Hundeblick und Knitterlook

Obamas Wahlmanager David Axelrod kommt von der Straße und liebt den Straßenkampf. Der republikanische Herausforderer Mitt Romney bekommt das zu spüren
David Axelrod, stets in Tuchfühlung mit der jederzeit erfrischenden amerikanischen Geschichte
David Axelrod, stets in Tuchfühlung mit der jederzeit erfrischenden amerikanischen Geschichte

Foto: Brendan Hoffman / Getty Images

Hope, Change, die Beschwörung des amerikanischen Traums – all diese Suggestionen waren gestern. Um nach dem historischen Sieg von 2008 ein zweites Mal die Präsidentschaft zu gewinnen, setzen Barack Obamas Wahlkampfmanager vier Jahre später auf Angst, Angriff und Gerüchte.

Anfang Juli traf eine Gruppe demokratischer Kongressabgeordneter im Kapitol zusammen, um sich über Obamas Kampagne gegen Romney ins Bild zu setzen. Sie hatten Grund zur Sorge. Die erste Amtszeit des Präsidenten – und damit ihre eigene Chance, wiedergewählt zu werden – war im Sog der Wirtschaftskrise und des Aufstiegs einer aggressiven Tea Party alles andere als ein Selbstläufer. Untiefen und Mühen des Regierungsalltags nahmen einer versprochenen Neuauflage der idealisierten und verklärten Präsidentschaft John F. Kennedys (JFK )viel von ihrem Glanz.

Die Mission, den Parlamentariern Mut zu machen, kam einem schnauzbärtigen, nachlässig gekleideten Mann zu, den sie alle gut kannten: David Axelrod. Vielleicht hat bisher keiner solchen Anteil an den Erfolgen Obamas wie dieser begnadete Stratege und Meister der Chicagoer Schule für eine Politik des Straßenkampfes. Er heuerte 2004 an, als Obama für den Senat kandidierte, organisierte dessen Triumph bei der Präsidentenwahl 2008 und bleibt im jetzigen Wahlkampf Chefberater des Präsidenten.

Romney singt falsch

Und Axelrod hatte gute Nachrichten bei dem Meeting im Kapitol. Der Termin fand zwar hinter verschlossenen Türen statt, durchgesickert ist allerdings, dass Axelrod beteuert haben soll, das Wahlkampfteam sei entschlossen, in Schlüsselstaaten wie Florida, Virginia und Ohio mehrere Dutzend Millionen Dollar in Negativ-Spots gegen Romney zu investieren, was schon massiv geschehen sei. Eines der jüngsten PR-Videos zeigt den Obama-Herausforderer, wie er das Lied „America the Beautiful“ falsch singt. Und es funktioniert. Die Umfragen deuten auf Vorteile und einen Vorsprung für Obama. Weniger als 100 Tage vor dem Votum zeigt Axelrods resoluter Kurs Wirkung.

Was für ein Unterschied zu 2008! Keine Rede mehr von hope and change und Yes, we can. Stattdessen schüren die Demokraten die Angst vor dem, was Romney mit Amerika anstellen könnte. An die Stelle von Vision und Inspiration sind Schweiß und harte Arbeit getreten. Direkte Kritik wird durch das Aufblasen von Anspielungen und Gerüchten flankiert. Und hinter all dem steckt Axelrod, der in Obamas innerem Kreis nur „Axe“ heißt: die Axt.

1960, im Alter von fünf Jahren, wurde der im bodenständigen Manhattan-Distrikt Stuyvesant Town in einer jüdischen Familie geborene Axelrod Zeuge eines Auftritts des künftigen Präsidenten Kennedy. „Ich war von der Szenerie so ergriffen, dass ich mich fortan für Politik und Nachrichten zu interessieren begann“, erzählt er. Mutter Myril, eine liberale Journalistin, und Vater Joseph, ein Psychologe, bestärkten ihren Sohn in dem, was er wollte. Als Teenager verteilte Axelrod 1968 Wahlkampfzettel für JFKs Bruder Robert. Als er 1972 die Schule verließ, führte sein Weg zum Politikstudium nach Chicago. Nachdem Axelrod einige Jahre als Zeitungsjournalist gearbeitet hatte, unterschrieb er 1984 einen Vertrag als Kommunikationsdirektor für das Büro von Paul Simon, des damaligen demokratischen Senators von Illinois.

