Ich will das schwärzeste aller schwarzen Schafe sein

PDS-PARTEITAG Der scheidende PDS-Vorsitzende Lothar Bisky über Umwege und Neuanfänge, wie sie das Leben und die Partei mit sich bringen

FREITAG: Die Opposition in Serbien hat Milosevic abgeschüttelt. Menschen auf den Straßen, Reden, Losungen, Gedränge, aus den Fenstern fliegen Papiere ... Hat Sie das an die Situation in der DDR vor elf Jahren erinnert?

LOTHAR BISKY: Es gibt Ähnlichkeiten, aber auch große Unterschiede. Ich habe vor elf Jahren keinen Rauch gesehen. Die Bedingungen waren anders, der Charakter der Erhebung auch: Es hat Kriege mit fürchterlichen Gemetzeln gegeben, der NATO-Angriff auf Jugoslawien hat Milosevic gestärkt, obwohl das Gegenteil angestrebt war, hat vieles in irrationale Bahnen geleitet, so dass der Hass ins Unendliche gesteigert worden ist. Das ist eine Gefahr für alles, was dort künftig geschieht, und deshalb ist es auch mit der Situation in der DDR vor elf Jahren nicht vergleichbar.

Wird es in Jugoslawien noch eine sozialistische Bewegung geben?

Davon bin ich überzeugt. Die Sozialistische Partei von Milosevic wird es künftig schwer haben, vielleicht ist es auch ihr Ende. Das, was er namens sozialistischer Politik gemacht hat, ist für die meisten erkennbar nicht identisch mit Sozialismus. Aber in Albanien, Mazedonien, auch in Montenegro und Kroatien gibt es sozialistische Parteien, einige sind kräftig, und sie haben eine Chance.

Hinter Ihnen liegen nun acht Jahre PDS-Parteivorsitz. Wie würden Sie sich damals, wie heute beschreiben?

Ich halte es da mit Brechts Flüchtlingsgesprächen: "Es kam jemand zu Herrn K. und sagte: Sie haben sich gar nicht verändert. Oh, sagte Herr K. und erbleichte." Natürlich habe ich mich verändert, ich war damals kein Politiker, sondern ein leidenschaftlicher Medienwissenschaftler. Als Politiker habe ich vor allem gelernt darauf zu achten, dass man sich nicht selbst verliert, und inzwischen bin ich auf dem Weg zu mir zurück.

Wohin zurück?

Vor allem nach Brandenburg. Die Gesamtpartei hatte mich "nur" ausgeborgt. Ich habe 1993 bei meinem Amtsantritt zwei Dinge gesagt: Brandenburg bleibt meine politische Heimat, und ich will das schwärzeste aller schwarzen Schafe sein. Daran habe ich mich gehalten. Bis 2004 habe ich mein Landtagsmandat. Was danach wird, weiß ich noch nicht. Politisch rechne ich bis 2004, alles andere ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Auch dann wird die PDS noch rechnen müssen und überlegen, wer bringt Stimmen, wer kostet Stimmen.

Schließt das ein Bundestagsmandat ab 2002 aus?

Das schließt gar nichts aus. Gregor Gysi und ich sind jetzt frei verfügbar, allerdings nur für etwas, dem wir zustimmen können.

Ob die PDS mal im bundesdeutschen Parteiengefüge ankommen würde, stand zu Beginn der neunziger Jahre nicht fest. Ein Teil der Mitgliedschaft ist heute noch nicht überzeugt, ob das notwendig ist. Bedurfte es eines Führungspersonals wie Gysi und Bisky, also einigermaßen überzeugender Reformpolitiker, um die PDS in diesem Land zu etablieren?

