Es muss bei der Suche nach einem Reparaturvideo passiert sein. Jedenfalls präsentierte der Youtube-Algorithmus in seiner unergründlichen Weisheit das Angebot eines Videos, das mit dem Bild eines bärtigen Mannes im Holzfällerhemd vor glitzerndem Schnee und dem Titel Two Years Alone in the Wilderness – Escape the City lockte. In diesem 90-minütigen Best-of seiner Videos zeigt der Kanadier Shawn James, wie er, im Wandel der Jahreszeiten und nur in Gesellschaft eines Golden Retrievers, eine Blockhütte mit Außenküche baut. Abgesehen von spärlichen Gitarrenakkorden sind lediglich Holzhacken, Sägen und Schritte im Schnee zu hören. Oft sitzt er lesend vor knisterndem Kaminfeuer, an den Wänden die Felle seiner Jagdbeute.
Das von 24 Millionen Zuschauern angeklickte Video wurde zur Einstiegsdroge in ein Reich glücklicher Hinterwäldler. Eine Welt, die ich anfangs so staunend betrat wie die Kinder im ersten Buch der Chroniken von Narnia, die durch den Kleiderschrank in einen Märchenwald stolpern. Selfmademan Shawn zählt zu den bekanntesten unter den bloggenden Frischluftfanatikern, die sich in Hütten, Yurten oder Campingzelten häuslich im tiefen Wald einrichten – auf Dauer oder als wandernde Teilzeitaussteiger. Die „Bushcraft“-Videoblogger (die Verwendung englischer Terminologie ist in der Szene ein Muss) filmen sich beim Zeltbau, Feuermachen und Löffelschnitzen. Sie erörtern Ausrüstungsdetails und erproben mit sportlichem Ehrgeiz bei ungemütlichstem Wetter Survivaltechniken vergangener Zeiten. Die ganz harten wie Swedwoods, der in Nordschweden herumwandert, und Bertram in Jütland nehmen sich die Wikinger zum Vorbild, schlafen auf Rentierfellen, schmieden eigenhändig ihre Äxte.
Unter den bloggenden Waldschraten finden sich auch viele junge Frauen. Hierzulande am bekanntesten ist Vanessa Blank, die, meist solo, im Chiemgauer Forst campt. Die auf Englisch bloggende Österreicherin Survival Lilly ist in den USA ein Star. Dann gibt es unter anderem noch Advoko Makes, einen Anwalt aus St. Petersburg, der in den Wäldern Kareliens seine Hütte gebaut hat und ein begnadeter Tüftler ist. Der schweigend vor sich hin rödelnde Australier in Primitive Technology testet mit allem, was er im Unterholz findet, steinzeitliche Methoden des Häuslebaus.
Der sympathischste unter ihnen aber bleibt Shawn, der auf seinen Kanälen My Self Reliance und Shawn James regelmäßig Neues aus seinem Selbstversorgerdasein in Ontario postet. So ironisch es auch anmutet, dass dieser Macher, der so stolz auf seine „Off Grid“-Existenz ist, via Internet die ganze Welt in sein Waldparadies hineinlässt, um sich ein Zubrot zu verschaffen: Man muss nicht Thoreaus Walden gelesen haben, um von James’ handfester Verwirklichung seiner Sehnsucht nach Autarkie fasziniert zu sein. Laut denkt er darüber nach, wie er seine Frau dazu bringen kann, mit ihm im Wald zu leben. Ob er das 20 Meter entfernte Klohäuschen in einer Gegend, in der es schon mal minus 30 Grad hat und sich Bär und Wolf gute Nacht sagen, durch eine Komposttoilette in der Hütte ergänzen soll? Wie er beim Anlegen eines Gemüsegartens den europäischen Regenwurm vermisst. Gerade in Corona-Zeiten hat der Anblick dieses gelassenen Problemlösers, der nur seinen Garten bestellen und angeln gehen will, etwas enorm Beruhigendes.
Doch kein Paradies ohne Schlange. Schockierend die Entdeckung, dass sich unter Shawns Türschwelle Klapperschlangen eingenistet haben. Im Herbst folgten noch mehr Hiobsbotschaften. In Advokos Hütte, so abgelegen sie ist, gab’s einen Einbruchsversuch. Vanessa ist nach einem Zeckenbiss mit Borreliose wochenlang außer Gefecht gesetzt. Und Shawn teilt mit, dass in Sichtweite seiner Hütte eine Straße zu einem neu gekauften Grundstück angelegt werden soll. Denn immer mehr Städter flüchten, auch angeregt durchs Shawns idyllische Videos, in den Wald.
