„Irgendwann muss man sich entscheiden, was man will“
Mahsuni Aygün, 40, Eigentümer und Geschäftsführer des Barista-Cafés „Pure Origins“
Meine Eltern sind 1972 aus der Türkei gekommen, ich wurde 1976 in Berlin geboren. Ich habe ganz bewusst die deutsche Staatsbürgerschaft gewählt, ich will keinen Doppelpass. Irgendwann muss man sich entscheiden, finde ich. Für mich war das nicht so schwer. Ich gehöre den Aleviten an, eine Glaubensrichtung, die in der Türkei lange verfolgt wurde. Symbol dafür ist das Pogrom von Sivas, wo der islamistische Mob ein Kulturfestival überfiel und ein Hotel anzündete. Damals starben 33 alevitische Dichter und Musiker in den Flammen.
Heute ist es anders, aber es ist noch lange nicht gut. In der Politik zum Beispiel haben Aleviten immer noch keine Chance, es gibt allgemein wenig Aufstiegsmög-lichkeiten. Politisch ist die Lage kompliziert in der Türkei. Erdoğan hat das Land fest in seiner Hand. Seit 20 Jahren baut er ein System von Politik und Geschäft auf. Jetzt ist er auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Ich und mein Bruder haben hier in Berlin ein modernes Barista-Café aufgebaut. Unsere Röster sind Künstler, und wir wollen weiter expandieren. Wir wollen keine türkische Staatsbürgerschaft, wir sind hier zu Hause.
Das gilt übrigens nicht nur für uns. Viele ältere Türken, die eigentlich zurück wollten, sind verunsichert. Man sagt immer die Jungen sind zerrissen, die Alten sind es viel mehr. Sie haben hier ihre Familie und zu Hause ihre Wurzeln. Wer lange hier gelebt hat, der weiß, dass es viel besser ist als in der Türkei. Egal ob man ein Geschäft eröffnen will oder zu Behörden muss. Ich verstehe, dass es schwer ist für einen Jugendlichen, sich zu entscheiden. Für mich war das irgendwann ganz klar. Ich hoffe, dass Aleviten in der Türkei ihre Rechte bekommen.
„Die Frage nach der Nationalität finde ich überholt“
Soma Sohrabi, 33, Diplom-Politikwisschenschaftlerin, im Iran geborene Berlinerin
Ich bin Kurdin. Aber Kurdistan gibt es ja nun mal nicht. Da mein Vater Iraner ist, habe ich automatisch die iranische Staatsbürgerschaft. Dort gilt das Abstammungsprinzip. Der Iran entlässt seine Bürger nicht aus der Staatsbürgerschaft. Wenn ich mich im Iran aufhalte, habe ich keine deutschen Rechte. Als ich vier Jahre alt war, musste meine Familie wegen der politischen Situation aus dem Iran nach Deutschland flüchten. Seit 1996 habe ich auch einen deutschen Pass.
Die ganze Frage um die Nationalstaatsangehörigkeit finde ich ziemlich überholt. Man muss Rechte haben und Schutz ge-nießen. Und das funktioniert nur über die altmodische Form des Papieres. Das drückt kein Gefühl aus. Menschen haben aber nun mal eine Vielfalt von Lebenswirklichkeiten und Identitäten.
Ich bin generell dagegen, dass sich die deutsche Regierung an Kriegen beteiligt und Verträge mit Diktatoren und Autokraten schließt. Aber wenn ein Teil der eigenen Bürger Wurzeln in diesen Ländern hat, ist das erst recht keine Repräsentanz im Sinne einer Demokratie, die ja eigentlich alle auffangen sollte. Auch die Minderheiten.
Jeder hat Verknüpfungspunkte mit der Migration. Sie ist ja kein neues Phänomen sondern ein Motor der Menschheitsgeschichte. Die Frage nach irgendwelchen Papieren, nach Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit finde ich einfach falsch, wenn Menschen Hilfe und Schutz brauchen. Es geht um Humanismus – gerade Deutschland ist als drittgrößter Waffen-exporteur in der Pflicht.
„Wenn ich in die Türkei reise, kann man mich festhalten“
Murat Dikenci, 28, ist Schauspieler, er ist in Hannover geboren
Die deutsche Staatsbürgerschaft haben meine Eltern beantragt, nachdem wir 1997 bei einem geplanten Urlaub nach Dänemark an der Grenze festgesetzt wurden. Somit diente der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft größtenteils dem Zweck der erweiterten Reisefreiheit. Durch meinen Zivildienst hier war die Wehrpflicht in der Türkei abgegolten – ein hübscher Nebeneffekt.
Die türkische Staatsbürgerschaft zu behalten finde ich wichtig. So halte ich mir die Option offen, in der Türkei mit all den Rechten und Pflichten – Arbeitsgenehmigungen, Rechtsgeschäfte et cetera – leben zu können. Gerade ist es aber kompliziert: Wenn ich jetzt in die Türkei einreise, kann man mich als Türken festhalten. Wäre ich nur Deutscher, wäre das nicht möglich.
Mir ist meine doppelte Staatsbürgerschaft dennoch wichtig – sie spiegelt meine transkulturelle Identität in einer glo-balisierten Zeit wider. Ich finde nicht, dass man sich für eine Staatsbürgerschaft bekennen, identifizieren oder dafür etwas leisten muss.
