Freilich schmeckte der Spargel toll, auch die jungen Kartoffeln, aber das Drumherum war ein bisschen anstrengend. Abendessen bei Kiezbekannten, zwei Kinder, große Altbauwohnung: „Der Spargel ist vom Wochenmarkt, der Salat, du musst den Salat probieren, der hat wirklich Dreck gesehen, wurde nicht mit Konservierungsstoffen vollgepumpt und im Plastikmantel zum Supermarkt geschifft“ – so ein Abend war das, ein langer Esstisch, ein Anlageberater, ein Maler, eine Frau mit Yogastudio, keiner raucht, alle sehen glänzend aus, Stirnrunzeln über Essgewohnheiten der Discounterdeutschen, klares Bekenntnis zu Fitness.
Solche Abendessen weisen auf eine Annahme, die immer mehr zu einer körperpolitischen Matrix geworden ist: Gesundes Essen, Sport, die Sorge um sich selbst ist jedermanns moralische Verpflichtung; der fitte Körper Rüstzeug, um auf dem Markt zu bestehen. Deutlich wird das am Gegenteil: Die Fetten, die Raucher, die Unsportlichen sind irgendwie selbst schuld. Marschierpulver sind die Drogen der Stunde, Substanzen zum Träumen zu unproduktiv. Achtsamkeitskurse haben nichts mit Straßenverkehr zu tun, sondern lauschen ins Körperinnere, aus dem wächst ein Dogma und ein moralisches Reservoir. Der gesunde, gut ernährte Mensch muss integer sein, die anderen sind eher Devianten und selbst Schuld, wenn es nicht vorangeht.
Man kann beliebige Zeitungen aufschlagen und mokante Lesestücke über Essgewohnheiten finden, Dehnübungen, Fitnessmaschinen. Der Spiegel berichtet über Orthorexie als Spinnerei linker Subkultur, Die Welt lotet den Optimierungswahn zwischen Harry Potter, Jungunternehmern und Julia Klöckner aus. Die Hipster-Beauftragte des Zeit-Magazins probiert Bieryoga. Kann man machen. Aber man kann auch noch ein Glas vom organischen Weißwein trinken und sich trotzdem wundern, wie aus Foucaults Sorge um sich selbst, mit Postfeminismus und Ökologiebewegung eine perfekte Komplementäreinstellung zum entgrenzten Kapital wurde.
Während sich die wenigsten Feuilletonisten mit Luc Boltanskis und Ève Chiapellos Studie Der neue Geist des Kapitalismus plagen mochten, gibt es jetzt eine Alternative, mit der man ebenfalls von bloßer Beschreibung von Phänomenen wegkäme. Die Organisationstheoretiker Carl Cederström und André Spicer untersuchen mit dem Wellness-Syndrom (Edition Tiamat 2016, 191 S., 16 €) nicht nur Glücksdoktrin und Perfektionsgedanken, sie finden im Konzept der Wellness eine zentrale Ideologie unserer Zeit. Dabei wohnt der Wellnessgedanke nicht in der Fangopackung des Landhotels, sondern bimst dem Einzelnen den ästhetischen Teil des Kapitalismus ein.
Spätestens wenn Universitäten, Stadtverwaltungen und Arbeitgeber Gesundheitsverträge mit Beschäftigten abschließen, wird aus löblicher Vorsorge eine Doktrin. Und indem wir uns mit Schuldgefühlen nach fehlgeschlagenen Diäten oder abgebrochenen Laufeinheiten herumschlagen, haben wir ihr längst ein Türchen geöffnet und richten die Drohung der Autorität nun gegen uns selbst – wir ketten uns an unsere Körper, machen uns durch sie verantwortlich für das Scheitern auf dem Arbeitsmarkt. Die Wellnessideologie verbirgt das Politische der Gesellschaft, die Ausbeutung der Arbeit unter dem strahlenden Sieg des Einzelnen. Entsolidarisierung ist sein Schatten. Wellness ist ein Glückskeks mit Anleitungen zur Selbstausbeutung. Eh klar: Feigensorbet ist keine Revolte, ich hab dann doppelt zugegriffen. Sonst wollte keiner.