Bei den Figuren ist das wohl eher historischer Zufall. Die Implosion der Macht, der dramatische Autoritätszerfall der SED innerhalb weniger Monate - eine Revolution kann ich nicht erkennen -, stellte ehrliche Sozialisten vor die Frage, war es das oder gibt es noch einen anderen Weg. Wenn es den geben sollte, mussten dafür neue Leute gefunden werden. Gysi und ich sind gleichzeitig in die Politik gegangen. Wir trafen uns am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz und wieder am 3. Dezember im Arbeitsausschuss. Damals gab es einen großen Bedarf an Leuten, die nicht im Politbüro, nicht in der Parteihierarchie waren, um einen Neuanfang glaubhaft machen zu können. Ich sollte zunächst nur die Medienarbeit für Gysi machen, es ist anders gekommen. Wir waren Seiteneinsteiger - zufällig zur rechten Zeit verfügbar - aber der Neuanfang wäre so oder so gekommen.

Auf dem Alexanderplatz haben Sie von einer neuen Form der Legitimation gesprochen: Ihrer Wahl zum Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Das war in dieser turbulenten Zeit wie eine Leine, an der entlang es Legitimität für neue Rektoren, Chefredakteure, Intendanten, Werkdirektoren etc. geben konnte.

An der Filmhochschule war das ein ziemlich dramatischer Prozess. Wir hatten in den Jahren zuvor nicht gerade zaghafte Filme gemacht. Und waren - sieht man es heute - ganz und gar lächerlicher Dinge gerügt worden. Uns war spätestens ab Sommer '89 klar, dass sich etwas verändern musste. Das haben wir mit unseren Mitteln zu tun versucht, eine schwierige, aber auch eine gute Zeit. Wir - Studenten und Rektor - hatten vorher schon Proteste ans ZK geschrieben und auf einer Tagung in Neubrandenburg unsere Vorstellungen klar gemacht. Dass Studenten und Rektoren so etwas gemeinsam taten, war nicht gewöhnlich, nicht DDR-typisch. Weil ich wusste, das würde heiße Auseinandersetzungen geben, hatte ich mir durch eine Abstimmung Rückendeckung verschafft. Ich wäre gegangen, wenn die Abstimmung zu meinen Ungunsten ausgegangen wäre.

Zehn Jahre später ist die PDS als politische Kraft etabliert und hat eine Mitgliedschaft, die nicht gerade homogen ist. Geht Lothar Bisky auch, weil er glaubt, nicht genug in die Partei hinein getragen zu haben?

Es gibt ja hin und wieder die Meinung, ich hätte mehr polarisieren sollen. Aber man kann auch solange polarisieren, bis man alleine dasteht. Die Linken sind oft von einem Besserwissensvirus befallen, und das bringt immer die Gefahr, dass sie in scheinbarer Ermangelung anderer Gegner die eigenen Genossen besonders intensiv bearbeiten, auch mit unfeinen Mitteln. Dass diese Krankheit in der PDS noch nicht besiegt ist, bedaure ich.

Die Gefahr der Spaltung, war das für Sie eine latente Gefahr oder gibt es einschneidende Ereignisse?

Es gab schon einschneidende Ereignisse: Die Gründung einer Ostpartei zum Beispiel. Zu der wären sicher auch einige von der PDS übergelaufen ... Nach '94 bin ich ein bisschen ausgeflippt, als der Aufruf "In großer Sorge" veröffentlicht wurde, auch 1995 drohte über die Debatten mit Sahra Wagenknecht das Auseinanderbrechen der Partei und besonders: die Gefahr einer Restauration.

Restauration wovon?