Das Prinzip der effektiven Staatsbürgerschaft für Doppelstaatler reicht hierbei vollkommen aus. Die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft wäre eine Beschneidung eines der wenigen Privilegien, die Menschen haben, die in eine absurde Situation hineingeboren sind. Diese Situation gilt es nicht als Benachteiligung, sondern als Zugewinn sehen.
Mir kommt es abstrus vor, dass sich das „Kind“ zwischen „Vater“ und „Mutter“ entscheiden soll. Einer von beiden wirkt zwar autokratischer und droht mit Maßregelung. Aber für die Herkunft der Eltern kann kein Mensch was. Man nimmt sie halt hin, revoltiert oder meidet so lange den einen, bis er sich wieder beruhigt hat. Wenn das nicht hilft, trennt man sich zur Not halt von dem einen.
„Mein Pass verbindet mich mit meiner Familie“
David Feeney, 26, studiert in Freiburg Informatik und Geschichte, ist Ire, Engländer und Deutscher
Geboren bin ich im Vereinigten Königreich, in Reading, das ist im Süden Englands. Meine Mutter ist Irin, also bin ich von Geburt an schon Mehrstaatler. In meinem ersten Lebensjahr verschlug es meine Eltern nach Aachen, jetzt studiere ich in Freiburg. Erst 2013 habe ich im Alter von 23 Jahren, also nach 22 Jahren Aufenthalt in Deutschland, die Einbürgerung beantragt, die mir ein halbes Jahr später erteilt wurde. Mit den Dokumenten dauerte es noch etwas. Seit Mai 2015 habe ich irische und deutsche Papiere, aber der irische Ausweis läuft 2020 aus. Das Recht auf einen britischen Pass habe ich auch. Habe ich aber nie beantragt, da das teuer ist und in der EU keinen Mehrwert hat.
Staatsangehörigkeiten sind der rechtliche Spiegel der nationalen und ethnischen Differenzierungen unserer Welt. Für den Einheimischen ist der Pass das, was ihn vor dem Staat vom Migranten unterscheidet, weil Hautfarbe und akzent-freies Deutsch rechtlich nicht zählen. Der Pass ist damit auch identitätsstiftender und emotionaler Anker der empfundenen Zugehörigkeit zur größten gedachten sozialen Einheit, nämlich der der Nation.
Für uns Menschen mit auswärtigen Wurzeln ist der Pass aber oft auch eine der wenigen spürbaren Spuren der Familiengeschichte oder der eigenen Migration. Mein Pass ist neben dem Namen wohl das Irischste an mir – er verbindet mich mit meiner Familie, meinen Vorfahren. Die Aufgabe der Staatsangehörigkeit zertrennt dieses Band und ist eine schwere Entscheidung gegen die Vergangenheit und den möglichen Weg zurück. In meiner Familie hat sich sonst niemand je einbürgern lassen. Für mich war die demokratische Partizipation ein wichtiges Argument für die deutsche Staatsangehörigkeit.
„Oha, woher haben Sie denn so gut deutsch gelernt“
Ji-Hun Kim, 37, ist Chefredakteur und Geschäftsführer des Portals „Das Filter“
Ich wurde 1979 als Sohn koreanischer Gastarbeiter in Castrop-Rauxel geboren, bin in Deutschland zur Schule gegangen, habe hier studiert und arbeite seit vielen Jahren als Journalist und Redakteur in Berlin. Seit meiner Geburt habe ich einen südkoreanischen Pass. Mein offizieller Status lautet: Bildungsinländer mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis. Ich habe mir immer eine doppelte Staatsbürgerschaft gewünscht. In meinem konkreten Fall ging es aber nie und wird es wohl auch weiterhin nicht. Man müsse sich entscheiden, heißt es. Aber wo-für? Dass man sich mit einem Land identifiziert, das mich permanent darauf aufmerksam macht, dass ich am Ende immer Ausländer bleiben werde? „Oha, wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt? Beeindruckend, kein Akzent!“ Oder: „Ach so, Ihr Name ist Kim, kommen Sie aus Nord- oder Südkorea?“ Ich tue mich trotz so vieler Jahre hier im Land schwer, zu sagen: Ich bin Deutscher. Fragen Sie doch die Tausende Pegida-&AfD-Anhänger, Frei.Wild-Fans, reaktionären CDU/CSU-Hardliner und fahnenschwingenden Schlander mit einem Bild von mir, ob ich Deutscher sei. Die Antwort: „Wenn er einen deutschen Pass hat, dann natürlich“, werden Sie mit ziemlicher Sicherheit nicht zu hören bekommen. Oft wird derzeit diskutiert, ob gerade Deutschland nicht aus der furchtbaren Geschichte gelernt haben müsse. Wenn ich die Nachrichten mit xenophoben Flüchtlingsdebatten, brennenden Sammelunterkünften und rassistischen Übergriffen lese, dann bin ich mir zum einen manchmal nicht mehr so sicher, und zum anderen fühle ich mich seit dem Beginn des seit einigen Jahren andauernden europaweiten Rechtsrucks und seiner gesellschaftlichen Duldung auch nicht mehr so sicher. Ein Herr Gauland würde wohl sagen: „Dann soll er halt wieder zurück.“ Zurück in ein Land, das ich nur aus den Sommerferien kenne. Aber ja, für den Fall hätte ich wenigstens schon den richtigen Reisepass.
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