Henri Maximilian Jakobs: „Ich kokettiere ein wenig“
Interview Aus seinem Erfolgs-Podcast ist ein Buch geworden: Henri Maximilian Jakobs beantwortet im Gespräch (fast) alle Fragen zum Leben als trans* Mann
Henri Maximilian Jakobs ist auf der Sonnenseite unterwegs: Im Juni erscheint auch sein erster Roman
Foto: Lara Ohl für der Freitag
Neben Anekdoten aus dem eigenen Leben besteht das Buch All die brennenden Fragen von Henri Maximilian Jakobs vor allem aus dem Dialog des Autors mit der Radio- und Fernsehmoderatorin Christina Wolf. Gemeinsam haben die beiden den Podcast Transformer aufgenommen und 2019 dafür den Deutschen Hörbuchpreis bekommen.
Das Buch ist eine Neuauflage des Podcasts in gekürzter Fassung. Darüber hinaus finden sich in dem Buch Einlassungen weiterer trans Personen, um auch anderen Perspektiven Raum zu geben. Im Interview, für das er sich zwischen Theaterproben Zeit genommen hat, spricht Henri Maximilian Jakobs über sein neues Buch, aber auch über ganz andere Dinge, wie zum Beispiel: Teig.
der Freitag: Herr Jakobs, Sie schreiben, dass Sie gerne mal über andere Themen
bs, Sie schreiben, dass Sie gerne mal über andere Themen sprechen würden als nur über Identität. Daher zuallererst die Frage: Was backen Sie am liebsten?Henri Maximilian Jakobs: Das ist natürlich die beste Frage überhaupt. Ich habe mich auf Sauerteigbrot versteift. Ich muss aber hinzufügen: Ich habe schon vor Corona damit angefangen, bin also kein Corona-Sauerteigbäcker. Abgesehen vom Brot habe ich mich auch den süßen Teilchen verschrieben. Gerade habe ich zum Beispiel einen exzellenten Apfel-Streuselkuchen in mein Repertoire aufgenommen.Von wem kam eigentlich die Idee, aus dem Podcast ein Buch zu machen? Und warum?Ich habe Christina gefragt, ob sie Lust hat, und sie meinte, sie sei sofort dabei. Warum die Idee aufkam? Nun, der Podcast ist ja durchaus einige Zeit her. Sowohl ich habe mich entwickelt als auch Christina. Die Welt hat sich – vorsichtig ausgedrückt – entwickelt. Die Debatte ist vorangeschritten – oder zurückgeschritten, man weiß es nicht genau. Mir war es daher wichtig, eine aktualisierte Version unseres Gesprächs herauszubringen, einige Sachen neu einzuordnen. Uns lag daran, zu zeigen, dass man Gespräche führen kann, dass sie möglich sind. Das ist in unseren Augen eine gute Form dafür, etwas zu vermitteln – wenn man sich ruhig an einen Tisch setzt und miteinander redet, anstatt von der einen Ecke des Internets in die andere zu schreien, dass alles schrecklich ist.Sie sagen „aktualisiert“: Was ist denn im Buch anders als im Podcast?Bei mir waren es damals die ersten beiden Jahre meiner Transition, und es war so viel, was auf mich einprasselte, was ich gar nicht verarbeiten und in Echtzeit verdauen konnte. Ich habe damals sehr situativ gehandelt und gesprochen. Seitdem ist viel passiert. Ich habe dazugelernt und würde auf einiges heute anders reagieren und es anders einordnen. Die Debatte hat sich verändert. Damals fand sie gar nicht so sehr statt wie heute, etwa das ganze TERF-Geplärre („Trans-Exclusionary Radical Feminism“, etwa:Trans-ausschließender Radikalfeminismus,Anm. d. Red.) und dass viele ihre Agenda durchdrücken wollen. Deswegen ist es mir wichtig, mich zu positionieren.Apropos aktuelle Debatte: Wie nehmen Sie die Stimmungslage derzeit wahr, in Ihrer Umgebung – und bei sich selbst?Ehrlich gesagt ziemlich desolat. Wenn ich allein die Gesetzgebung in den USA ansehe, wie Teenagern das Leben schwer gemacht wird, wie Eltern in Bedrängnis geraten, die ihre trans Kinder unterstützen. Das ist brandgefährlich, was gerade passiert. In Deutschland ist zwar