Kommentare 18
Also, fresst und sauft und ...... weiter so uninspiriert über Gesundheitsthemen schreiben!
schließe mich an: hier ist eine schreib-diät zu empfehlen,
die dem beiträger nicht schadet und den lesern den apetit nicht verdirbt.
Wird das gegenteilige Extrem dann nicht auf schnell unsolidarisch. Rauchen bis zum Schlaganfall, die Gesellschaft zahlt schon?
Was mit fehlt ist die Darstellung der individuell und sozial gesunden Mitte. Darauf erst mal'n doppelten Korn.
PS: Man kann zwar sagen, jeder hätte ein gesetzlich verbrieftes Recht darauf, sich selbst zu schädigen, wie er lustig ist, allerdings hat man auch ein gesetzliches Recht auf vegane Ernährung und darauf vom Yogakurs, gleich zum Cardio-Workout zu gehen. Was Sie also als unsolidarisch kritisieren, ist der moralische Anspruch dahinter. Das durchaus zurecht, denn es ist etwas zynisch, dem Arbeitslosen vorzuwerfen, dass seine Ernährung nicht fair, bio und regional ist, aber gleichzeitig ist die „Leck mich am Arsch“- Haltung vieler, die mit ihrer Gesundheit nicht so dolle umgehen – wie gesagt, das Recht dazu haben sie – unter diesen moralischen Gesichtspunkten auch nicht besser.
An sich ein interessanter Balanceakt, an dem man beleuchten kann, wo individuelle Verantwortung in sozialen Verantwortung übergeht und so soziale Freiheit möglicherweise die individuelle Freiheit einschränkt. Etwa, wenn der Familienvater auf sein Hobby Extremklettern verzichtet. Soll er, muss er? Oder darf man das von ihm nicht verlangen, weil er dann nicht mehr er selbst ist? Beim individuellen Gesundheitswahn kommt hinzu, dass der irgendwann sehr stressig wird, und auch das ist alles andere als gesund. An sich ein tolles und facettenreiches Thema, vielleicht legen Sie es Sich einfach nochmal vor.
"gesunde Mitte"-häääää?
Wenn der Autor schreibt "Spätestens wenn Universitäten, Stadtverwaltungen und Arbeitgeber Gesundheitsverträge mit Beschäftigten abschließen, wird aus löblicher Vorsorge eine Doktrin." Dann ist das höflich gesagt Nonsens.
Die Bundesrepublik Deutschland befolgt die WHO Richtlinien für Gesundheitsprävention und hat eigens im Sozialgesetzbuch (SGB V) Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung neben der individuellen die betriebliche Gesundheitsförderung (Betriebe, Schule, Kindergärten, Unis) verankert. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen dafür Geld abstellen, haben aber in der Vergangenheit dafür zu wenig geworben. Wie man nun auf die abstruse Idee kommen kann, es handle sich bei diesen u.a. Arbeitnehmern und Gebern zuträglichen Maßnahmen der Gesundheitsprävention um eine Doktrin ist mir schleierhaft. Der Autor schreibt da völlig uninformiert ins Blaue. Ich kenne genug Firmen, die z.B.-aufgrund des demographischen Wandels darauf angewiesen sind, hochqualifiziertes älteres Personal zu halten. Es geht längst darum Auszubildende in die Gesundheitsprävention einzubinden. Die Zeiten, dass der Lehrling die schweren Säcke für Ältere schleppt und als Kompensation dafür, dass seine älteren Kollegen*innen sich einst das Kreuz buckelig machten, sind vorbei. Was da angestrebt wird, ist absolut eine Win-win Geschichte.
Übrigens die Präventionsfelder sind grob formuliert: Bewegung, Stress-/Entspannung, Ernährung, Sucht.
