen Politiker ergriffen, auch manche Redaktionsstube. Man vermisst den Wert des Martialischen im Geschichtsbewusstsein der Nation. Man beklagt das Unvermögen der Niederländer, mit Ehrfurcht auf vergangene militärische Glorie zurück zu blicken. Man erinnert daran, dass in der frühen Neuzeit niederländische Kaufleute ihre Interessen bezahlten Heeren anvertrauten, und fragt sich besorgt, wie viele "bei ihrer Mission in Afghanistan gefallene Soldaten" die Öffentlichkeit verkraften wird. Bisher sind es drei und schon regt sich Unbehagen, schwindet das Verständnis für den Willen des christdemokratischen Premiers Balkenende, die eigenen Soldaten keinesfalls aus Afghanistan abzuziehen.

Also wird das Beispiel anderer Nationen zitiert, der Briten etwa: Wie selbstverständlich deren Öffentlichkeit die vielen gefallenen Soldaten hinnehme, wie würdevoll sie begraben und geehrt würden. "Wir müssen dem Krieg wieder einen vollwertigen Platz in unserem Weltbild geben", ruft die führende Tageszeitung NRC Handelsblad auf. In seinem Artikel Die Niederlande brauchen eine Kriegsmoral kritisiert Menno van der Veen den angeblich latenten Pazifismus in seinem Land und eine scheinheilige Moral, die einen Krieg erst dann billige, wenn er als "humanitäre Intervention" verpackt werde.

Um das Martialische im geschichtlichen Bewusstsein der Niederländer zu wecken, lässt die Regierung seit drei Jahren den so genannten "Veteranentag" zum Geburtstag des verstorbenen Prinz Bernhard am 29. Juni offiziell begehen. In diesem Jahr war aus diesem Anlass gar ein nationaler Gedenktag ausgerufen, zu dem landesweit die Nationalflagge gehisst und Veteranen der Armee geehrt wurden, die im Zweiten Weltkrieg, in Indonesien, in Neuguinea, in Korea, im Libanon, in Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak gekämpft haben. Tausende davon defilierten in Den Haag erhobenen Hauptes an Prinz Wilhelm Alexander vorbei.

Es galt der Slogan: "Sprich doch mit einem der Veteranen!" Im Sog des Gedenktages trat diese Spezies gehäuft vor Schulklassen auf, um zu erklären, woran sich die Jugend ein Beispiel nehmen könnte: Am Widerstand gegen die deutschen Besatzer nach 1940 etwa oder am Kampf gegen "Extremisten" in Indonesien, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ein jüngerer Veteran berichtete in Den Haag, wie er Jugoslawien "Luftschläge" erteilt und später dazu beigetragen habe, dass in Afghanistan wieder Frieden einkehre. Alle diese Taten wurden gewürdigt und geehrt, sie gehören zum soldatischen Kontinuum, das im öffentlichen Bewusstsein mehr Wurzeln schlagen soll. Egal, ob man als dienstpflichtiger Soldat 1940 sein Land verteidigt hat oder 1946 in einen Kolonialkrieg zog oder im Sommer 2007 als Berufssoldat sein Geld auf Patrouille in Uruzgan verdient.

Tempora mutantur. "Hollanditis" nannte man in der Bundesrepublik 1981 eine vermeintliche Erkrankung, die angeblich der niederländische Nachbar auf seine NATO-Partner übertrug. Die erfolgte Infektion fand ihren Ausdruck nicht zuletzt in Friedensdemonstrationen der achtziger Jahre gegen die Nachrüstung der NATO, die Europa zum nuklearen Gefechtsfeld zu degradieren drohte. "Hollanditis, du wunderbare Krankheit", schrieb neidisch Heinrich Böll.


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