FREITAG: Was passiert in den nächsten Tagen?
WOLFGANG GEHRCKE: Ich nehme die Ankündigungen der amerikanischen Regierung sehr ernst, auch die scharfen Töne von Bush, der von einem Kreuzzug spricht. Ich denke, wir stehen kurz vor einem Krieg, der mehr als nur ein Land betreffen wird. Das ist meine große Sorge, und ich wünsche mir, dass Besonnenheit die europäische Politik prägen möge.
Was würde ein Bundesaußenminister Gehrcke in dieser Situation tun?
Abgesehen davon, dass der Außenminister Gehrcke eine kaum denkbare Vorstellung ist: Besonnenheit wäre mein Devise. Und das hieße zweierlei. Zum einen würde ich mich um internationale Vereinbarungen zur effektiveren Terrorbekämpfung bemühen, würde demonstrativ die Ausgaben für Entwicklung und Entschuldung erhöhen, alles daran setzen, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu befördern. Zum andern aber ginge es mir darum, deutliche Signale zu setzen, dass wir auf der Suche nach einer friedlichen Lösung sind. Das hieße auch, die arabischen Staaten einzubeziehen, einen Dialog mit Zentralasien zu suchen und mit den Großmächten ernsthaft zu verhandeln und ihnen deutlich machen, dass Europa nicht bereit ist, Gewalt mit Gewalt zu vergelten.
Damit wäre der Terror nicht gestoppt, die Gefahr bliebe trotzdem akut.
Es ist eine Illusion, akute Gefahren durch Terrorismus mit militärischen Aktionen ausschließen zu wollen. Terror lässt sich nur stoppen, wenn der Frieden lebenswert ist, wenn er mit sozialem Fortschritt und Würde verbunden ist. Dazu bedarf es umfassender und längerfristiger Ansätze.
Letztlich aber ist doch Terrorbekämpfung ohne militärische Gewalt nicht denkbar.
Ich halte es für eine Illusion, mit einem begrenzten Militäreinsatz terroristische Zentren bekämpfen zu können. Das hätte man dann schon längst getan.
Dass die US-Administration unter Handlungsdruck steht, sehen Sie nicht?
Doch, zweifellos. Und ich habe tiefen Respekt und große Hochachtung vor den Menschen in den USA, die bei aller Betroffenheit gewillt sind, besonnen zu handeln und sich der Rache und Vergeltung zu verweigern.
Gregor Gysi hat sich für »begrenzte militärische Aktionen« zur Ergreifung der Täter ausgesprochen, wenn dabei keine Unschuldigen gefährdet werden.
Der zweite Teil seiner Aussage ist wichtig. Und das sehe ich momentan nicht.
Die PDS-Fraktion wird also keinerlei Militäraktionen zustimmen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass Osama bin Laden genau damit rechnet und solche Angriffe nutzen wird, um die weltweite Auseinandersetzung zuzuspitzen. Ich möchte Bin Laden nicht auf den Leim gehen.
Das heißt, Sie sagen »Nein« - egal, wie begrenzt ein militärisches Kommandounternehmen auch sein sollte?
Ich halte militärische Mittel in dieser Situation für nicht tauglich. Mir ist die Gefahr der Eskalation viel zu groß. Was machen wir denn, wenn in Folge eines Angriffs in oder auf Afghanistan islamistische Extremisten in Pakistan an die Macht und damit in den Besitz von Atomwaffen gelangen? Dann könnte uns die Gefahr einer nukleare Eskalation ins Haus stehen. Also: Nein.
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