Hundert verweht

Nachruf Zum Tod der Regisseurin und Fotografin Leni Riefenstahl

Leni Riefenstahl war einer der letzten großen Mythen der deutschen Nachkriegsgeschichte. In den vergangenen Jahren, als das umfangreiche Werk der 1902 geborenen Filmemacherin und Fotografin wieder vermehrt Eingang in Museen und Galerien fand, sollten sich an der alten Dame noch einmal die Geister scheiden. Für die einen war sie noch immer eine Revolutionärin des Kinos, für die anderen auf ewig eine Busenfreundin Hitlers, die mit Filmen wie Triumph des Willens oder Tage der Freiheit die Ästhetisierung des Faschismus als Idee betrieben hatte.

An der über 50-jährigen deutschen Riefenstahl-Debatte indes war die gebürtige Berlinerin nie ganz unschuldig. Spätestens mit ihren 1987 erschienen Memoiren hat sie das eigene Leben endgültig zur Legende geformt. Während viele Kritiker bei Erscheinen des zweibändigen Wälzers noch die Hoffnung hatten, die Einsicht des Alters würde die Regisseurin zur Wahrheit bringen, hielt diese bis zuletzt an ihrer eigenwilligen Geschichtswahrnehmung fest.

Riefenstahl der Lüge zu bezichtigen, ist geradezu zu einer Nagelprobe strebsamer Jung-Feuilletonisten und Biographen geworden. In synoptischen Vergleichen hat man ihre Autobiographie immer wieder mit Zeitzeugenberichten und historischen Quellen quergelesen. Allein in den letzten fünf Jahren sind so drei umfangreiche Biographien über die Künstlerin entstanden. Das Ergebnis der Recherchen konnte kaum überraschen: Vieles, was Leni Riefenstahl nach ihrer Entnazifizierung über ihre Zusammenarbeit mit Hitler, Goebbels oder Julius Streicher formuliert hatte, hielt der Wirklichkeit nicht stand.

"Umstritten", so lautete dementsprechend eine ästhetische Kategorie, die die Kulturkritik zur Würdigung ihres hundertsten Geburtstages oder für Besprechungen der zahlreichen Foto-Verkaufsausstellungen für Riefenstahl eingeführt hatte. Unter diesem Stichwort war letztlich alles zu subsumieren: Ihre stark exotistischen Fotografien der sudanesischen Nuba, wie ihre frühen Bergfilme unter der Regie Arnold Fancks, ihre Auftragsarbeiten über den Nürnberger Reichsparteitag und nicht zuletzt ihr später Ruhm in den Vereinigten Staaten, wo sie ab den Siebzigern als Celebrity-Fotografin für Mick Jagger oder Siegfried und Roy von sich reden machte.

"Umstritten" wurde zur verbalen Markierung des deutschen Riefenstahl-Dilemmas. Denn während man in Japan oder in den USA längst die ästhetische Qualität ihrer Arbeit zu würdigen begann, war in Deutschland besonders ihr filmisches Œuvre für immer moralisch unterkellert. Erst mit Hilfe der verbalen Krücke begann man sich auch hierzulande wieder daran zu erinnern, dass Riefenstahls Formsprache und die Ästhetik ihrer Bilder tief verwurzelt war im expressionistischen Film der Weimarer Republik und dass selbst die von der NSDAP einst finanzierten Olympia-Filme die Entwicklung des Kinos weit vorangebracht hatten.

Besonders die linke Kulturkritik jedoch stand der deutschen Riefenstahl-Renaissance bis zu letzt skeptisch gegenüber. Für sie blieb Leni Riefenstahl die negative Symbolfigur der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Nicht erst die Bilder, die anlässlich ihres hundertsten Geburtstages durch beinahe alle Medien gegangen waren, machten sie zu einem Fossil einer unlauteren Art von Geschichtsglättung. Und in der Tat: in den tiefen Falten, dem fahlen Gesicht und den Spuren ihres biblischen Alters schien sich der Geist der fünfziger und sechziger Jahre versteinert zu haben; jene bundesdeutsche Mär, man sei an die Nazis gekommen wie die Jungfrau zum Kind.

Die Kritik an Riefenstahls eigener Legendenbildung mag bis zuletzt berechtigt gewesen sein. Immer jedoch stand sie in der Gefahr, die deutsche Schuld allein auf die letzte Überlebende aus dem inner circle der Reichskanzlei zu verschieben. Dass die deutsche Riefenstahl-Debatte in den letzten Jahren noch einmal an Vehemenz gewonnen hat, mag der fortlaufenden Zeit geschuldet gewesen sein. Wenigstens gegen Ende wollte man ein klares Bekenntnis zur eigenen Verantwortung hören. Für ihre härtesten Kritiker ist dieser Wettlauf nun verloren. Am 8. September ist Leni Riefenstahl im Alter von 101 in ihrem Haus in Pöcking am Starnberger See verstorben. Mit ihrem Tod schließt sich nicht nur ein ästhetischer Kanon, sondern der repräsentative Faschismusdiskurs aus den Tagen der Bonner Republik.

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