Ich lebe hier seit 300 Jahren

Kroatien Die Aktivisten von „Živi zid“ gehen gegen Zwangsräumungen vor
Ausgabe 37/2019
Aktivisten von „Živi zid“ in Zagreb, 2016
Aktivisten von „Živi zid“ in Zagreb, 2016

Foto: Imago Images/Pixsell

Ich spaziere über die Uferpromenade des kroatischen Küstenstädtchens Biograd na Moru. Während des Krieges 1991 – 1995 war Kroatien kaum wo so schmal wie hier: nach vorn zwei Inselreihen in der Adria, nach hinten das Nachbardorf Polača, das in der Hand der Republik Serbische Krajina war. Ich sehe eine Gedenktafel für fünf Menschen, die auf dem Stadtstrand getötet wurden, wohl durch Einschläge serbischer „Glocken“. Eine der Toten war aus Polača hierhergeflüchtet.

Es gibt an der mittleren Adria schönere Orte, der Regatta-, Party- und Badetourismus brummt jedoch. Ich bin in Biograd, weil hier einer der Klienten von „Živi zid“ zu Hause ist. Živi zid, „Lebende Wand“, ist eine Bewegung von Aktivisten, die sich der Zwangsräumung von Mietschuldnern entgegenstellen, indem sie eine „lebende Wand“ bilden und sich von der Polizei wegtragen lassen. Bei der Präsidentenwahl 2014 holte ihr junger langhaariger Chef 16 Prozent. Je nach Stärke der Großparteien – im Moment rinnen beide in verschiedene Richtungen aus – besetzt Živi zid den dritten bis fünften Platz des Parteienspektrums.

Die chaotische junge Partei ist unkonventionell links: Sie hustet auf nationale oder sexuelle Identitätspolitik und schlägt radikale Rezepte gegen die langjährige Wirtschaftskrise vor – etwa eine Geldpolitik, die aus der Schuldenwirtschaft aussteigt. Sie bricht dauernd Tabus, so schlägt sie serbenfreundliche Töne an oder fordert den Austritt Kroatiens aus der NATO. Vićenco Doljanac (52) ist schon Großvater. Er kommt wie ein gemütlicher Motorradrocker daher, spricht hektisch und mit fahrigen Gesten. Er führt mich in die Bar, in der er auch mit Abgeordneten von Živi zid saß, als sie zu seiner Unterstützung anrückten. Seither ist er einer von ihnen.

Zunächst beschleichen mich Zweifel, ob Vićenco der richtige Held ist. Er ist nämlich nicht gerade arm. Zwar sagt er mit Blick auf einen Korb Fische: „Das ist meine Rente.“ Er glaubt aber selbst nicht, dass ihm die Delogierung akut droht. Er besitzt ein auf 200.000 Euro geschätztes Grundstück, das er wegen eines 15-jährigen Rechtsstreits noch nicht verkaufen kann, „die Bank weiß das“. Sein nüchternes Haus hat fast ein bisschen Meerblick, die Ferienwohnung im zweiten Stock ist den ganzen Sommer ausgebucht. Seine Firma im Erdgeschoss wirkt eingemottet. Er stellte Werbeaufdrucke her für Boote, Motorräder oder Mopeds.

Ruf der Heimat

Da er sich bei Banken verschuldet hat, die zu Finanzkonzernen aus meiner schönen Heimat Österreich stehen, erhoffe ich mir von ihm bissige Sprüche. Er verliert aber kein böses Wort. Er erzählt mir seine Geschichte als Schuldner: erster Kredit 1996, 2.000 DM für einen Computer. Das Geschäft lief, er hatte einen Angestellten. Zweiter Kredit, Hypo Alpe Adria, 45.000 Euro, u. a. für einen neuen Drucker, „problemlos bezahlbar“, auch wenn die Summe wegen der exorbitanten Zinsen am Ende auf 90.000 Euro stieg. Dritter Kredit, 10.000 Euro für einen gebrauchten Renault. Vierter Kredit dank der Idee seiner Frau, mit einem einzigen großen Kredit die kleinen zu löschen. 2008 Finanzkrise. Heute schuldet er 120.000 oder 130.000 Euro, „Zinsen, Pönale, keine Ahnung“. Er sperrte 2012 die Firma zu und bedient seither den Kredit nicht mehr.

Ich frage ihn: „Was, wenn sie doch delogieren kommen?“ – „Ich gehe da nur als ein Toter raus.“ – „Haben Sie ein Gewehr?“ Er schweigt. Vićenco ist für kroatische Verhältnisse kein Nationalist, wählte früher linksliberal, jetzt sagt er einen Satz, mit dem er sich doch als ein sehr kroatischer Held erweist: „Das ist mein Haus, mein Staat. Ich lebe hier seit 300 Jahren.“

Er war den ganzen Krieg lang Soldat, erzählt er, stand schon 1991 an den Barrikaden nach Polača, seine erste Tochter wurde unter Granatbeschuss geboren. In seinem Veteranenausweis steht: „Ist freiwillig dem Ruf der Heimat und des Gewissens gefolgt.“ Gegen die Banken sagt er nichts, aber das ist mein Haus, das ist mein Staat. Und was, wenn der Kredit einmal weg ist? „Dann will ich nur noch mit den Enkeln über die Promenade spazieren. Dann bin ich ein neuer Mensch.“

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