Hurra DSGVO!

Die Ratgeberin Unsere Autorin hatte sich von der Datenschutzgrundverordnung einen Ausweg aus der Newsletterhölle erhofft. Ihr Nichtstun wurde aber unterschiedlich interpretiert
Ausgabe 27/2018
Durch Nichtstun gewaltige Effekte erzielen. Wie schön hätte die DSGVO sein können
Durch Nichtstun gewaltige Effekte erzielen. Wie schön hätte die DSGVO sein können

Foto: Christophe Simon/AFP/Getty Images

Ich konnte die neue Datenschutzgrundverordnung kaum erwarten. Mitte Mai hatte ich mich bereits in einen hysterischen DSGVO-Rausch hineingesteigert, dessen Höhepunkt ich am 25. vor meinem Computer ekstatisch feiern wollte. Ich erwartete ein letztes großartiges Aufbäumen der Newsletterfront, mit flehenden, wimmernden Betreffzeilen wie „Bitte, bitte, sagen Sie erneut JA zu uns - Ihr Newsversand.de!“ - „Willst Du meine Empfängerin bleiben? Ich flehe auf Knien - Dein Gummistiefelexperte“ - „Reichen Sie uns ihre zustimmend klickende Hand - Ihr T-Shirt der Woche“.

Jeder Newsletterversender würde dank der DSGVO um meine Einwilligung betteln. Laut Erwägungsgrund Nr. 32 sollte dies „durch eine eindeutige bestätigende Handlung erfolgen […] Stillschweigen, bereits angekreuzte Kästchen oder Untätigkeit der betroffenen Person sollten daher keine Einwilligung darstellen.“ Grandios! Denn für mich als betroffene Person hieß das ja: Durch Nichtstun könnte ich gewaltige Effekte erzielen! Mit würdevollem Stillschweigen und bedauerndem Untätigsein würde ich all die Newsletter verabschieden, für deren aktive Abbestellung ich immer zu faul war. Als allerletzter Newsletter würde einer von der DSGVO persönlich übrig bleiben. Den würde ich liebevoll von Hand zur Ruhe klicken, wenn es denn sein müsste. Danach wäre mein Postfach das Paradies.

Gut, vielleicht würde mir schon bald lustiges Füllmaterial fehlen: Angebote für magnetische Insektenvorhänge, motorbetriebene Stromgeneratoren oder andere persönliche Boost-Features. Um bei Bedarf darauf zurückgreifen zu können, begrub ich alle letzten Newsletter in einem Ordner. Aus diesem schöpfend könnte ich mir dann eine neue feine Newsletterunde wiederaufbauen. Nur die Besten kämen rein. Jene, deren letzte Worte mein Herz erweicht hatten, etwa mein Stromanbieter mit der ängstlichen Frage „Bleiben wir in Kontakt?“ oder ein Verlag mit der schüchternen Hoffnung „Womöglich wollen Sie ja immer noch …?“

Die meisten machten nicht so viel Gewese: Die häufigsten letzten Worte lauteten „DSGVO“ oder „Neue DSGVO“. Da hatte ich mehr erwartet. Aber gut, muss jeder selbst wissen, wie die Nachwelt sich an ihn erinnern soll. Ab mit ihnen in den Ordner der im Frieden ruhenden Newsletter. Danach passierte – wir alle wissen es – nichts. Nach den letzten Worten war vor den letzten Worten. Mein Postfach blieb dieselbe Newsletterhölle wie eh und je.

Erst Mitte Juni fiel mir auf, dass das so nicht stimmte. Ich vermisste von mir hochgeschätzte Mitteilungen über AR(T)-Flashmobs im isländischen Kópavogur (auf isländisch) oder Workshops zu Mensch-Maschine-Liebesbeziehungen in Batumi (Georgien). Wo war das Zeugs geblieben? Ich stieg hinab in meine Newslettergruft und sah, wie unterschiedlich mein würdevolles Schweigen doch verstanden worden war. Einige hatten es als eindeutige Zustimmung zu umfangreichen Änderungen ihrer AGB interpretiert (Widerrufsfrist verpasst. Pech!). Andere hatten mit dringenden 237.000 Zeichen für meine Sicherheit hier, 1.447.000 Zeichen mehr Transparenz nur für mich dort reagiert. Geschätzte Lesezeit: unendlich. Irgendwo in diesem Wust steht sicher: Durch das Lesen dieser Zeilen willigen Sie aktiv in deren Inhalt ein, da das Lesen eine Tätigkeit darstellt, die weder untätig noch stillschweigend (Kopfkino) geschieht. Sollten Sie nicht einwilligen wollen, reichen Sie bitte entsprechende Nachweise ein, dass Sie diese Zeilen nie gelesen haben. Danke!

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