Der Freitag: Der Krimi gilt manchen immer noch als Literatur zweiter Klasse. Stört Sie das?
Uta-Maria Heim: Ich habe da kein Problem. Ich spiele ja mit dem Genre. Meine Krimis sind oft ein Grenzgang, ich kann also damit leben, wie das eingeordnet wird.
Über „Wem sonst als Dir“ wurde auch gesagt, dass es ein Krimi ist, der eigentlich gar kein Krimi ist.
Ja, so was mag das Feuilleton. Der Markt rächt sich dagegen. Die Leute, die einen Provinzkrimi erwarten, sind verstört. Die Leute, die niemals ein Buch lesen würden, in dem jemand ermittelt, sind auch verstört. Grenzkrimis sind nie dankbar.
Sie sind aber erfolgreich damit. Wie ist denn Hölderlin in das Buch geraten?
Ach, der kommt immer mal wieder, ich liebe Hölderlin. Ich mag Tübingen, die
Sie sind aber erfolgreich damit. Wie ist denn Hölderlin in das Buch geraten?Ach, der kommt immer mal wieder, ich liebe Hölderlin. Ich mag Tübingen, die ganze großartige Geistesgeschichte.Sie beschreiben Tübingen als einen Ort zwischen Psychiatrie und Pietismus .Das kann man so sagen. Aber ich habe die Geistesgeschichte weggelassen. Der weltumspannendste Tübinger Geist ist vermutlich Hegel, der mit seinen Kumpels Hölderlin und Schelling eine jugendliche Ethik vom Stapel gelassen hat, die vieles einleitete oder vorwegnahm. Tübingen hat die Welt verändert.Die Provinz ist ja negativ besetzt. Wie ist das mit der Heimat? Haben Sie zu ihr eine Hassliebe?Nein. Ich liebe meine Heimat und darf mir deshalb auch leisten, einen nicht konfliktfreien Blickwinkel zu haben. Und Tübingen ist ja nicht meine Heimat.Sie sind aber doch in der Gegend zu Hause.Ich komme aus einem ganz verwunschenen Eck. Einem Schwarzwaldzipfel, der sehr katholisch ist. Mit einem sehr eigenen Dialekt. Diese Gegend ist Niemandsland. Man gehört nicht dazu. Deshalb habe ich, glaube ich, auch so ein großes Faible für Außenseiter. Tübingen habe ich erst spät als Sehnsuchtsort entdeckt und ganz bewusst ausgewählt. Ich bin da fremd, also wieder ein Außenseiter. Aber ich denke nicht, dass in Tübingen nur Pietisten hausen. Das wäre ja dumm von mir. Ich selbst sage ja auch nichts. Es sind meine Figuren, die etwas sagen. Das ist ein Riesenunterschied. Was ich persönlich denke, ist völlig wurst.Mir nicht. Haben Sie denn einen Heimatbegriff?Ja. Ganz klar. Ich kann da mit Carolin Emcke sprechen. Sie sagte einmal sinngemäß, Heimat sind die Geschichten, die wir in uns tragen und die wir weitergeben wie eine stille Post. Heimat ist keine fixe Welt. Die Heimat als Ort muss man verschenken können, weil der Ort niemandem gehört.In Ihrer Heimatbeschreibung schwingt immer auch eine Melancholie mit, die gute, alte Butterbrezel zum Beispiel, die ein Industrieprodukt geworden ist, von Billiglöhnern hergestellt.Ja. Aber ich heule der alten Zeit nicht hinterher. Ich möchte das mit einer gewissen Galligkeit den Figuren zuschreiben. Irgendwann schreit eine Figur danach. Das kommt dann über mich, und ich fabuliere einfach los. Und erfinde dieses Kaff Knitzingen, in dem K. in dieser Siedlungsscheiblette wohnt. Das ist dann nie geplant, die Figuren gehen ihren Weg – das Schöne am Schreiben.Wie sieht die dunkle Seite des Heimatgefühls aus? Die Vergangenheit ist doch spürbar in einer Region? Zum Beispiel der Ort Grafeneck?Unbedingt! Jede Region hat ihr Päckchen zu tragen. Und meine Familie ist wie die meisten Familien in Deutschland irgendwie involviert. Ich komme aus einer antifaschistischen Familie, da habe ich Glück gehabt, das ist kein Verdienst. Ein Thema von mir ist sicher auch die Weitergabe von Traumata in die nächste Generation. Das wird ja meist nicht aufgearbeitet. Die Menschen können über die unmittelbaren Verstrickungen nicht sprechen. Deshalb konnte man bei uns auch nicht über Grafeneck reden. Das ist vielleicht 100 Kilometer von meinem Geburtsort entfernt. Um die 11.000 Menschen wurden vergast, so sind es natürlich viele Familien, die das betroffen hat. Das war den Leuten auch zunächst gar nicht so wichtig, weil die Geschwister dieser Getöteten oft im Krieg gefallen sind.Das war dann das größere Unglück?Ja. Erst mal bekümmerte, dass der gute Sohn gefallen ist. Mich beschäftigt das ja auch erst seit ein paar Jahren. Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht.Recherchieren Sie eigentlich viel?Nein. Ich lebe einfach und schreibe darüber. Ich würde jetzt nicht in ein Lokal gehen und schauen, was da auf der Speisekarte steht.Sie hätten bei der Stofffülle auch 600 Seiten schreiben können.Furchtbar! Ich bin dafür viel zu ungeduldig. Man kann den Roman auch nach Gusto lesen. Die Polizeiprotokolle braucht man nicht unbedingt. Ich mag aber das Fragmentarische. Das ist eine Art Realitätsbewältigung. Bei mir kippt die Perspektive immer wieder, vielleicht ist das mein postmoderner Stil oder die Ungeduld, das muss der Leser entscheiden.Oder ist die Realität so vielschichtig und das Fragmentarische die beste Perspektive darauf?Gut, vielleicht verlangt es die Realität so, das würde ein gutes Licht auf mich werfen. Aber vielleicht ist es auch einfach Trägheit, oder mir ist diese eine stringente Perspektive zu anstregend. Ich lese es gerne, wenn es direkt von A nach B geht, aber ich würde mich beim Schreiben langweilen.Das Buch handelt unter anderem auch von einer komplizierten Ost-West-Liebe. Klara aus dem Osten versteht die schwäbische Lebensart nicht.Diese Unterschiede sind zwar für die junge Generation abstrakt, verschwunden. Aber es betrifft eben noch Menschen, die beide Systeme erlebt haben. Das waren ja marode Systeme, der eine Wahnsinn hat den anderen bedient. Keine Systeme haben in einer gesunden Weise autark funktioniert.Die BRD ist also auch ein System für Sie?Wieso nicht? Die alte BRD ist ein politisches System gewesen.Kein Wunder, dass die RAF in Ihrem Krimi unterkommt.Stimmt. Doch die RAF hat der Linken ungeheuer geschadet. Das ärgert mich, das will ich darstellen. Aber ich habe keine politische Motivation. Mich interessieren nicht die Drahtzieher, sondern eine Mitläuferin wie Irene, die von der Geschichte nicht gesehen wird, die keinen einzigen Interneteintrag hat.Nach der Wende wurden RAF-Leute in der DDR enttarnt, steht in einer Fußnote in Ihrem Buch. Gibt es ein reales Vorbild für Irene?Nein. Da stehen übrigens auch falsche Fußnoten. Aber diejenige über den letzten Hingerichteten in der BRD, Richard Schuh, ist richtig. Hier kippt auch die Erzählweise im Roman. Manche Leute ärgert das, aber mir macht dieses Verwirrspiel Spaß.Warum war Ihnen für den Roman wichtig, dass die Todesstrafe in Westdeutschland erst 1949 aufgehoben wurde?Der Schöller, mein Held, beschäftigt sich halt damit als ver-meintlicher Totschläger. Er liest darüber, wenn er fit genug ist, er ist ja psychisch angeschlagen. Und es war schon erstaunlich, dass ausgerechnet in Tübingen, in dieser großen Geistesstadt, das letzte Todesurteil gefällt wurde. Kein politisches, wohlgemerkt.Kann man sagen, dass Menschen, die besonders klug sind, immer besonders verrückt sind, wie bei Schöller?Natürlich sind Menschen, die besonders sensibel sind, auch besonders gefährdet. Und Schöller hat halt Pech. Er hat von seiner Lebensgeschichte viel aufgebürdet bekommen. Er ist ein Held. Mehr darf ich natürlich nicht sagen. Sonst liest das ja keiner.
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