I have no choice, I hear your voice

Luja Die bayrische Kreuz-Verordnung ist eine Steilvorlage für Parodie. Eine Münchner Performance führt den Nachweis
Ausgabe 23/2018

Seit dem 1. Juni muss in jedem behördlichen Dienstgebäude Bayerns ein Kreuz hängen. Wie das genau aussehen soll, ist aber nicht festgelegt. Da bleibt einiger Raum für Schabernack. Man könnte zum Beispiel einen gekreuzigten Frosch mit Ei und Bierkrug an die Wand nageln, der Skulptur Martin Kippenbergers von 1990 nachempfunden. Wer es pikanter mag, nimmt das Krucefix-Aktbild der schwedischen Fotografin Elisabeth Ohlson Wallin her, auf dem zwei sinnlich umschlungene Männer das Kruzifix nachbilden. Oder man projiziert die Kreuzigungsszene aus Monty Pythons Life of Brian an die Wand, so wie es letzte Woche das jüngst gegründete „Bündnis für Kreuzvielfalt an Bayerischen Hochschulen“ am Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) getan hat. Am Mittwoch vor Fronleichnam machte es performativ darauf aufmerksam, dass das Kreuz vielfältig konnotiert ist. Das war schon der vorangegangenen Kritik am Kreuzerlass anzumerken gewesen. Da hieß es, Stichwort Grundgesetz, das Kreuz hätte als religiöses Symbol in der Verwaltung eines Bundeslandes nichts zu suchen. Von Seiten der Kirche wurde moniert, Kreuze in Dienstgebäuden seien gleichbedeutend mit „theologischer Entleerung“. Was für die einen die Aufhebung des Säkularismus bedeutet, ist für andere eine Unterwanderung religiösen Sinngehalts. Und da liegt das Kernproblem: Das Kreuz hat eben nicht nur eine, sondern viele Bedeutungen. Diese Einsicht will das Bündnis für Kreuzvielfalt vermitteln.

Ja, ja, gib’s mir, Jesus!

Geärgert hätten sie sich nicht über den Erlass, sagt die Organisatorin Jenny Willner von der LMU. Man habe zunächst nur schrill aufgelacht. Und sich dann überlegt, wie das aussehen könnte, wenn man Markus Söder beim Wort nähme. Die Recherche-Ergebnisse der 300 Mitglieder starken Gruppe können sich sehen lassen.

Dabei ist zum Beispiel das Mütterchen Margit aus Herta Müllers Herztier, das ein Jesus-Kreuz (aus Blechabfall einer Fabrik gefertigt) erst küsst, dann aber aus Ärger mit Kartoffeln bewirft. Oder die Stelle aus Robert Walsers Die Rose, wo der Erzähler Scheu vor der schrecklichen Heiligkeit der Kreuzigung fordert, während er selbst genüsslich in eine saftige Orange beißt. Mit Hintergrundmusik wie Madonnas Like a Prayer und Personal Jesus von Depeche Mode kann man sich noch härtere Sachen reinziehen: William Friedkins Film Der Exorzist oder das kreuzförmige „Jackhammer Jesus“-Sex-Spielzeug, das im Online-Shop Divine Interventions erhältlich ist.

So hat das Bündnis für Kreuzvielfalt nicht gegen das, sondern mit dem Kreuz der bayrischen Regierung den Krieg erklärt. Der Poet und Romanist Daniel Graziadei kommentiert, dies sei kein historischer Einzelfall. Schon im frühen 19. Jahrhundert waren sich religiös ereifernde Tiroler Bauern mit hochgehaltenem Kreuz gegen Maximilian I. ins Feld gezogen, der mit Napoleon Bonaparte verbündet und von der säkularistischen Aufklärung ein bisschen zu angetan war. Heute ist es umgedreht, und statt der Harken und Schaufeln ist die Parodie die Waffe der Wahl. Das ist gut so, denn immerhin gibt es nur zwei Möglichkeiten, mit dem Erlass richtig umzugehen: forensische Analyse inklusive Sanktion, oder eben Verhohnepipelung. Den Verfassungsgerichten muss man Ersteres überlassen, alle anderen dürfen sich ohne Scheu lustig machen.

Agatha Frischmuth ist Doktorandin am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der FU Berlin

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