A
Abort In einer gepflegten Konversation gelten menschliche Exkremente gemeinhin als Tabu. Dabei gäbe es da noch viel zu besprechen. Noch immer haben knapp eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sanitären Anlagen (➝ Camping), viele davon in Indien. In Slums oder armen Dörfern bleiben nur Straßenränder, Flüsse oder Felder, um sein Geschäft zu verrichten. Die Folge: Exkremente gelangen ins Grundwasser, wodurch wiederum Krankheiten wie Typhus oder Cholera übertragen werden.
Gegen diese Probleme kämpft die Welttoilettenorganisation seit 2001 mit einem schlichten Konzept: Mehr Klos müssen her, denn sie schaffen nicht nur mehr Hygiene, sondern sind auch ein Menschenrecht. Um das zu erreichen, berät der Gründer Jack Sim alias Mr. Toilet Regierungen, ruft einen jährlichen World Toilet Summit ein und hat dafür gesorgt, dass die UNO 2013 den Welttoilettentag offiziell anerkannt hat. Um endlich das große Tabu zu brechen. Benjamin Knödler
B
Badehäuser Im Mittelalter, lautet die landläufige Meinung, wuschen sich die Menschen kaum. Ein Irrtum: Zwar stimmt es, dass mit dem Niedergang des Römischen Reichs auch die Badekultur aus Europa zunächst verschwand. Als sich aber im 12. Jahrhundert das städtische Bürgertum herausbildete, erlebten Badehäuser eine Blütezeit. Anfangs nur mit Angeboten zur Körperpflege: Kräuterbäder, Blutegel, Schröpfen. Bald überwog die Unterhaltung. Männer und Frauen genossen in bis zu 15 Personen fassenden Wannen Essen, Musik und Alkohol, bis die Kirche (➝ Religion) schließlich Geschlechtertrennung anordnete. Ein richtiges Ende fanden die feuchtfröhlichen Zusammenkünfte aber erst, als Pest und Syphilis das Baden zu gefährlich machten. Ab dem 15. Jahrhundert begann daher das Zeitalter des von Puder und Parfüm übertünchten Müffelns. Sophie Elmenthaler
C
Camping Sommerzeit ist Reisezeit, und der besondere Reiz südländischer Campingplätze liegt auch im Zusammentreffen von Bakterien und Viren aller Herren Länder in den sanitären Anlagen. Die dünne, allgegenwärtige Schicht aus Staub und Sonnencreme bildet dabei einen idealen Nährboden und ist Grundlage der Globalisierung von Keimen – von den Rückständen, die brünftige Teenager im zunehmend milchiger werdenden Poolwasser hinterlassen, ganz zu schweigen. Das Platzpersonal hält derweil mit einer Extradosis Chlor wacker dagegen.
Früher starben Menschen in Zeltlagern häufiger an der Ruhr oder Cholera als an Feindeinwirkung. Fragen Sie nur mal Ihre Großeltern nach den Zuständen in Tillys Heerlager. Zudem besagen Gerüchte, dass die Verhandlungen um den Westfälischen Frieden fast an der Frage gescheitert seien, wer nach 30 Jahren die Endreinigung der Feldlatrinen durchführen musste. Erst das Zeitalter der Aufklärung ermöglichte das gesunde Camping, nachdem Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten postulierte: „Hinterlasse den ➝ Abort stets so, wie du einen Abort vorzufinden gedenkst.“ Uwe Buckesfeld
F
Fische Dürfen Fische für uns arbeiten? Diese Frage beschäftigte vergangenes Jahr das Kölner Verwaltungsgericht. Ein Kosmetiksalon wollte Kangalfische in seinen Service aufnehmen. Die sollten den Kunden die Hornhaut von den Füßen knabbern. Doch die Stadt Köln hatte das Fisch-Spa wegen Tierschutzbedenken (➝ Tiere) verboten. Weiter begründete man, dass es ja auch alternative Pflegemöglichkeiten gebe, zum Beispiel Bürsten. Der Richter, um Ernst bemüht, gab dem Studio Recht: Das Verbot sei ein Eingriff in die Berufsfreiheit (der Studiobetreiber, nicht der Fische), und die sei mit dieser Begründung „nicht so einfach wegzubürsten“. In manchen Bundesländern bleibt die Nutzung weiterhin verboten. Helke Ellersiek