Unseres Parteienverständnises. Ich sah die Gefahr, dass man zurückgeht zu der Meinung, man habe die Wahrheit in der Tasche. Das wird dann auch noch Marxismus genannt, was für mich abenteuerlich ist. Mit Marx ist das überhaupt nicht zu erklären, der war immer ein großer Analytiker, der zuerst die Wirklichkeit analysiert hat, bevor er seine Theorien entwickelte. Und die Avantgarde-Auffassung sagt nicht mehr als: Es gibt einen Kern - die Klasse - und die Partei sei der Kern des Kerns, der alles weiß und alles bestimmt. Das wäre eine Parteiauffassung, mit der ich nicht mehr leben könnte, und die Rückkehr zu dem, was gescheitert ist. All das führt dann zum dritten Punkt, dass man arrogant über die Bevölkerung urteilt: die sind ja alle ein bisschen blöde, wir erklären denen mal, wo es lang geht. Und dann kommt der vierte Fehler, dass man in dieser Arroganz denkt, man müsse mit anderen keine Bündnisse eingehen, es sei denn, man braucht sie als Instrument. Das alles gibt es, aber: die PDS ist davon nicht mehr bedroht, es gibt dafür keine reale politische Kraft mehr. Das ist ein großer Erfolg: Die führende Rolle eines Politbüros kann man der PDS nicht nachsagen.

Und ihre Wähler? Sind das nicht eher jene, die auch das Restaurative, das Verbindliche wollen?

Das weiß ich nicht, ich suche sie mir nicht aus. Aber die Partei selbst steht garantiert für einen solchen Weg nicht mehr zur Verfügung. Ich sage das lieber einmal zu viel als zu wenig.

Winfried Wolf spürt allerdings ganz aktuell in der PDS "die Gefahr eines völkischen Antikapitalismus". Er sagt, die PDS benutze in der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus die gleichen Argumente wie Rechte.

Ich habe von Winfried Wolf schon viel gelesen, aber das war das Blödsinnigste. Ich habe kaum Lust, darauf einzugehen. Natürlich kommen die Rechten auch mit Parolen wie: Wir wollen Arbeit, aber das ist doch nicht dasselbe, was wir fordern. Es ist etwas ganz anderes. So etwas gab es auch bei Hitler: Ich erinnere an die Strasser-Brüder. Die haben Sozialismus gefordert und Hitler gar den National-Sozialismus. Ich frage mich, ob Wolf überhaupt noch Kontakt zu dieser Partei hat. Jeder, der die PDS kennt, weiß, dass so eine Unterstellung demagogisch ist.

Worin bestünde die Verteidigungsstrategie, wenn Versuche, linke Losungen einfach umzudrehen, Schule machen sollten und sich häuften?

Selbst wenn der Wortlaut sich gliche, die sind vom Kapital durchtränkt und wollen etwas ganz anderes: Herrschaft über Menschen. Sie erheben sich rassistisch über andere Menschen und Nationen. Die PDS ist die Partei, die auch in den Wahlkämpfen - und jeder, der PDS wählt, kann das wissen - Ausländerfeindlichkeit und Rassismus geißelt und sagt: Mit uns ist da nichts zu machen. Wir stehen für das genaue Gegenteil.

Aber es sind DDR-Kinder, die da gröhlen und schlagen und tot treten - Hinterlassenschaften auch unserer Erziehung ...

DDR-Kinder, die in der Bundesrepublik sozialisiert wurden.

Worin liegen die Gründe für den Rechtsextremismus im Osten?

In den Erschütterungen, als das System unterging: Eltern, die gestern noch das gesagt hatten, sagten morgen dies, Lehrer, die eben noch dies gelehrt hatten, lehrten nun etwas anderes. Eine Welt verlor ihre Konturen. Hinzu kommt der Wirkungszusammenhang, als es propagandistisch plötzlich hieß, Kommunismus und Faschismus seien so weit voneinander nicht entfernt, ja eigentlich das gleiche. Die, die das weniger als Abwertung des Antifaschismus begriffen, sagten sich, na, dann kann Faschismus nicht so schlimm gewesen sein. Dieser Effekt war sicher nicht beabsichtigt, aber er trat ein. Die Kombination der Erfahrung vom Ende der DDR und dann der Bundesrepublik - mit dem Verlust aller Werte - hat zu höherer Bereitschaft geführt, Rechten zuzuhören.

Lothar Bisky hinterlässt eine Partei, die auf diesem Gebiet nach wie vor besonders gefordert ist.

