Hü-Hott

Der Stand der Aktien Analysten nutzen die kollektive Ahnungslosigkeit

Gespräche unter Männern sind in den letzten Jahren unerträglich geworden. Früher konnte man noch über Politik oder wenigstens das vergangene Fußballwochenende reden. Vorbei. Eines der neuen Themen ist die Mobiltelephonie. Dafür empfiehlt es sich, stets die Grunddaten einiger Handy-Modelle und Nutzungsverträge im Kopf zu haben. Mit Glück lässt sich das Gespräch abbiegen auf Gefahren durch Elektrosmog oder die gute alte Zeit (»Ich persönlich mache mich ja nicht zum Sklaven der permanenten Erreichbarkeit.«). Das andere Thema ist die Börse, genauer: der Verfall der Aktienkurse, noch genauer: die T-Aktie im allgemeinen und im »Portfolio« des Gegenübers im besonderen - hier treffen sich Handy und Börse. Der Kurs der Telekom-Aktien ist nämlich, dies sei für den einen oder anderen Ignoranten nachgeschoben, gefallen. Viele Aktionäre haben seither den Drang, ihre höchst persönlichen Kursstürze mitzuteilen, in einer Mischung aus Stolz und Ärger.

Die aktuelle Jammerei scheint also genauso übertrieben wie die Euphorie des letzten Jahres, in dem sich jeder Aktionär schon bald auf Jet-Set-Parties mit von Bohlen-und-Reibach wähnte. Hintergrund von Freud und Leid sind Ahnungslosigkeit und Desinteresse, die vielen Deutschen schon in der Schulzeit in puncto Business eingeimpft werden - sie machen die Anleger anfällig für die Spielchen der Analysten. Deutsche Börsennovizen haben genau deshalb mit Vorliebe in öffentliche Unternehmen investiert - Post und Telekom -, weil sie dachten, das seien so ungefähr Bundesschatzbriefe, nur mit etwas mehr Gewinn.

Das oberste Gebot ist also immer noch: Die Wirtschaft ist Sache des Staates. So richten sich denn auch, bei Krisen wie der momentanen, die Blicke hoffnungsvoll auf Gerhard Schröder, möge er doch bitte in die Hände spucken und das Bruttosozialprodukt steigern. »Kanzler, tu was!« titelte die Bild-Zeitung vor wenigen Tagen unmissverständlich.

Journalisten, die so fordern, unterliegen dem gleichen Realitätsverlust wie die Börsenanleger, die glauben, mit ein paar Telekom-Aktien könnten sie zu kleinen Rockefellers werden. Die Wirtschaft, guten Morgen allerseits, gehorcht längst ihren eigenen Regeln, nicht mehr denen der Politik. Ein Londoner Finanzmakler, der täglich mit ungarischen Rentenfonds und finnischen Staatsanleihen spekuliert, erklärte unlängst auf die Frage, was er von einem Machtwechsel in diesem oder jenem Land halte, das sei ihm herzlich egal.

Das verwundert nicht, solange die Parteien ihre wirtschaftspolitischen Programme darauf reduzieren, das Ladenschlussgesetz in Frage zu stellen. Die Sprachlosigkeit der politischen Elite gegenüber der weltweit verflochtenen Wirtschaft spiegelt sich in der Kultur: Deutsche Intellektuelle äußern sich nur selten zu den unfeinen Themen, die nach Geld riechen. Lieber schwadroniert man zur NS-Vergangenheit oder den Dilemmata der Genforschung statt sich der Finanz- und Handelsströme zu widmen, der organisierten Verantwortungslosigkeit im Top-Management oder dem Konsumismus. Peter Handkes Schrift Begrüßung des Aufsichtsrats von 1967 ist verjährt. Selbst die vielgelobten Literaten aus der Generation @ schreiben lieber über die erste Liebe als über das erste Aktienpaket, von Georg Oswalds Absteiger-Roman Alles was zählt einmal abgesehen. Richtig kapiert hat den Wirtschaftskreislauf keiner, Cash Flow ist eine unbekannte Größe und Bretton-Woods eine mysteriöse Hoffnung aus vergangenen Zeiten. Unternehmertum gar, oder, wie man es neudeutscher formulieren könnte, Entrepreneurship, ist selbst denjenigen suspekt, die sich sonst so gern auf die Freiheit des Individuums berufen, letztlich auch dem T-Aktionär.

In diesem Vakuum toben sich munter die Analysten aus. Täglich füttern sie mit neuen Nachrichten-Bits, die die Halbwertzeit von Speiseeis in der Sonne haben, die gefräßige Geld-Maschine. Mal geht es hü, mal geht es hott, das alles im Dreiviertelstundentakt. So hat jeder etwas, um sich in Sicherheit zu wiegen, oder seine Angst zu kultivieren. Die Prognosen können, wie´s gerade passt, in Börsenkommentare und Parteipropaganda eingearbeitet werden. Und wer sich für einen Zocker hält, obwohl er noch immer auf seinen halbstaatlichen Aktien sitzt, schnappt von ZDF-Börsenguru Frank Lehmann auf, was Ifo oder Standard Poors verlauten lassen. Auch der Aktionär braucht das Analystengequatsche: Es wird eingeflochten ins Gespräch, wenn der Handy-Vertrag ausdiskutiert ist. »Wie stehen die Aktien?« - »Oh, schlechtes Thema.« Stimmt.

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