IBM und das Dritte Reich

KLAGE GEGEN DAS US-UNTERNEHMEN War die von den Nazis eingesetzte Rechentechnik mitverantwortlich für die Dimension des Holocaust?

Eigentlich wollten die Amerikaner von Lochkarten - von punch cards - nichts mehr hören. Das Debakel bei der Wahl in Florida hat ihnen gereicht. Aber plötzlich sind die von dem Deutsch-Amerikaner Hermann Hollerith erfundenen Stanzkarten wieder da - wenn auch mit anderer Bedeutung. So ging beim Bundesbezirksgericht in Brooklyn/New York eine neue, Aufsehen erregende Sammelklage ein. Fünf Überlebende des Naziregimes verklagten IBM, Amerikas größten Computerhersteller, wegen Beihilfe zum Völkermord. Ohne die Unterstützung von IBM - sagt die Klageschrift - hätte Hitler die Juden und andere Minderheiten nicht so schnell und effektiv identifizieren können. Die IBM-Verantwortlichen hätten wissen müssen, für welche Zwecke ihre Maschinen von 1933 bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein benutzt wurden. Doch aus Profitgründen hätten sie geschwiegen.

Wer waren die Verantwortlichen, in welchen Dimensionen bewegte sich ihre Profitgier - wann, wo und warum griff IBM den Nazis unter die Arme? Schweigen im Walde. Anwalt Michael Hausfeld - bekannt aus früheren, erfolgreichen Schadensersatzprozessen - gab sein Wissen nicht preis. Dann aber verrieten die großen Zeitungen etwas mehr. Dass es sich hierbei um eine recht geheimnisvolle, konzertierte Aktion handelte. Dass die Klagen vor Gericht als Auftakt einer internationalen Buchkampagne getimt waren. Um Aufmerksamkeit zu gewinnen für einen potenziellen Bestseller mit dem Titel IBM and the Holocaust - ein Buch, das in acht Sprachen und mehr als 40 Ländern erscheinen würde.

Kein ungeschicktes, an Norman Finkelstein erinnerndes PR-Manöver. Noch bevor das auf 50 Archive und 100 Rechercheure gestützte Buch zum Verkauf auslag, verkündete sein Autor Edwin Black in Talk-Shows die folgenden Thesen: IBM-Datentechnik, das heißt mit Lochkarten gesteuerte Hollerith-Rechenmaschinen der Dehomag, der deutschen Tochtergesellschaft von IBM, seien für die unglaublichen Zahlen des Holocaust verantwortlich gewesen. IBM-Technologie hätte den Nazis die erstrebte, nahezu perfekte soziale Kontrolle ermöglicht, hätte den Holocaust beschleunigt und Hitler erlaubt, die Verfolgung der Juden zu automatisieren und Listen anzulegen für die Deportationen in die Vernichtungslager. Mit oder ohne IBM, der Holocaust hätte stattgefunden, räumt der Autor Black ein, aber IBM sei für die ungeheure Dimension des Terrors verantwortlich, für die Geschwindigkeit und Effizienz der Vernichtungsmaschinerie.

Raul Hilberg, einer der führenden amerikanischen Holocaust-Forscher, ist anderer Meinung. Er hält es für falsch anzunehmen, dass die Nazis von ausgereifter Technik abhängig waren. Effektivität ließ sich auch mit Bleistift und Papier erreichen, so Hilberg, da müsse man aufpassen. Es sei hier nicht um Ursache und Wirkung gegangen. Hilberg ist nicht der einzige Skeptiker unter den Holocaust-Experten. In diesem Kreis stört man sich auch an den PR-Methoden, mit denen das Buch von Crown Publisher lanciert wurde: Statt der üblichen Voraus-Exemplare an die Presse gab es nur Vorabdrucke im Magazin Newsweek und einigen wenigen Publikationen im Ausland. Auch große US-Zeitungen durften nicht im Vorfeld berichten. Manche Verleger glaubten, dieses Vorgehen bei kontroversen Büchern sei smart, kommentiert die Washington Post etwas gereizt. Sie hielten ein Buch bis zur letzten Minute unter Verschluss, um Gewinne zu maximieren und unerwünschte Kritik zu verhindern. Crown Publishers gehöre zum Verlag Random House, fügt das Blatt hinzu - und Random House sei im Besitz der Verlagsgruppe Bertelsmann.

Hat Bertelsmann die enormen Kosten getragen, die bei den jahrelangen IBM/Nazi- Recherchen angefallen sein müssen? Ein pikanter Aspekt, wenn man bedenkt, dass Bertelsmanns braune Vergangenheit in Amerika nicht unbekannt ist. Dem Autor Edwin Black hat man diese Frage noch nicht gestellt. In den üblichen Talkshows geht es mehr um seine Person: 51 Jahre, Sohn polnischer Juden, die den Holocaust überlebt haben, erfolgreicher Journalist, Kolumnist, Romancier. Sogar eine Pulitzer-Nominierung hat er zu verzeichnen. The Transfer Agreement, die dramatische Geschichte des Paktes zwischen dem Dritten Reich und dem jüdischen Palästina, brachte ihm 1984 diese Auszeichnung ein. Manche Kritiker sehen bei Blacks erstem Buch Parallelen zu IBM and the Holocaust. Auch damals habe der Autor Amerikas maßgebliche Holocaust-Forscher quasi ausgeschlossen von der Lektüre seines Manuskripts. Keiner von ihnen habe das Buch rezensiert.

Die IBM-Geschäftsleitung musste sich Edwin Blacks Buch selbst kaufen und außerdem um eine Kopie der Anklageschrift ersuchen. Nach Durchsicht der Dokumente soll dann Stellung genommen werden. In einer ersten Firmen-Reaktion hieß es lakonisch, es sei seit Jahrzehnten bekannt, dass IBM-Lochkarten-Maschinen im Dritten Reich benutzt worden seien, deshalb stehe eine IBM-Maschine im Washingtoner Holocaust-Museum. Ansonsten seien die Firmen-Dokumente aus der Nazizeit unvollständig und würden nichts beweisen - doch IBM halte sich bereit, bei neuen Fragen mit unabhängigen Forschern zusammenzuarbeiten.

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