Kommentare 19
Diese Videos bedienen, wie übrigens auch dieser Artikel dazu, die gleichen Bedürfnisse.
Die Gesellschaft mag ihre Sonderlinge, Käuze und Aussteiger, weil da jemand das lebt, von dem man irgendwie auch träumt. Wenigstens so ein bisschen, nämlich alles ganz anders zu machen, sich irgendwie von der Welt zurück zu ziehen und so weiter. Da man aber insgeheim weiß, dass man es ohnehin nicht machen wird, mag man es auch ganz gerne, wenn die Aussteiger scheitern. Dann ist man beruhigt, weil man sich – qua Stellvertreter – versichert hat, dass der Weg zum Glück ja doch sehr schwer bis verbaut ist und man selbst doch alles richtig gemacht hat. Man ist beruhigt, man ist amüsiert, die Welt ist in Ordnung. Der konventionelle Gesang.
Wie fad ist denn dieser Kommentar. Da haut die Roschy echt einen raus, so daß ich mir mehrfach auf die Schenkel und ins Gesicht schlagen musste. Und dann sowas!
Wie fad ist denn dieser Kommentar. Da haut die Roschy echt einen raus, so daß ich mir mehrfach auf die Schenkel und ins Gesicht schlagen musste. Und dann sowas!
Naja, was soll ich sagen? Ist halt die Analyse der psychologischen Funktion. Manche finden das spannend, andere nicht, da kann ich mit leben. Eine Kritik an dem Beitrag sollte das nicht sein.
vieles in der literatur bis heute lebt von traumfängern(zur bindung des bösen)
und personalisierten traum-gestaltern.
nicht nur --->"lady chatterley's lover"(wikip.)
teile dieser entwürfe für ein anderes leben können sogar in kommende praxen
integriert werden: wie ein entkrampfteres sex-leben in nach-viktorianischen
zeiten.
vieles bleibt traum.
auch der gehört dazu und kann das reale leben ergänzen,
ohne an seine stelle zu treten.
Die Bildunterschrift ist aber schon sehr zweideutig!
Psychologische Funktion. Äußerst heikles Wissensgebiet. Was da so alles zurecht gereimt ist. Vorsicht! Wieseo Moorleiche als Pseudo?
Apropos Traumfänger. Ich kann mich noch gut an die Lektüre von Bruce Chatwins Traumpfaden erinnern. Mit den Aborigines durch Aussieland. Echt abgefahren.
"Psychologische Funktion. Äußerst heikles Wissensgebiet. Was da so alles zurecht gereimt ist. Vorsicht!"
Wieso, ich komm' aus der Ecke. Da wird halt viel geschrieben, wenn der Tag lang ist, aber über die Jahrzehnte kann man da schon ganz gut unterscheiden, wer etwas davon versteht und wo man lieber erst mal abwarten sollte.
In dem Fall ist das recht gut erforscht, im Kontrast dazu bekommt es aber wenig Aufmerksamkeit, gemeint ist die Psychologie der Massen, sowie der Massenmedien, der Massenunterhaltung und ihr (in aller Regel regressiver) Einfluss auf die Gesellschaft.
"Wieseo Moorleiche als Pseudo?"
Keine Ahnung. Irgendwie muss man sich ja nennen, ich hatte mich in irgendeinem Literatur-Forum schon mal so genannt und der Name hat mir ganz gut gefallen.
Ich hab vor zwei Jahren „Warum schweigen die Lämmer“ vom Rainer Mausfeld gelesen.
Meine Auffassung dazu ist, das sich die Massen in freiheitlich demokratischen Strukturen eigentlich nur selber manipulieren können. Die Parameter aus der sich Manipulationen zusammensetzen, könnten sich aus der Art und Weise ergeben, wie wir unser Dasein bewältigen: Im Hamsterrad den Überblick verlierend, instrumentalisieren wir uns gegenseitig, anstatt in gleichwertigen Teams und im Einklang mit biologischen Zyklen zu Sein. Wir überholen uns sozusagen selbst. Da darf man dann nicht erstaunt sein, das Vieles kaum noch zu kontrollieren ist.
Apropos Moorleiche. Schönes, wenn auch gruseliges Pseudonym.
„Ich hab vor zwei Jahren „Warum schweigen die Lämmer“ vom Rainer Mausfeld gelesen.“
Mein Beileid. Ich kenne das Buch zwar nicht, aber den Vortrag im Internet (+ weitere + plus Gespräche mit KJ), ich fand das fürchterlich, aber es geht ja um Ihre Gedanken.