noch vieles zu tun – siehe das Selbstbestimmungsgesetz, das immer noch nicht da ist –, aber hier ist es noch o. k. Hier sind etwa Behandlungen für trans Personen noch möglich. Aber man muss aus meiner Sicht sehr wachsam sein und sich deutlich positionieren, damit Dinge, wie sie in den USA und anderen Teilen der Welt geschehen, nicht auch hier Einzug halten. Daher versuche ich, eine kleine, zarte Stimme der Vernunft zu sein und bei all den hanebüchenen Vorwürfen klarzustellen: Trans Menschen wollen in Ruhe ihr Leben leben, ohne irgendjemanden einzuschränken.Sie haben das Selbstbestimmungsgesetz angesprochen: Warum ist es wichtig, dass es endlich kommt?Zunächst muss ich sagen, dass hier oft die medizinische und die rechtliche Seite vermischt werden. Beim Selbstbestimmungsgesetz wird es ja nur und ausschließlich darum gehen, den Personenstand und den Namen unkompliziert ändern zu können. Das hat nur Auswirkungen auf einen selbst, und dieses ganze Getue, das gemacht wird, ist kompletter Unfug: dass Genderhopping betrieben würde, dass Jugendliche losrennen und sich sofort in Kliniken alles Mögliche abschneiden lassen. Die Welt wird nicht den Bach runtergehen, wenn Menschen über ihr Leben bestimmen und es gestalten dürfen, wie es sie froh macht. Es ist überfällig, dass die ganzen grässlichen Gutachten mit ihren furchtbaren Fragen und all die anderen schrecklichen Dinge, die das Transsexuellengesetz beinhaltet, einfach der Vergangenheit angehören.Infolge des Wartens auf das Selbstbestimmungsgesetz sind viele trans Personen ungeduldig, traurig, wütend oder enttäuscht – wie denken Sie darüber?Ich war nie euphorisch. Ich werde erst zufrieden sein, wenn das Gesetz beschlossen ist. Daher fehlt bei mir die Fallhöhe. Ich bin ein gebranntes Kind, und mein Misstrauen war stets größer als die Euphorie aufgrund einer Ankündigung. Ich würde meine Haltung als „lauernd“ bezeichnen – in beide Richtungen. Entweder werde ich sagen: „Toll, endlich passiert es, und andere Menschen müssen sich nicht den gleichen Scheiß geben, wie ich es machen musste und viele andere“, oder: „Ihr habt uns nur hingehalten und wieder nichts gemacht oder etwas völlig anderes beschlossen.“ Ich spare mir meine Gefühle derzeit sozusagen noch auf.Sie beschreiben im Buch viele Unterhaltungen mit anderen Menschen, die von unangenehmen Fragen geprägt waren. Hat sich hier etwas verändert?Na ja, wenn ich meine kleine, alltägliche Bubble verlasse, gibt es immer noch viele Unsicherheiten: Wie werde ich empfangen, wie reagieren Menschen auf mich? Gerade medizinische Situationen sind unangenehm, weil da oft Reaktionen kommen wie „Hätte ich nie gedacht“ oder „Du siehst ja echt aus wie ein Mann“. Man will nicht ständig kommentiert werden. Das alles ist unverändert da. Was sich aber verändert hat: Das Thema „trans“ an sich ist sehr präsent in den Medien, wenn auch nicht immer auf die beste Art und Weise. Vor sechs, sieben Jahren wussten Menschen teilweise überhaupt nicht, was ich ihnen mitteilen wollte. Diese Phase ist meiner Erfahrung nach vorbei.Mit einem Buch macht man sich öffentlich – wie passt das dazu, dass man eigentlich nur seine Ruhe haben will?Ich dachte mir, dass ich in Zukunft Menschen, die mir unangenehme Fragen stellen, einfach das Buch in die Hand drücke, damit sie dort die Antworten auf ihre „brennenden Fragen“ finden. Aber im Ernst: Ich kokettiere natürlich ein wenig damit, aber ein Buch zu schreiben, ist auch eine Art der Selbstermächtigung. Hier habe ich Dinge ausdrücken können, wie ich es will, wie ich wirklich über diese Themen denke.Wie ist die Resonanz bisher?Ich habe einige Rückmeldungen