I
Ignaz Semmelweis Er zählt nicht zu allseits bekannten Größen der Geschichte, dabei hätte es der ungarische Arzt verdient. Semmelweis ist ein Urvater der Krankenhaushygiene. In den 1840er Jahren arbeitete er in einer Wiener Geburtsklinik. Damals bekamen viele Mütter (➝ Wissenschaft) das oft tödliche Kindbettfieber. Auffällig war: In dem Trakt, in dem nur Hebammen arbeiteten, infizierten sich deutlich weniger Frauen als dort, wo Ärzte behandelten. Semmelweis fand schließlich die Ursache. Die Ärzte sezierten auch Leichen und übertrugen so Keime. Erst als sie begannen, sich vor der Behandlung zu desinfizieren, erkrankten deutlich weniger Patientinnen. BK
Infektionskrankheiten Es war der Albtraum aller Eltern. Ein Schild an der Kindergartentür: wegen Mumps, Röteln, Windpocken (oder was der Katalog an Kindern vorbehaltenen Infektionskrankheiten sonst noch bereithält), geschlossen. Dann begann das Warten auf die typischen Zeichen, Punkte, Pusteln, Ausschlag. Und wieder lag der Nachwuchs im Bett, litt und kratzte. Heute gibt es gegen die meisten Kinderkrankheiten Impfungen, einen Impfatlas und das Gerücht, Kinderkrankheiten seien eigentlich ausgestorben. Das sind sie nicht, wie der wiederholte Ausbruch von Masern zeigt, der die nächste Runde in der Schlacht zwischen Impfbefürwortern und -gegnern einläutet.
Was mich nicht umbringt, macht mich stärker, sagt der Volksmund: notwendige Prophylaxe versus schwerwiegende Impfschäden? Ein Glaubenskrieg, der hier nicht ausgetragen werden kann. Sicher ist aber, dass übertriebene Hygiene bei Kindern dazu führen kann, dass das Immunsystem sich nicht entwickelt und einschläft. Das kann zu erhöhter Allergieanfälligkeit (➝ Wissenschaft) führen. Das Spiel in Sand und Dreck und der Kontakt mit Keimen können also durchaus gesund sein, auch wenn manche Hubschraubereltern das nicht wahrhaben wollen und sich in aussichtslosen Hygieneschlachten aufreiben. Ulrike Baureithel
M
Museum Es sollte einmal eine Stätte der Volksgesundheit sein, als der Begriff noch nicht korrumpiert war und sich fortschrittliche Mediziner um die in Hinterhöfen aufwachsenden Kinder (➝ Ignaz Semmelweis) sorgten. „Hygiene!“, war ihr Schlachtruf, den auch der Odol-Fabrikant Karl August Lingner aufnahm, der 1912 das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden ins Leben rief. Mit dem „gläsernen Menschen“ schuf das Haus 1930 eine Attraktion, die die spätere Gesamtdurchleuchtung des Menschen vorwegnahm.
Lingners Aufklärungsgedanken pervertierten die Nazis dann allerdings mit der Einrichtung einer Abteilung „Erb- und Rassenpflege“, was das Museum lange Zeit unter Eugenik-Verdacht brachte. Heute beherbergt der imposante Bau am Blüherpark eine sehenswerte Dauerausstellung („Abenteuer Mensch“) und manche der anspruchsvollen Sonderschauen sind spürbar vom Willen geprägt, sich von den dunklen Seiten der Medizingeschichte abzusetzen. uba
R
Religion „Wer in den Tempel eintritt, sei rein!“ Schon im alten Ägypten mussten sich Priester mit Wasserübergüssen (➝ Badehäuser) säubern – so wie es der Sonnengott vor der täglichen Firmamentsfahrt im Himmelsozean vormachte. Nicht nur gehören Religion und Heilen in etlichen Kulturen zusammen, viele Riten basieren auch auf alten Hygienemaßnahmen. Die im Islam vorgeschriebenen Waschungen vor dem Gebet kann man etwa getrost als Infektionsschutz auffassen.
