Interview Kenner lieben seine Bernie-Gunther-Reihe. Jetzt hat Bestsellerautor Philip Kerr eine elegante und witzige Trilogie über die Abgründe im Profifußball verfasst
Berühmt wurde der schottische Schriftsteller Philip Kerr mit Sci-Fi-Thrillern und den historischen Kriminalromanen um den Polizisten Bernie Gunther, der sich nicht nur mit einer Menge Leichen, sondern vor allem mit unangenehmen Nazi-Schergen rumschlagen muss. Jetzt hat sich Kerr die Welt des Fußballs vorgeknöpft. Der erste Band der Trilogie heißt Der Wintertransfer und erzählt von den Auswüchsen des modernen Profisports und einem verzwickten Mordfall in der englischen Premier League.
der Freitag: Mr. Kerr, innerhalb eines Jahres sind in England drei ihrer Fußball-Krimis erschienen, ein Buch für junge Erwachsene und ein neuer Bernie Gunther. Sind Sie ein Besessener?
Philip Kerr: Ich habe immer schon sehr viel und schnell geschrieben. Ich bin ein Sü
: Ich habe immer schon sehr viel und schnell geschrieben. Ich bin ein Süchtiger und habe keine Hoffnung auf Heilung. Warum gibt es kein Pendant der Anonymen Alkoholiker für Schriftsteller?Seit wann leiden Sie an Ihrer Sucht?Ich habe früh angefangen. Schon mit zehn Jahren. Eigentlich schreibe ich ununterbrochen – auch wenn ich manchmal denke, was ich alles anderes in dieser Zeit hätte anfangen können.Was hätten Sie denn gern getan?Ein richtiges Leben gelebt. Ich weiß es nicht genau. Aber wenn mir eine Geschichte einfällt, wird sie schnell zur Obsession.Wie entspannen Sie?Ich hasse es, nichts zu tun. Ich entspanne mich, wenn ich im Fernsehen Fußball schaue. Schließlich wurde diese Sportart erfunden, damit Männer mal an etwas anderes denken als an Arbeit, Sex oder Politik. Ich kenne keine andere Beschäftigung, bei der man so gut abschalten kann – außer beim Fischen.Das klingt sehr passiv für einen glühenden Arsenal-Fan.Na ja, ich gehe auch ab und an ins Stadion. Ich lese täglich die Zeitungen, schaue täglich auf die Arsenal-App. Sie sehen, ich bin auf dem Laufenden.Anders als das Schreiben ist Fußball für Sie also keine Obsession?Nicht so sehr wie für meinen ältesten Sohn. Das ist bei mir auch anders als bei Nick Hornby, der in Fever Pitch eine ausgewachsene Fußballneurose beschreibt.„Der Wintertransfer“ ist wohl der erste Fußball-Krimi überhaupt. Warum ist noch niemand vorher auf die Idee gekommen?Seltsam, oder? In den USA gibt es Romane über Baseball, Football, sogar Basketball. Und hier in der Heimat des Fußballs: nichts. Nur langweilige Fußballerbiografien. Mir ist völlig schleierhaft, wie sich Alex Fergusons Erinnerungen an seine Zeit bei Manchester United fast eine Million Mal verkaufen konnten.Und das ohne die saftigen Details, die den Reiz der englischen Liga ausmachen: die Sex- und Koksskandale …Genau, man hat einen Haufen testosterongesteuerter junger Männer, die bis zu 150.000 Euro in der Woche verdienen und täglich mit allen denkbaren Verlockungen konfrontiert werden. Und dann ist da die FIFA, eine der korruptesten Organisationen des Planeten, schlimmer als die Mafia.Ein Bestsellerstoff also, oder?Würde man meinen, aber das Buch hat sich in Großbritannien höchstens ordentlich verkauft. Dafür lief es in Spanien ziemlich gut. Vielleicht, weil der Fußball dort Teil der Kultur ist. Ich wurde in Barcelonas Camp Nou interviewt und in Madrid zu einem Meet&Greet mit den Spielern eingeladen – in England undenkbar. Hier ist Fußball nur ein Sport. Und Sport gehört nicht zur Kultur. In Spanien hingegen habe ich im TV mit José Mourinho über Fußball diskutiert.Placeholder infobox-2Chelseas Trainer hat sich ja selbst den Titel „The Special One“ verliehen …Und das mit Recht: Mourinho war für den englischen Fußball