Ich? Nee, du!

Linksbündig Eine Wendung etabliert sich im Sprachgebrauch

Wäre der Motivationsguru Jürgen Höller nicht wegen Untreue im Gefängnis gewesen, dürfte er sich vielleicht einreihen in den erlesenen Reigen, der die Kampagne Du bist Deutschland unterstützt. Schließlich hat Höller Erfahrung darin, Menschen zum härteren Arbeiten ohne Lohnausgleich zu motivieren. Gerne behauptet er, dass das Volk sich selbst schlecht rede und jeder es schaffen könne, sofern er nur wolle. Das ist auch das Mantra der "Social-Marketing"-Kampagne Du bist Deutschland.

Natürlich ist das eine fürchterliche Kampagne: Zu melancholischen Klavier- und Geigenklängen mit hoffnungsfroh hellen Zwischentönen sagen Prominente wie Anne Will, Marcel Reich-Ranicki, Günther Jauch oder Harald Schmidt Sätze wie "Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen" oder "Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern". Den Stichwortgeber und Richtlinienkompetenten gab Bertelsmann, eine große, bunte Koalition an seiner Seite wissend, die besteht aus Springer, ARD, ZDF, RTL, Pro-Sieben-Sat1, Burda, Spiegel, FAZ, SZ, Holtzbrinck, WAZ, Gruner + Jahr und zwölf weiteren Firmen aus der Medienbranche. Für das Aussehen der Kampagne zeichnet unter anderem die Agentur Jung von Matt verantwortlich, die einst den Slogan Geiz ist geil erfand und sich auch sonst nie als besonders zimperlich erwies.

Ganze 120 Sekunden dauert der TV-Spot, der metaphorisch missglückt Natur und Arbeit ineinander verschränkt. "Du bist" nämlich nicht nur "Schmetterling" und "Baum", sondern auch der "Laden" und "das Wunder von Deutschland." Gemeint ist wohl ein Wirtschaftswunder, von Menschen keine Rede, die Rhetorik richtet sich ans Humankapital.

An die eigene Nase fasst sich keiner, im Gegenteil. Du, du, du litaneit die Kampagne, und: "Frage dich nicht, was die anderen für dich tun. Du bist die anderen". Ein ums andere Mal wird unterstellt, das Volk wolle nicht arbeiten, würde sich lieber vom Staat ernähren lassen, würde sich eben nicht "die Hände schmutzig" machen wie im Spot gefordert.

Und während sich die oberen Zehntausend, die Prominenten, allein als seriöse Mahner in Szene setzen, kommen die unteren Millionen nur exemplarisch vor, nur, indem sie ihre gesellschaftliche Funktionalität zur Schau stellen, gleichsam als soziale Deko. Deshalb sitzt die Klofrau vor einem Klo, serviert die Serviererin, verkaufen die Verkäufer und hat der Mechaniker einen Autoreifen in der Hand. Während die Arbeiter arbeiten, sind die Anderen anders: Der Schwule, der Schwarze und der Behinderte stehen während des Aufsagens ihrer Satzteile im Berliner Stelenfeld. Vermutlich zielte das irgendwie in Richtung jener ersehnten "Normalität" im Umgang mit der Geschichte.

Eine fürchterliche Kampagne, natürlich. Aber nicht ohne Folgen. Einerseits war es schön anzusehen, wie herzhaft die Kritik an ihr auch aus manchem der mitveranstaltenden Häuser tönte, andererseits dürfen sich noch mehr die Erfinder freuen: Der Slogan ist in aller Munde. Ähnlich wie schon Geiz ist geil reizt Du bist Deutschland nämlich zu allerlei Spielereien. Es dauerte keinen Tag, da war das Photo-Blog flickr.com schon überfüllt mit Parodien à la "Du bist Josef Ackermann". Die NDR-Sendung extra3 drehte einen eigenen Spot, der in den Sätzen gipfelte: "Ich? Nee, du!" Selbst Harald Schmidt, der ja zu den Unterstützern gehört, ließ sich nicht lange um Verballhornung bitten. Dass dieser Spruch mithin Talent zum Dauerbrenner hat, bewies die taz mit ihrem Titelblatt vergangenen Montag. Die Wendung hat sich etabliert im Sprachgebrauch, soviel steht fest. Einen "Ruck" aber wird das kaum nach sich ziehen (sofern er überhaupt nötig ist).

Um Deutschland ist es den Machern wohl ohnehin nie gegangen. Sonst müsste man sich jetzt, zwar nicht zum ersten Mal, aber diesmal doch recht ernsthafte Sorgen machen um die soft skills der Werbebranche. Dass Deutschland nicht zum Produkt taugt, war offensichtlich - andernfalls wäre der Spot nicht so erniedrigend ermunternd und wortreich weichgespült. Als Ersatz (ohnehin die zweite Besetzung) haben die Medien schließlich sich selbst auserkoren: Die Fernsehsender präsentieren ihre Moderatoren-Produkte den verschiedenen Zielgruppen gerecht als Spaßmacher oder eben Vertrauensperson. Dass alle Mitmachenden - mit gutem Beispiel voran - Freizeit, Sendezeit oder sonstiges Material gespendet haben, ist integraler Bestandteil der Kampagne. Im Grunde wirbt hier nicht Deutschland um Engagement und Vertrauen, sondern werben ganz schön kleinlaut ganz schön viele Medienunternehmen darum. Sie werden´s nötig haben.


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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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