Ich war frei zu sterben

Fehlende Anerkennung Arabische Filmemacherinnen gelten immer noch als Beiwerk der Männer

Nein, ich bin keine Feministin!" ist der Tenor fast aller Aussagen der arabischen Filmemacherinnen, die Rebecca Hillauer in ihrem Buch Freiräume-Lebensräume vorstellt. Sie kommen zwar aus unterschiedlichen islamischen Ländern (Ägypten, Libanon, Palästina, Syrien, Algerien, Marokko, Tunesien), sind aber nicht nur Musliminnen, sondern auch Christinnen, Jüdinnen und Atheistinnen. Wie ihre männlichen Kollegen sind sie einer strengen Zensur ausgesetzt, die nicht nur das Thematisieren der herrschenden Politik und des Islam, sowie die bloße Abbildung des nackten menschlichen Körpers oder die Einnahme von Alkohol und Rauschgift tabuisiert.

Das arabische Kino ist hauptsächlich (mit Ausnahme von Ägypten) als Reaktion auf die "Untaten des Kolonialismus und der zionistischen Agitation" erst ab Ende der fünfziger Jahre geboren. Die Algerier beispielsweise haben 1957 ihre erste Filmeinheit gegründet, um eine eigene Darstellung der nationalen Befreiungsbewegung gegen die französische Propaganda zum Ausdruck bringen zu können. Auch im Falle des palästinensischen Filmschaffens bildete sich der Filmdienst in Verbindung mit dem bewaffneten Kampf, der von den Exil-Palästinensern nach der Niederlage Ägyptens, Syriens und Jordaniens gegen Israel im Jahr 1967 aufgenommen wurde.

Die meisten arabischen Filmemacherinnen erkannten die Möglichkeiten dieses Mediums als Ausdrucksmittel nationaler Selbstfindung und Emanzipation bereits am Anfang ihrer Karriere. Mit unterschiedlichen Motiven begannen sie meistens, im Ausland oder Ägypten Film zu studieren: Sie waren auf der Suche nach ihren verlorenen Wurzeln wie die 53-jährige Libanesin Jocelyne Saab. Sie hatten das Ziel, ihre Reise in das Herz der maghrebinischen Einwanderung in Frankreich zu schildern wie die 43-jährige Algerierin Yamina Benguigui. Sie waren einfach erschüttert vom Schweigen der Frauen in der arabischen Welt wie die 33-jährige Tuneserin Moufida Tlatli. Oder sie wollten sich später an einen von Angst und Tod beherrschten Ausschnitt der Geschichte während der israelischen Invasion im Libanon 1982 erinnern können wie die 48-jährige Ägypterin Arab Lotfi.

Bis diese Filmemacherinnen hinter die Kamera gelangten, hatten sie eine ganze Weile warten müssen. Auch für ihren Platz vor der Kamera haben sie hart gekämpft. Denn die weiblichen Probleme und Lebensumstände wurden anfänglich kaum in den Filmen thematisiert. Und wenn, wurden sie entweder als Mittel zum Zweck der Verwirklichung nationaler Ziele oder als ein hilfloses Opfer dargestellt. Erst seit Ende der siebziger Jahre ist ein differenziertes Frauenbild in den Filmen dieser Länder zu sehen.

Das arabische Kino ist dennoch nach wie vor von der gleichberechtigten Anerkennung der weiblichen Filmschaffenden weit entfernt. Jocelyne Saab schildert die Situation besonders anschaulich: "Jetzt, nachdem der Krieg vorbei ist, sagen die männlichen Filmemacher auf einmal, ich nähme ihnen ihren Platz weg. Früher, als ich an den Kriegsschauplätzen vor Ort filmte, war davon keine Rede. Ich war frei zu sterben ..." Diese ablehnende Einstellung ist sogar in der arabischen Presse keine Ausnahme. Die in Amman geborene 42-jährige Mai Masri empfindet es als "kränkend, dass die Pressestimmen, die bei Filmen, die ich mit meinem Mann gedreht hatte, meinen Namen völlig ignorierten ... Sie nahmen an, ich sei Beiwerk, nicht dass ich selbst etwas Bedeutendes geleistet hätte."

Die große Leistung von Rebecca Hillauer liegt in der gelungenen Vermittlung eines facettenreichen Einblicks in den modernen arabischen "Frauenfilm" mittels narrativer Interviews, der Biografien der Regisseurinnen, der Inhalte der Filme und - nicht zuletzt - der Geschichte ihres Entstehens.

Rebecca Hillauer: Freiräume-Lebensräume. Arabische Filmemacherinnen. arte Edition des J. Horlemann Verlag, Unkel 2001, 348 S., 38,- DM

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