ein Glücksgriff. Vorher gab es nur Typen wie Alex Ferguson, die rumpelige Trainingsanzüge trugen, meist ziemlich wütend dreinschauten und wenig Interessantes zu sagen hatten. Mourinho hingegen ist ein Fußballphilosoph, der noch dazu aussieht, als käme er direkt aus der GQ. Vielleicht könnte Jürgen Klopp eine ähnliche Rolle im englischen Fußball spielen. Er ist clever und sieht smart aus.War Klopps Entscheidung für Liverpool richtig?Ausgerechnet Liverpool! Eine schreckliche Stadt – auch wenn Dortmund wahrscheinlich nicht viel besser sein dürfte.Zurück zu Mourinho – er hat verdächtig viel Ähnlichkeit mit João Zarco, dem Trainer in Ihrem Roman. Beide sind Portugiesen, schlau und bösartig …Eine Inspiration war Mourinho schon, aber letztlich ist João Zarco Fiktion, so wie auch London City, der Club, den er trainiert.Sie haben diesen Club erfunden. Warum?Wenn Sie ein Buch über Arsenal schreiben, wird kein Tottenham-Fan es lesen. Außerdem konnte ich so über alle möglichen Dinge schreiben, ohne Angst haben zu müssen, jemandem auf die Füße zu treten oder verklagt zu werden.Wenn man „Wintertransfer“ liest, bekommt man das Gefühl, dass Sie wütend sind auf den Fußball.Ach, da ärgert mich schon viel, die extremen Eintrittspreise etwa. Aber worüber ich mich wirklich aufrege, ist, wenn ich in der BBC höre, dass Brasilien die wahre Heimat des Fußballs sei. Fußball wurde in England erfunden. Wir haben die Regeln gemacht, und zwar im Pub mit dem Namen „Freemasons Arms“. Falls Sie mal wieder in London sind, müssen Sie hingehen. An der Wand hängen noch die originalen Regeln, dazu viele historische Fotos.Vielleicht geht es um die Leidenschaft der Menschen?Wer sagt denn, dass Briten den Fußball weniger lieben als Brasilianer. Die BBC? Fuck off!Was am modernen Fußball empfinden Sie als positiv?Vor allem, dass es nicht mehr gefährlich ist, in Großbritannien zu einem Fußballspiel zu gehen, so wie noch in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Außer wenn Sie in Glasgow leben, einer Stadt, die durch die Religion getrennt ist …Haben Sie als Junge geträumt, Profifußballer zu werden?Nein, ich hatte kein besonderes Talent. Ich wusste schon als Kind, dass ich einmal Schriftsteller sein würde, ich habe als jugendlicher James-Bond-Fan meine ersten Spionagethriller geschrieben.Waren Ihre Eltern begeistert, dass ihr Sohn Schriftsteller wird?Mein Vater eher nicht. Er wollte, dass ich etwas Anständiges werde, am liebsten Anwalt. Ich wollte aber nie ein bürgerliches Leben führen. Ich sah mich als Bohemien.Kam es dazu?Einerseits natürlich nicht: Ich bin verheiratet, habe drei Kinder. Aber mein Beruf lässt mir natürlich ziemliche Freiheiten.Klingt amüsant, aber hat das Schriftstellerleben nicht auch seine Schattenseiten?Na klar, dreiwöchige Lesereisen in die USA zum Beispiel. Jeden Tag eine andere Stadt, in der man vor 100 Fremden über sich selbst redet. Es ist nervenaufreibend, erschöpfend, deprimierend. Das einzige Mal, dass ich ernsthaft über Selbstmord nachgedacht habe, war während einer solchen Ochsentour. Es gibt nur eine einzige Sache, die für einen Schriftsteller schlimmer ist als eine Lesereise durch die USA – nicht gefragt zu werden, ob man eine Lesereise durch die USA machen will.Hat dieses Unwohlsein etwas damit zu tun, dass Schriftsteller am liebsten zu Hause am Schreibtisch sitzen und arbeiten?Ja, als Schriftsteller entwickelst du eine Art Schizophrenie. Da gibt es den Mann, der allein am Schreibtisch sitzt und schreibt. Ein antisoziales, misanthropisches Wesen. Und dann, auf Tour, musst du plötzlich eloquent, freundlich, witzig, unterhaltsam sein.Sie schreiben Kinderbücher, Krimis, Sci-Fi-Thriller und historische Romane ...Ich schreibe darüber, was mich gerade interessiert. Ob es religiöser Fanatismus ist oder Fußball.Sie haben einmal über Martin Amis gesagt, dass die Leute immer wieder dieselben Bücher von ihm lesen wollen, die er am Anfang seiner Karriere schrieb. Er hält sich ebenso wenig daran wie Sie, oder?Richtig, er ist ein großartiger Autor, hat aber ein Problem: Er ist davon überzeugt, dass er ein großartiger Autor ist. Das ist der Unterschied: Ich nehme meine Arbeit ernst, mich selbst aber nicht. Anders als ich sucht Amis immer nach den großen Themen, anstatt darüber zu schreiben, wovon er wirklich etwas versteht.Aber Sie haben jetzt über Fußball geschrieben, ein riesiges Thema…Das sehen die Kritiker der London Review of Books aber anders! Die meisten Intellektuellen nehmen ein Thema wie Fußball nicht ernst. Also, ich könnte mich in meinen Fußballkrimis natürlich noch intensiver mit dem Fußball auseinandersetzen, aber ich finde es wichtiger, unterhaltsam zu sein. Erst musst du die Leute unterhalten, dann kannst du ernste Themen anschneiden. Viele Schriftsteller, wie Amis, gehen andersherum heran. Und vergraulen dann ihre Leser.Mit Ihrer Reihe um den Polizisten Bernie Gunther wurden Sie berühmt. Was macht das Thema Nationalsozialismus so spannend für Briten?In England hat man es kultiviert, sich moralisch aufs hohe Ross zu setzen, was den Zweiten Weltkrieg angeht. Da gerät dann gern in Vergessenheit, dass das britische Imperium jede Menge Dreck am Stecken hat. Denken Sie an den Indischen Aufstand von 1857. Wir haben ihn niedergeschlagen und uns dabei benommen wie die SS.In England war es lange Zeit so, dass Deutsche vor allem als Bösewichte oder Karikaturen gezeigt wurden. Mit Bernie Gunther haben Sie eine ambivalente Figur geschaffen. Bernie versucht, in schlimmen Zeiten ein guter Mensch zu bleiben. Wie kam das in England an?Erstaunlich gut. Es hat etwas gedauert, aber schließlich haben meine Leser gemerkt, dass es auch viele Deutsche gab, die es entsetzlich fanden, unter dem Naziregime zu leben. Ich habe mich gefragt, wie es für so jemanden war, für diese Menschen arbeiten zu müssen. Vor allem für einen wie Bernie. Ein anständiger Kerl, der ständig Entscheidungen treffen muss, die ihn in ein moralisches Dilemma treiben.Dass er die ganze Zeit auf diesem dünnen Seil spaziert, macht ihn ja erst zu einer interessanten Figur …… genau, würde er immer das moralisch Richtige tun, wäre er ziemlich langweilig. Und vor allem: tot.Sie haben Bernie in elf Romanen von Berlin nach Prag und Paris, an die Ostfront und schließlich bis nach Kuba gehetzt. Wo kann die Reise jetzt noch hingehen?Nach Obersalzberg. Ein spannender Ort, denn anders als viele glauben, wurde Hitler hier nicht verehrt, sondern gehasst, weil damals viele Häuser beschlagnahmt wurden und die ganze Gegend darunter zu leiden hatte, dass die Nazis sich dort breitmachten.Die ersten drei Bernie-Gunther-Romane haben Sie vor mehr als 20 Jahren geschrieben. Sie spielten am Ende der Weimarer Republik und wirkten ein wenig, als hätte Raymond Chandler seinen Helden Philip Marlowe nach Berlin verfrachtet.Sie haben recht, es war ein Pastiche. Ich habe damals noch nicht darüber nachgedacht, eine so komplexe Figur zu schaffen, wie Bernie Gunther sie inzwischen ist. Ich war damals jünger, aber Bernie auch.Werden Sie mit Bernie Gunther alt werden?Man muss aufpassen: Viele Autoren schreiben viel zu viele Romane mit demselben Helden. Irgendwann hassen Sie ihre Figuren, so wie es Ian Fleming mit James Bond ging. Also: Noch ein oder zwei Bücher, dann ist Schluss.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1Placeholder infobox-3
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