Axelrod beherrschte das Politikgeschäft auf Anhieb. Nach Obamas Amtsantritt im Januar 2009 saß er jeden Morgen um sieben Uhr am Schreibtisch im Weißen Haus und war gleichzeitig für seine mitternächtlichen Anrufe berüchtigt. Ihm wird nachgesagt, er könne gleichzeitig essen, sprechen, trinken, telefonieren und Auto fahren. Während seiner Zeit in Chicago half er dem ersten schwarzen Bürgermeister der Stadt bei dessen Wiederwahl und profitierte von der besonderen Gabe, schwarze Politiker bei schwarzen Wählern populär zu machen. Schließlich stellte ihn 1992 ein Parteifreund, beeindruckt von Axelrods Ausstrahlung, während einer Kampagne zur Wählerregistrierung Barack Obama vor. Die beiden blieben in Kontakt, bis es 2004 zu einer ersten Zusammenarbeit kam.

Hundeblick, meist etwas zerknitterte Kleidung, ruhiges Auftreten – doch manchmal wirkt er gehetzt. Es wird darüber spekuliert, der Druck im Weißen Haus habe ihn „ausgebrannt“. Axelrod stellt dies gegenüber Journalisten in der Regel mit folgenden Worten klar: „Ich sehe immer abgekämpft, müde und zerzaust aus. Das war in meinem Leben noch nie anders. Und wird auch nie anders sein.“

Dass er nur schwer aus der Ruhe zu bringen ist, könnte auch an den Tragödien liegen, die er privat zu verkraften hatte. Sein Vater nahm sich 1974 das Leben, seine älteste Tochter leidet an Epilepsie. Diese Schicksalsschläge haben einen stoischen Charakter geformt, der Axelrod schon zugutekam. Während seiner drei Jahre im Weißen Haus gehörte er zu einer Handvoll von Privilegierten, die das Recht hatten, Obama jederzeit sprechen zu können.

Zum Sieg entschlossen

Es war schon 2008 klar, dass die Botschaft von hope and change vieles schuldig bleiben würde. Die Finanzkrise und die darauf folgende Rezession, zwei Kriege und ein festgefahrenes politisches System führten beim Gros der demokratischen Basis schnell zur Ernüchterung. Dann verhalf die Tea Party im Herbst 2010 den Republikanern zum Sieg bei den Zwischenwahlen. Im Januar 2012 verließ Axelrod die Bundeshauptstadt, um nach Chicago und zu der Aufgabe zurückzukehren, die ihn auf die größte Erfüllung hoffen lässt: Er stand wieder im Wahlkampf. Auch diesmal scheint er die richtige Strategie gewählt zu haben. Zum Sieg entschlossen, aggressiv und polarisierend. Warum nicht? Auf moderate Republikaner trifft man augenblicklich eher in Geschichtsbüchern als leibhaftig.

Natürlich weiß Axelrod, dass in der amerikanischen Politik nie etwas wirklich sicher ist. Als ihm bereits 1987 ein Magazin aus Chicago den Titel „Der Mann fürs Grobe“ zuerkannte, dachte er laut über die Risiken und Vorzüge einer Strategie nach, die auf negative Wahlspots setzt. „Derartige Kampagnen sind wie eine Strahlenbehandlung. Man weiß nie, ob man jemanden damit heilt oder umbringt“, sprach er damals über das Rennen um den Einzug in den US-Senat. So hat der Satz heute im Blick auf die Wahl des mächtigsten Mannes der Welt nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Paul Harris ist einer der USA-Korrespondenten von Guardian und Observer

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Übersetzung: Holger Hutt

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