erhalten: sowohl von trans Personen, die schrieben, dass sie froh sind, dass es dieses Buch gibt, als auch von anderen Menschen, die sagten, sie hätten etwas gelernt. Einige zeigten sich berührt von den Geschichten und haben mir für die Einblicke gedankt. Eine Freundin, die am Beginn ihrer Transition steht, meinte, das Buch hätte ihr sehr geholfen. Sie habe dadurch Sicherheit bei der Entscheidung bekommen, diesen Weg zu gehen. Das ist die ultimative schöne Rückmeldung, wenn man merkt, man hat jemandem damit Schritte erleichtert oder Klarheit verschafft.Für wen ist das Buch denn gedacht?Das Buch ist für alle da. Ich weiß nur, dass ich mir ein Vorbild, eine Orientierung gewünscht habe, als ich jünger war. Ich war sehr auf der Suche nach einer Hoffnung, um zu sehen: Wenn ich die Entscheidung zur Transition treffe, kann alles gut werden. Es war aber schwierig, Literatur zu finden, vor allem von hoffnungstiftenden Lebensentwürfen zu erfahren. Auch aus diesen Gründen habe ich das Buch geschrieben: Vielleicht kann ich diese Person sein, die ich mir damals gewünscht hätte.Denken Sie, dass Sie mit Ihrem Buch Menschen erreichen, die die Trans-Thematik jetzt zum ersten Mal bewusst wahrnehmen?Als Christina und ich damals den Podcast für den Bayerischen Rundfunk gemacht haben, haben uns viele Menschen aus Bayern geschrieben, sie hätten vorher noch gar nichts mit dem Thema zu tun gehabt. Nun hätten sie es aber verstanden und vor allem kapiert: Das ist ja alles gar nicht so wild. Ich vermute mal, dass Menschen, die das Buch lesen, einen gemäßigteren Einstieg haben, als wenn sie sich eine halbe Stunde auf Twitter herumtreiben und sich dort anschreien lassen.Welche Fragen könnten aus Ihrer Sicht nach dem Lesen des Buches noch offen sein?Ich schließe es nicht aus. Es gibt andere Realitäten, die andere Fragen mit sich bringen. Wir haben sicher eine brennende Frage nicht beantwortet, weil meine Realität eine andere ist als etwa die einer trans Frau oder einer geflüchteten trans Frau. Insofern: bestimmt. Ein Großteil der brennenden Fragen sollte aber abgedeckt sein.Nachdem Sie in Ihrem Buch auch über Ihre Ex-Beziehung sprechen: Haben Sie einen Rat für Menschen in einer Beziehung, die sich für eine Transition entscheiden – oder auch für deren Partner*innen?Immer, wenn ein Teil einer Beziehung eine große Entscheidung trifft, die große Veränderungen mit sich bringt, muss die andere Person schauen: Bin ich da mit dabei oder eben nicht? Das muss auch keine Transition sein, es kann ja auch sein, dass eine Person sagt: Ich war Metzger, und nun werde ich Maler. Dadurch entwickelt sich eine neue Realität, und dann muss die andere Person in der Beziehung schauen: Ist das noch die Realität, an der ich teilhaben kann, oder nicht?Planen Sie weitere Bücher?Tatsächlich erscheint am 7. Juni mein erster Roman. Ich empfehle, ihn zu kaufen, denn er ist sehr gut. Ansonsten schreibe ich vielleicht mal ein Kochbuch oder werde mich weiter der Fiktion verschreiben. Das große Sachbuchthema, bei dem ich mich auskenne, habe ich aber wohl abgearbeitet.Zum Schluss gern noch eine Antwort auf eine Frage, die ich gar nicht gestellt habe.Ja! Wenn man sich mal fragt: Was soll ich mit diesen trans Menschen immer reden, dann habe ich ein tolles Small-Talk-Thema: Gebäck oder allgemein Essen. Oder Garten oder Heimwerken. Damit kann man viel Small Talk füllen. Was ich damit sagen will: Trans Menschen sind einfach normale Menschen, und man behandelt sie im Idealfall, wie man selbst behandelt werden will: freundlich und nett, wie man hoffentlich zu all den anderen Menschen auch ist.Placeholder infobox-1