„Meine Auffassung dazu ist, das sich die Massen in freiheitlich demokratischen Strukturen eigentlich nur selber manipulieren können.“
Ich würde da noch weiter gehen. Die Frage ist, inwieweit wir denn tatsächlich so manipulierbar sind, wie man uns immer wieder einreden will, denn wenn man glaubt, dass dies sehr umfassend der Fall ist, demoralisiert man sich selbst und hat ganz nebenbei einen guten Grund auch nichts daran zu ändern, weil bringt ja nix.
„Im Hamsterrad den Überblick verlierend, instrumentalisieren wir uns gegenseitig, anstatt in gleichwertigen Teams und im Einklang mit biologischen Zyklen zu Sein.“
Ja, „instrumentalisieren“ ist glaube ich der entscheidende Begriff, da sehe ich auch den Knackpunkt. Wir haben diesen Kosten/Nutzen-Blick. Was bringt mir der? Was nutzt mir das? Die ganze Geschichte der Evolution wird über den Nutzen erzählt, es gibt keinen tieferen Sinn, nur biologischen Nutzen und der ist noch darauf reduziert, seine Gene erfolgreich weiter zu geben.
„Wir überholen uns sozusagen selbst. Da darf man dann nicht erstaunt sein, das Vieles kaum noch zu kontrollieren ist.“
Ja, wir wollen in einem abstrakten Sinne immer besser werden, predigen den Fortschritt, aber haben eigentlich gar kein Ziel, an dem man mal angekommen ist. Es soll nur immer weiter gehen. Das kann fürs Insgesamt ja gelten, aber wenn etwas gut ist und man selbst zufrieden, wofür soll man sich dann noch ein Bein ausreißen?
„Apropos Moorleiche. Schönes, wenn auch gruseliges Pseudonym.“
Danke, fand ich auch. Außerdem habe ich eine Beziehung zum Teufelsmoor.
"Die ganze Geschichte der Evolution wird über den Nutzen erzählt, es gibt keinen tieferen Sinn, nur biologischen Nutzen und der ist noch darauf reduziert, seine Gene erfolgreich weiter zu geben."
Evolution kennt keine Funktion. Evolution geschieht ohne Intention.
Mit Sprache suchen wir einen Sinn, den es nicht gibt.
Folgend ein evolutionsbiologisches Gedankenexperiment. Plakativ mit Humor gedacht und formuliert.
Ich möchte gern zurück auf den Baum und nicht denken müssen.
Wichtigste Stationen der Revolution (kleines Wortspiel)
Sprechfähigkeit verlieren
den natürlichen Fluchtreflex vor Feuer besitzen
Quadpedie (krabbeln)
Krabbeln und klettern kann ich (einigermaßen), den Fluchtreflex vor Feuer trainiere ich mir an.
Die Rückentwicklung der Sprechfähigkeit dürfte dagegen sehr komplex werden, denn das aus den kleinen Äffchen, die angefangen haben sich gegen Fressfeinde zu behaupten, indem sie in Gruppen mittels Kommunikation interagierten, der sprechende Homo S. geworden ist, dürfte von sehr vielen unbekannten und vor allem zufälligen Ereignissen abgehangen haben.
„Evolution kennt keine Funktion. Evolution geschieht ohne Intention.
Mit Sprache suchen wir einen Sinn, den es nicht gibt.“
Sagt mir mein Philosophie-Foren Kumpel Pan narrans auch immer. Ist ne ziemlich ausufernde Diskussion, aber der Punkt hat schon was, wenn man ihn konsequent vertritt (was oft nicht gemacht wird).
„Ich möchte gern zurück auf den Baum und nicht denken müssen.“
Zu spät. Plan B ist, dass Denken zu transzendieren. Progression, statt Regression.
„Die Rückentwicklung der Sprechfähigkeit dürfte dagegen sehr komplex werden, denn das aus den kleinen Äffchen, die angefangen haben sich gegen Fressfeinde zu behaupten, indem sie in Gruppen mittels Kommunikation interagierten, der sprechende Homo S. geworden ist, dürfte von sehr vielen unbekannten und vor allem zufälligen Ereignissen abgehangen haben.“
Über die Neuentwicklung der Sprache ist weitaus weniger bekannt, als man meinen sollte, ein insgesamt sehr faszinierendes Thema.
