Ideologie mit Fango und Feige

Gesundheit Möglichst fit zu sein, ist das Gebot der Stunde. Doch das führt oft zur Entsolidarisierung
Ausgabe 25/2016
Die Wellnessideologie verbirgt das Politische der Gesellschaft
Die Wellnessideologie verbirgt das Politische der Gesellschaft

Foto: ChinaPhotoPress/Getty Images

Freilich schmeckte der Spargel toll, auch die jungen Kartoffeln, aber das Drumherum war ein bisschen anstrengend. Abendessen bei Kiezbekannten, zwei Kinder, große Altbauwohnung: „Der Spargel ist vom Wochenmarkt, der Salat, du musst den Salat probieren, der hat wirklich Dreck gesehen, wurde nicht mit Konservierungsstoffen vollgepumpt und im Plastikmantel zum Supermarkt geschifft“ – so ein Abend war das, ein langer Esstisch, ein Anlageberater, ein Maler, eine Frau mit Yogastudio, keiner raucht, alle sehen glänzend aus, Stirnrunzeln über Essgewohnheiten der Discounterdeutschen, klares Bekenntnis zu Fitness.

Solche Abendessen weisen auf eine Annahme, die immer mehr zu einer körperpolitischen Matrix geworden ist: Gesundes Essen, Sport, die Sorge um sich selbst ist jedermanns moralische Verpflichtung; der fitte Körper Rüstzeug, um auf dem Markt zu bestehen. Deutlich wird das am Gegenteil: Die Fetten, die Raucher, die Unsportlichen sind irgendwie selbst schuld. Marschierpulver sind die Drogen der Stunde, Substanzen zum Träumen zu unproduktiv. Achtsamkeitskurse haben nichts mit Straßenverkehr zu tun, sondern lauschen ins Körperinnere, aus dem wächst ein Dogma und ein moralisches Reservoir. Der gesunde, gut ernährte Mensch muss integer sein, die anderen sind eher Devianten und selbst Schuld, wenn es nicht vorangeht.

Man kann beliebige Zeitungen aufschlagen und mokante Lesestücke über Essgewohnheiten finden, Dehnübungen, Fitnessmaschinen. Der Spiegel berichtet über Orthorexie als Spinnerei linker Subkultur, Die Welt lotet den Optimierungswahn zwischen Harry Potter, Jungunternehmern und Julia Klöckner aus. Die Hipster-Beauftragte des Zeit-Magazins probiert Bieryoga. Kann man machen. Aber man kann auch noch ein Glas vom organischen Weißwein trinken und sich trotzdem wundern, wie aus Foucaults Sorge um sich selbst, mit Postfeminismus und Ökologiebewegung eine perfekte Komplementäreinstellung zum entgrenzten Kapital wurde.

Während sich die wenigsten Feuilletonisten mit Luc Boltanskis und Ève Chiapellos Studie Der neue Geist des Kapitalismus plagen mochten, gibt es jetzt eine Alternative, mit der man ebenfalls von bloßer Beschreibung von Phänomenen wegkäme. Die Organisationstheoretiker Carl Cederström und André Spicer untersuchen mit dem Wellness-Syndrom (Edition Tiamat 2016, 191 S., 16 €) nicht nur Glücksdoktrin und Perfektionsgedanken, sie finden im Konzept der Wellness eine zentrale Ideologie unserer Zeit. Dabei wohnt der Wellnessgedanke nicht in der Fangopackung des Landhotels, sondern bimst dem Einzelnen den ästhetischen Teil des Kapitalismus ein.

Spätestens wenn Universitäten, Stadtverwaltungen und Arbeitgeber Gesundheitsverträge mit Beschäftigten abschließen, wird aus löblicher Vorsorge eine Doktrin. Und indem wir uns mit Schuldgefühlen nach fehlgeschlagenen Diäten oder abgebrochenen Laufeinheiten herumschlagen, haben wir ihr längst ein Türchen geöffnet und richten die Drohung der Autorität nun gegen uns selbst – wir ketten uns an unsere Körper, machen uns durch sie verantwortlich für das Scheitern auf dem Arbeitsmarkt. Die Wellnessideologie verbirgt das Politische der Gesellschaft, die Ausbeutung der Arbeit unter dem strahlenden Sieg des Einzelnen. Entsolidarisierung ist sein Schatten. Wellness ist ein Glückskeks mit Anleitungen zur Selbstausbeutung. Eh klar: Feigensorbet ist keine Revolte, ich hab dann doppelt zugegriffen. Sonst wollte keiner.

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