Jesus hingegen sprach nur von der Reinheit der Seele, was erklärt, warum sich manche Heilige aus Keuschheit zeitlebens nicht wuschen. Dafür hält der jüdische Sabbat einiges an Sauberkeitsgeboten bereit, während buddhistische Mönche als Frühsport putzen. Religiöse Vorschriften können aber auch zu hygenischen Problemen führen: Der innige Abschied von den Toten etwa trug maßgeblich zur Verbreitung des Ebola-Erregers in Liberia bei. Im Hinduismus wiederum gilt der Ganges zwar als Ort ritueller Reinigung, fungiert aber auch als letzte Ruhestätte von Gläubigen. Das führt dazu, dass beim Baden einige der vielen nicht vollständig verkohlten Leichen vorbeischwimmen können. Tobias Prüwer
T
Tiere Ferkel! Saustall! Schweinerei! Während manchem das Haustier (➝ Fische) quer übers Gesicht lecken darf, muss das Schwein häufig für verbale Diskreditierungen herhalten. Dabei ist das Naserümpfen hier unangebracht. Aus innerer Abscheu vor Exkrementen trennen Schweine strikt Wohnbereich und Toilette. Eine Schlammpackung – wenn auch nicht Fango – gehört bei ihnen zur rituellen Körperpflege, damit werden Parasiten und Insekten abgewehrt. Zudem kühlt das Bad in der Suhle ab, denn Schweine besitzen im Gegensatz zum Menschen keine Schweißdrüsen. Nina Rathke
W
Wissenschaft Lutscht der Nachwuchs allzu oft am Daumen oder knabbert an den Fingernägeln, bereitet das Eltern meist Sorge, die Entwicklung der Kinder könne dadurch negativ beeinflusst werden. Eine neulich im Fachjournal Pediatrics veröffentlichte Studie hebt aber auch die positive Seite dieser Angewohnheiten hervor: Sie senken die Wahrscheinlichkeit, später an Allergien zu erkranken (➝ Infektionskrankheiten). Eine kürzlich im Fachjournals JAMA Dermatology publizierte Umfrage hatte ein ganz anderes Thema. Sie fand heraus, dass 59 Prozent der US-amerikanischen Frauen sich im Schambereich „aus hygienischen Gründen“ rasieren. Das ist erstaunlich. Denn Schambehaarung, darauf weisen die Autoren ebenfalls hin, dient ja gerade als natürlicher Infektionsschutz. Nils Markwardt
Y
Youtube Der schönste Witz an der bedauerlicherweise untergegangenen Drogeriemarktkette Schlecker bestand zeitlebens darin, dass man ausgerechnet an einem so schmuddeligen Ort (➝ Camping) wie einer Schlecker-Filiale Hygieneartikel kaufen sollte. Das aber scheint vielleicht in der Natur der Sache zu liegen, schließlich lässt sich heute auch in der Schmuddelecke Internet, genauer gesagt: bei Youtube, das meiste Geld eben mit Hygiene- und Beautyvideos verdienen.
Tag für Tag halten dort junge, motivierte Menschen gesponserte Drogerieartikel in die Kamera und berichten von ihren Beauty-Routinen. Aber es gibt kein schmutziges Leben im falschen. Youtube wäre dann, wenn man so will, das Schlecker des Internets, und seine Stars – namentlich etwa Sami Slimani oder Dagi Bee – wären die Schleckerfrauen des 21. Jahrhunderts. Timon Karl Kaleyta
Z
Zombieapokalypse Sogenannte Prepper, Krisenvorsorger, wollen für jeden Fall gewappnet sein. Und das kann paranoide Züge annehmen. In Internetforen kursieren ernsthaft Hygienetipps für das Überleben nach der Zombieapokalypse. Besonders aufpassen sollten Frauen während der Menstruation, damit ihr Blut keine gefräßigen Untoten anlockt. Tampons hingegen werden geschlechtsneutral als Mittel zum Wundstillen empfohlen. Allein sind die Prepper damit nicht. Die US-Seuchenschutzbehörde CDC veröffentlichte einst einen Notfallplan für die Zombieinvasion, um öffentlichkeitswirksam (➝ Youtube) auf Hygienestandards hinzuweisen. Tobias Prüwer
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