Hops gehst du

Storys Frank Behnke findet in „Natürliche Auslese“ das Tragische im Vermischten. Hitchcock würde ihn mögen
Ausgabe 31/2018
Behnkes Erzählungen sind der perfekte Filmstoff. Kein Wunder, er arbeitet schließlich wie einer der ganz Großen
Behnkes Erzählungen sind der perfekte Filmstoff. Kein Wunder, er arbeitet schließlich wie einer der ganz Großen

Foto: STF/AFP/Getty Images

Von Alfred Hitchcock ist überliefert, dass er – auf der Suche nach Inspiration für seine kinematografischen Angstopern – gern die Zeitungsrubrik „Vermischtes“ durchkämmte. Tatsächlich lassen sich aus den da versammelten tragischen Bagatellen mitunter abendfüllende Einsichten in Abgründe aus Selbstüberschätzung, Überheblichkeit oder schlichter Dummheit zaubern.

Eines der besten Beispiele dieses Genres ist der auf wahren Begebenheiten beruhende burleske Thriller Fargo der Gebrüder Coen. Vom ersten Augenblick an ist da eine schäbige Dummheit mit Händen zu greifen, die dann mit unerbittlicher Konsequenz in eine groteske Katastrophe mündet. Zeitungslektüre heute lässt die Befürchtung zu, dass sich ähnliche Verwerfungen auf die Bühne der Weltpolitik hochgearbeitet haben.

Als der Westberliner DFFB-Student Frank Behnke im Jahre 1984 zusammen mit seinem Kommilitonen Peter Braatz einen Brief nach L. A. schickte, um einen gewissen David Lynch zu fragen, ob dieser für seinen nächsten Film noch Tonpraktikanten brauche, konnten sie nicht ahnen, dass sie bereits ein halbes Jahr später im Flieger sitzen und dann über die ganze Drehzeit und Postproduktion bei dem Angstfilm der 1980er Jahre – Blue Velvet – assistieren würden. Entstanden ist dabei auch noch der denkwürdige Super-8-Dokumentarfilm No Frank in Lumberton, ein sehr frühes Beispiel des Making-of-Films.

Damit beginnt Behnkes Karriere in den subkulturellen Milieus der späten Vorwendezeit des Westens sowie den – Verklärung hin oder her – tatsächlich wilden Neunzigern. Es ist die Zeit, als die Band Mutter mit Frank Behnke an der Gitarre und schwermetallig existenziellem Furor neu definiert, was Lautstärke ist.

Am anderen Ende des Spektrums taucht Behnke als umtriebiger Manager von Klaus Beyer auf, der in einem geradezu übermenschlichen Lebenswerk alle Beatles-Songs auf Deutsch übersetzt und mittels Scheren-Sampling vertont hat. Das alles, damit seine Mutter die Texte seiner Lieblingsband verstehen kann. Als Beyer sich jüngst einiger Lennon-Klassiker annahm, durfte ich ihn bei Arbeiterklasse Held an der Gitarre begleiten. Natürlich hatte Behnke uns Begleitmusiker zusammengetrommelt.

Als Frank Behnke 2014 ankündigte, sich in ein Bündner Tal zurückzuziehen, um einen Roman anzufangen, wunderte ich mich nicht wirklich. Warum sollte er als Musiker, Sounddesigner, Impressario, Schnittdozent, Podcastmoderator und Schöpfer einiger wirklich verstörender Kurzfilme nicht auch noch mit Prosa anfangen? Dass dann mit Ich, Medea ein Roman vorlag, der in seiner Stilsicherheit wirkte, als hätte Behnke nie etwas anderes als weibliche innere Monologe geschrieben, erstaunte dann doch.

Letale Deppen

Jetzt der zweite Wurf, und damit wären wir wieder beim „Vermischten“: Behnke hat sich in Natürliche Auslese den Preziösen aus dieser Rubrik angenommen. Über Jahre sammelte er meist letal endende Nachrichten zusammen und erzählte die jeweilige – erfundene – Vorgeschichte dazu. Da er seine Auswahl auf das Jahr 1999 beschränkt, entsteht der Reigen eines Abgesangs auf das 20. Jahrhundert. So spielt die Neuköllner Episode konsequenterweise in der Silvesternacht und gehört, was Abgrund, Unachtsamkeit und Blutzoll angeht, zu den verheerendsten. Die meisten Protagonisten haben den 1. Januar 2000 nicht mehr erlebt und bleiben deshalb gänzlich Figuren einer vordigitalen, nun untergegangenen Epoche.

Aus heutiger Sicht ist erstaunlich, wie lange das nun schon alles her ist. Behnke schafft es aus dem sicheren Abstand von 18 Jahren, einen seltsam metaphorischen Blick in eine Zeit vor metastasierenden Falschmeldungen, normiertem Individualismus und entfesseltem Narzissmus zu werfen. Dafür sind diese Tragödien authentisch individuell und wurden seinerzeit noch nicht von der heute grundsätzlichen Hysterie ausgeschlachtet oder instrumentalisiert. Wahrlich ein Filmstoff. Behnke hat der Filmbranche einen echten Gefallen getan. Roy Andersson würde daraus eines seiner Meisterwerke machen.

Info

Natürliche Auslese: Zehn Erzählungen Frank Behnke Quiqueg Verlag 2017 86 S., 14,50 €

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