Wir haben auch in meiner Amtszeit viel gegen Rechtsradikalismus getan. Wenn es uns nicht gegeben hätte, wäre das Problem noch größer. Wir sind die Kraft gewesen, die gegen unnötige Demütigungen aufgetreten ist, wir konnten oppositionell dagegen polemisieren, so dass Leute, die zum Teil ja ziemlich verzweifelt waren, sich in der PDS auch rational mit ihrer Situation auseinandersetzen konnten und nicht in dumpfer Wut verharrten. Diese dumpfe Wut gibt es immer noch und ist stärker als man denkt: unter Leuten, die sagen, die Demokratie taugt nichts. Diesen Demokratiefrust hat die PDS bewusst bekämpft.

Sollte Cottbus ein entsprechendes Signal geben?

Von Cottbus könnte das Signal ausgehen, dass wir berechenbare Politik machen, was mit dem Leitantrag auch gewährleistet ist, dass eine neue Mannschaft da ist, die in der Lage ist, diese Politik umzusetzen und öffentlich darzustellen. Und, dass wir damit auch reicher werden, weil Gysi und Bisky auch noch PDS-Politik machen, nur an anderer Stelle. Das wäre ein vernünftiges Signal. Denn unserer Abgang ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer zweiten Etappe.

Wie würden Sie die erste Etappe, Ihre Amtszeit, beschreiben?

Wir haben dreierlei erreicht: Die PDS ist überall parlamentarisch vertreten, in den Kommunen, den Landtagen, dem Bundestag und im europäischen Parlament. Die PDS wird akzeptiert, wir können auf Augenhöhe mit den anderen Parteien reden. Und: die Partei konnte sich mit unserer Hilfe erneuern.

Und wie sollte die zweite Etappe aussehen?

Die PDS muss inhaltlich die entscheidenden Zukunftsthemen besetzen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird anhalten, aber bei Strafe des Untergangs dürfen wir sie nicht dominieren lassen. Wir werden wissen müssen: Was wird aus der Mediengesellschaft? Welche technologischen Entwicklungen sind zu begrüßen? Wie ist es mit der Biochemie? Droht die Arbeit tatsächlich auszugehen? Und was macht eine sozialistische Partei, wenn die Industriearbeiterschaft in einigen Jahren keine nennenswerte Größe mehr sein wird? Gigantische Fragen. Und ich hätte gern, dass die PDS auch in der Kultur mehr für Zukunftsfragen steht - sozialistische Parteien leben davon, dass sie hier radikaler denken.

Als Vorsitzender der Programmkommission werden Sie darauf achten?

Natürlich.

Wird es einen Satz in Cottbus geben, den Sie Gabi Zimmer mit auf den Weg geben?

Beratung anzunehmen und gleichzeitig beratungsresistent zu sein. Vorsitzende von Parteien unterliegen der Gefahr, dass sie instrumentalisiert werden. Wenn verschiedene Interessengruppen, auch gegensätzliche, wissen, man kann den Chef hin und herschieben, dann tun die das auch glatt. Und das ist dann der Untergang eines Vorsitzenden.

Lothar Bisky ist mal aus der Bundesrepublik in die DDR gekommen, um zu studieren ... Nun ist er wieder dort angekommen. Ein überflüssiger Umweg?

Nein. Ich habe mein Leben nie bereut, das wissen auch mein Vater, mein Bruder, meine Verwandten, die immer in der Bundesrepublik waren. Dieses Leben war für mich logisch, und das bleibt es auch. Ich bin ein paar Mal in meinem Leben gegen den Strom geschwommen, das war in jedem Falle schwer, aber ich kann verantworten, was ich in der DDR getan habe. Deshalb sage ich, für mich war dieser Umweg nötig. Und ich bin ganz froh, dass ich die Deutsche Demokratische Republik, die viele Fehler hatte, erleben durfte.

Das Gespräch führten Regina General und Jörn Kabisch

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