Aber von all dem mal abgesehen, kann ich mir ein Leben in der Natur sehr gut vorstellen, zu so viel romantischer Verklärung reicht es bei mir. Ich hacke auch gerne Holz, ein Freund hat einen Kumpel aus Kanada, der als Hobbys Holz hacken und Bier trinken hat, fände ich als Lebensansatz diskutabel.
Ins Kloster würde ich vielleicht auch gehen können, finde ich irgendwie auch super. Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, darüber nachzudenken, wie man im Alter noch vernünftig leben kann, was ja dann auf mehrere hinaus läuft. Da muss das Segment Natur und Meditation irgendwie dabei sein und es muss eine Gemeinschaft sein, die sich nicht über Geld definiert, sondern in der man die Bereitschaft mitbringt, einander zu unterstützen, ohne dass man zu viele Menschen anzieht, die monothematisch unterwegs sind.
Mal gucken, das Jahr ist ja noch jung, irgendwas schreibe ich bestimmt auch im Freitag dazu.
Für die ganz Harten empfehle ich die Doku-Soap Alaskan Bush People: das Ganze im Großfamilien-Format und dosierungstechnisch zudem in mehreren Staffeln. Aber Vorsicht – die schießen (und sind vielleicht auch für Trump).
"ausufernde Diskussion“ macht keinen Sinn ohne Sinn
„Denken zu transzendieren“ Habe ich gestern drüber nachgedacht: Spiritualität als Flucht aus dem Realen. Gemäß dem Motto Träum weiter, um in der Realität bestehen zu können.
„Neuentwicklung der Sprache“ Ich würde sagen, Reduzierung auf das für das konstruktive Miteinander Wesentliche. Große Teile des Vokabulars, welches die Bibel und andere Texte eingeführt haben, ist in diesem Kontext nicht zu gebrauchen.
„Holz hacken und Bier trinken als Hobby“ Kenne ich, im Rückblick ist das komplett Testosteron gesteuert gewesen.
„Kloster“ habe ich auch schon drüber nachgedacht. Wenn dann aber mit „Om“, idealer Weise auf einem Berg.
„monothematisch“ ohne Spezialisten, wie z.B Homer, Galilei uvam säßen wir nicht vorm,in meinem Fall PC.
„irgendwas schreibe ich bestimmt“ Würde mich interessieren, dein Beitrag.
„„Denken zu transzendieren“ Habe ich gestern drüber nachgedacht: Spiritualität als Flucht aus dem Realen. Gemäß dem Motto Träum weiter, um in der Realität bestehen zu können.“
Also Spiritualität ist für mich ganz und gar keine Flucht aus dem Realen, sondern das exakte Gegenteil, aber auch das würde lange dauern, darum merke ich es hier nur kurz an.
„„Neuentwicklung der Sprache“ Ich würde sagen, Reduzierung auf das für das konstruktive Miteinander Wesentliche.“
Schon klar. Ich wollte nur sagen, dass die Sprachentwicklung noch immer im Dunklen liegt.
„„monothematisch“ ohne Spezialisten, wie z.B Homer, Galilei uvam säßen wir nicht vorm,in meinem Fall PC.“
Ja. Und ich mag Freaks und Sonderlinge, aber ihre Erkenntnisse und Ergebnisse müssen immer wieder runtergebrochen und nutzbar gemacht werden.
„„irgendwas schreibe ich bestimmt“ Würde mich interessieren, dein Beitrag.“
Schön, schau mal rein, wird aber sicher noch 2 oder 3 Monate dauern.
"Würde mich interessieren, dein Beitrag."
Hier ist der Auftakt.
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Man muss die Probleme benennen und das rechtzeitig bzw. frühzeitig. Im Lauf der Zeit finden sich dann Lösungen, wenn man bereit ist Rückschläge und Kompromisse einzugehen. Dieses Projekt sollte auf einer Webseite gemeinschaftlich konzipiert werden.
Ich zum Beispiel bin der Typ Einzelgänger, der nicht gerne redet, aber gerne körperlich arbeitet.
"Man muss die Probleme benennen und das rechtzeitig bzw. frühzeitig. Im Lauf der Zeit finden sich dann Lösungen, wenn man bereit ist Rückschläge und Kompromisse einzugehen. Dieses Projekt sollte auf einer Webseite gemeinschaftlich konzipiert werden."
Ja, das kann ich mir auch gut vorstellen. Wenn sich einige Ideen konkretisiert haben, kann man die Einstellung und das Haus, die Straße, das Minidörfchen, die Siedlung ... im Kopf schon mal entstehen lassen und gleichzeitig schauen, wo man etwas in der Richtung finden oder gründen könnte.
Aber noch muss sich sammeln und mich orientieren.