Der ehemalige Betonbauer steht seit 1995 an der Spitze der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen - Agrar - Umwelt), die mit rund 600.000 Mitgliedern die viertgrößte Gewerkschaft innerhalb des DGB ist. Wiesehügel gehört zu den regelmäßigen Unterstützern des alternativen Wirtschaftsgutachtens der "Memorandum"-Gruppe und ist Mitglied im Aufsichtsrat des Holzmann-Konkurrenten Hochtief AG.
FREITAG: Wie sehen Sie das Ergebnis der Bemühungen, den Konkurs der Philipp Holzmann AG abzuwenden?
KLAUS WIESEHÜGEL: Es ist ein großer Erfolg, dass wir wohl 50.000 Arbeitsplätze gerettet haben, wenn ich alle diejenigen einbeziehe, die in kleinen und mittelständischen Betrieben als direkte Zulieferer oder Subunternehmer für Holzmann gearbeitet haben.
Haben Sie wirklich 50.000 Arbeitsplätze gerettet, oder verschieben Sie nur den Verlust von Arbeitsplätzen, die demnächst bei anderen Bauunternehmen wegfallen werden, und zwar bei denen, die sich in der Vergangenheit nicht der Praktiken befleißigt haben, die Holzmann nachgesagt werden: Angebote zu Dumpingpreisen, Einsatz von nicht-tarifgebundenen Sub- und Sub-Sub-Unternehmen?
Ich will mich nicht daran beteiligen, Holzmann als den schlimmsten der Branche zu bezeichnen. Ich kenne Konkurrenzunternehmen, die sich auch nicht sauber verhalten. Wer jetzt mit Steinen wirft, schmeißt auch sein eigenes Glashaus kaputt. Ich bin mir sicher, dass wir mehr Arbeitsplätze außerhalb von Holzmann gerettet haben als bei Holzmann selber, denn die jetzt geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen werden Arbeitsplätze kosten. Schon vor der Entscheidung über die Rücknahme des Insolvenzantrages war klar, dass es ohnehin mindestens 3.000 Arbeitsplätze bei Holzmann treffen wird. Auch mancher von denen, die letzte Woche noch gejubelt haben, wird jetzt auf einer Kündigungsliste stehen.
Inwieweit gibt es im Baugewerbe noch das Problem von Überkapazitäten, so dass der Arbeitsplatzabbau weiter gehen könnte, der in den vergangenen Jahren schon 300.000 Arbeitsplätze gekostet hat?
Ob in dem Segment der Branche, in dem Holzmann tätig ist, tatsächlich Überkapazitäten bestehen, ist fraglich, denn Holzmann gehört zu den wenigen Gesellschaften für den Bau von Großprojekten.
Wird die von Holzmann, den Banken und der Bundesregierung gefundene Regelung auf Dauer Bestand haben können? Carl von Boehm-Bezing, Vorsitzender des Aufsichtsrates und gleichzeitig Vorstand der Deutschen Bank, hat jetzt angedeutet, Holzmann könnte verkauft werden, womit eine neue Situation hinsichtlich der Tragfähigkeit des Sanierungsplans entstehen würde.
Die Politik des Aufsichtsratsvorsitzenden finde ich abenteuerlich. Vor den Sanierungsbemühungen unter Einbindung der Banken und der Politik hat Herr Boehm-Bezing diese Information nicht bekannt gegeben. Ich kritisiere grundsätzlich diese Informationspolitik sowohl des Aufsichtsratsvorsitzenden als auch des Vorstandes.
Die Einigung bei Holzmann enthält unter anderem eine Regelung, die gegen das Tarifrecht verstößt: Die Beschäftigten sollen zur Sanierung rund 200 Millionen Mark aufbringen und statt der tarifvertraglich festgeschriebenen 39 Stunden je Woche demnächst 43 arbeiten und gleichzeitig auf sechs Prozent ihres Lohnes sowie bestimmte Sozialleistungen verzichten.
Jeder Arbeitnehmer kann jederzeit den Tariflohn einfordern und wird in einem möglichen Arbeitsgerichtsverfahren auch obsiegen. Wir sind nicht bereit, mit der Firma Holzmann einen Firmentarifvertrag abzuschließen, weil uns der Rahmentarifvertrag mit den Arbeitgeberverbänden untersagt, zu schlechteren Bedingungen mit anderen abzuschließen. Das war allen Beteiligten von Beginn bekannt, nicht erst seit dem Donnerstagabend der vergangenen Woche. Daher ist die Rechtsgrundlage, auf der sich die Sanierer hinsichtlich der Personalkostenreduzierung bewegen, nicht besonders tragfähig. Wir haben nie vorgeschlagen, vom Tarifvertrag abzuweichen. Der Vorschlag ist dem Betriebsrat unter starkem Druck abgerungen worden, ohne dass wir als Gewerkschaft daran beteiligt waren. Wir haben den Betriebsrat von Beginn an informiert, dass sich seine Vorschläge auf Regelungen in Tarifverträgen beziehen. Für deren Veränderung hat er weder eine Vollmacht noch sind wir bereit, das mitzutragen.
Also verstoßen die IG-Bau-Mitglieder des Betriebsrates gegen die Satzung ihrer Gewerkschaft?
Nein, das nicht. Es steht im Tarifvertrag, dass keine schlechteren Tarifverträge abgeschlossen werden dürfen. Wir wollen uns zusammen mit dem gesamten Betriebsrat anschauen, was bislang überhaupt vereinbart worden ist. Bislang ist mir nicht bekannt, dass es überhaupt zu einem ordnungsgemäßen Beschluss des Gesamtbetriebsrates gekommen wäre. Es gibt keine Rechtsgrundlage, keine Vereinbarung, es gab keine Verhandlungen, und es gibt keine Unterschrift. Jetzt ist es notwendig zu überlegen, inwieweit der Personalkostenanteil, den der Betriebsrat zugesagt hat, in irgendeiner Form gewährleistet werden kann, ohne dass die Tarifverträge gebrochen werden.
Hat sich also der Betriebsrat mit seinen Vorschlägen verrannt?
Wenn man einen Schwerkranken auf die Intensivstation bringen will, macht man das mit Blaulicht und überfährt dabei auch schon einmal eine rote Ampel. Doch das wird einem erst bewusst, wenn man mit dem Patienten das Krankenhaus erreicht hat, aber die Freude, dass er noch lebt, überwiegt dann.
Wenn Missmanagement bei Aktiengesellschaften vorkommt, werden auch die Vertreter der Belegschaften und der Gewerkschaften in den Aufsichtsräten nach ihrer Verantwortung gefragt.
Nach dem jetzigen Stand haben gerade die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Holzmann hinsichtlich der Überprüfung der vorgelegten Zahlen ein rigoroses Vorgehen gefordert, was die Anteilseigner mit ihrer Mehrheit abgelehnt haben. Ich möchte die bislang erhaltenen Informationen nochmals überprüfen, wofür ich auch gern die Genehmigung hätte, die Aufsichtsratsprotokolle zu sichten. Doch viele Leute, die uns jetzt zu unseren Funktionen in Aufsichtsräten fragen, vergessen, dass die Mitbestimmung uns meistens nicht mehr als Information bietet. Echte Mitwirkung, die Möglichkeit, etwas durchsetzen zu können, hat uns der Gesetzgeber verwehrt. Es gibt immer die doppelte Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden, und die muss auch wohl im Fall Holzmann öfter den Ausschlag gegeben haben.
Das Gespräch führte Friedrich Siekmeier
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