Humus

Mehrheiten SPD-Linke und die rot-rote Option

Vor der Klausur der SPD-Spitze in dieser Woche wurde ein Brief von sozialdemokratischen Parteilinken bekannt, in dem diese eine Ausweitung der ohnehin gedrängten Tagesordnungen verlangten: Man dürfe nicht nur über Wahlkampfstrategien und Krisenmanagement reden, sondern müsse auch die Fehler der Vergangenheit noch einmal zum Thema machen. Darunter versteht die SPD-Linke verständlicherweise die Ablösung von Kurt Beck vom Parteivorsitz. Der erfreut sich, zurück in Rheinland-Pfalz, alter Beliebtheit und wird sich fragen, was er eigentlich falsch gemacht hat. War ihm die Öffnung gegenüber rot-roten Bündnissen noch vorgeworfen worden, erklärt sein Nachfolger nun selbiges: Rot-Rot auf Landesebene sei möglich, sagt Franz Müntefering, ein sozialdemokratischer Ministerpräsident schließlich besser als keiner.

Dass Frank-Walter Steinmeier daraufhin mit den Worten zitiert wurde, es gebe Länder, in denen die Linkspartei nicht koalitionsfähig sei, ist kein Widerspruch zu Müntefering, sondern bloß eine taktische Variante. Während der Vorsitzende die machtpolitische Flanke besetzt, kümmert sich der SPD-Spitzenkandidat um den Wahlkampf, in dem die Sozialdemokraten das Milieu konservativer Arbeiter und Angestellter nicht vernachlässigen wollen, bei denen die aufgeregten Warnungen vor der bösen "SED-Nachfolgepartei" noch ziehen. Auch kommt Steinmeier damit den Netzwerkern und Seeheimern entgegen, die sich durch Einlassungen angeblicher "Vordenker" herausgefordert sehen könnten, den Streit um rot-rote Kooperationen wieder auf eine Weise zu führen, die der SPD zuletzt kaum dienlich war. Klaus von Dohnanyi etwa, den man auf der Parteiwebsite in der Liste "wichtiger Politiker der SPD" vergeblich sucht, hält "jede Koalition" mit der Linkspartei für einen "gravierenden Fehler". Und Wolfgang Clement, der bereits über eine neue sozialliberale Partei orakelt, warf Müntefering vor, nun "die Grenze überschritten" zu haben.

Von Überschreitungen der Parteigrenzen kann natürlich keine Rede sein. Versuche zum Beispiel, das Crossover-Projekt der neunziger Jahre zwischen SPD-Linken, der PDS und Grünen zu reaktivieren, scheitern (wieder) an einer Erregungsökonomie, die jedes gemeinsame Abendessen zum Geheimtreffen wider die Parteiräson macht und öffentliche Dementi provoziert. Der Sprecher der SPD-Linken Björn Böhning und der Berliner Linkspartei-Staatssekretär Benjamin Hoff haben vor anderthalb Jahren in dieser Zeitung (Freitag 34/07) eine Rückkehr zu gemeinsamen programmatischen Gesprächen für wünschenswert gehalten, aber eingeräumt, dass "Regierungszeiten generell kein guter Humus für Debatten mit parteiübergreifendem Charakter" sind. Für Wahlkampfzeiten gilt das umso mehr.

Auch die SPD-Linke glaubt nun aus Wettbewerbsgründen, die Linkspartei deutlich als "populistisch" markieren zu müssen. Nicht koalitionsfähig, heißt die Devise. Stattdessen wird auf eine Reanimierung von Rot-Grün gesetzt, wobei aus mehrheitsarithmetischen Gründen auch die Liberalen einbezogen werden sollen. SPD-Linke wie Ernst Dieter Rossmann tun die Frage der Koalitionsvarianten gern auch einmal als machtpolitische Zahlenspielerei ab; als einen Streit, der den Sozialdemokraten nicht viel gebracht habe - außer Schadenfreude bei Merkel und Co.

Wenn aber linkssozialdemokratische Forderungen nicht nur Wahlkampfgeklapper sein sollen, mit dem die SPD einen Ausweg aus der Umfrageschwäche zu finden sucht, dann wird die Parteilinke um eine Koalitionsaussage jenseits der Ampel nicht herumkommen: Gesetzlicher Mindestlohn, wirksame Vermögensteuer, echte Bildungsgerechtigkeit und so weiter ließen sich nur mit Grünen und Linkspartei durchsetzen. Warum sagt man das nicht? Die SPD-Linke wird ihren Kurs der Re-Sozialdemokratisierung der Partei nur glaubwürdig vertreten können, wenn sie öffentlich eine machtpolitische Option befürwortet, die mit ihren programmatischen Zielen in Einklang steht.

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