Übrigens, es liegen zum Thema “Achtsamkeit“, „Yoga“ oder andere Entspannungstechniken überzeugende Studie für den Benefit für das Herz-Kreislaufsystem, den Bewegungsapparat, die seelische Gesundheit vor. Auch was das Thema Ernährungsberatung anbelangt geht es in Kindergarten-, Schul-und Betriebskantinen, Mensen schon lange nichtmaher um Wellness und Zufriedenheit. Ich könnte hier Seiten damit füllen, halte aber vorerst fest, der Autor möchte das Thema auf seine soziale Schicht beschränken. Ich werde derweil Patienten*innen weiterhin für die Maßnahmen begeistern!
nichtmaher nicht mehr
zum Thema: https://textezurkunst.de/102/neo-bodies-de/
Hätte der "Leistungskampf der deutschen Betriebe" nicht schon die Ideen des gestählten Körpers aufgenommen, von Olympia bis Ovids Narkissos, wären protestantische Arbeitsethiker oder calvinistische Zuchtmeister früher oder später auch darauf gekommen.
Körper, Geist und Seele.
Im "naiven Realismus", dem naturwissenschaftlichen Weltbild, ist nur die Existenz des Körpers zweifelsfrei physikalisch nachzuweisen. Die Physis ist mit der Physik physikalisch nachweisbar. Und wer glaubt denn an Dinge, die nicht wissenschaftlich beweisbar sind?
Die Fixierung auf den Körper, die Physik, die Materie schliesst andere Dimensionen aus. Der allgegenwärtige Materialismus geht von der Prämisse des egoistischen Nutzenmaximierers, des biomechanischen Mess- und Regeltechnikers aus, der im "alternativlosen" Überlebenskampf zur konstanten Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Beachtung abstrakter Ideologien wie "Volksgesundheit" (..) angehalten ist. Das sind die Lehren des reinen Sozialdarwinismus, dem perfiderweise im lukrativen "Gesundheitswesen" noch eine Solidargemeinschaft angedichtet wird, die der Einzelne durch ungesundes Verhalten schädigen würde, also moralisch verwerflich ist.
Ich stimme Ihnen ja zu. Unabhängig vom gesetzlichen Auftrag sehe ich ohnehin nicht ein, warum man positive Dinge immer so drehen und wenden muss, dass möglichst etwas Schlechtes dabei heraus kommt, deshalb habe ich nochmal versucht, im PS zu differenzieren und zu sagen, was ich meine, wollte den Autor aber auch nicht völlig dissen.
Wer auf Gesundheit wert legt, wird nur ausgebeutet, die Firma, die Prävention anbietet will nur mehr Umsatz und vermutlich ist das längere Leben auch nur eine neoliberale Strategie, damit wir länger arbeiten können. Diese Lesart ist einfach eingleisig und etwas gaga. Nein, ich stimme Ihnen vollkommen zu win-win Effekte und kollateralen Nutzen muss man nicht betrauern, auch wenn es Gesundheitsterror usw. tatsächlich gibt.
"Und wer glaubt denn an Dinge, die nicht wissenschaftlich beweisbar sind?"
Ich.
Aber Sie betrachten auch eher die Schattenseiten. Ist längeres Leben, bei guter Gesundheit für Sie denn kein akzeptables Ziel oder kein wünschenswerter Zustsand?
Denn der "anständige Biodeutsche" hat nicht nur das Geld, sich stets gesundheitsbewusst mit auserwählt gesunden Produkten aus durchweg bekannten Erzeugungsketten zu ernähren, sondern "natürlich" auch die Zeit, alle Inhaltsstoffe aller Produkte genau zu recherchieren und sich darüberhinaus konstant zu informieren, was gesundheitsbewusst ist..
191000 Treffer kommen bei Google für "Die narzisstische Gesellschaft", aber schon lange vor dem Netz war klar, wo die Reise hingeht:
"Narzißmus: Antlitz der Epoche" vom 06.08.1979
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40349012.html
Nun, da "Geist" und "Seele" - als verbindende Elemente, als typisch menschliche Phänomene, Zeugnisse und letztlich Quelle von gemeinsamer Kultur (!) - "wegrationalisiert" wurden, fällt nicht nur die weltanschaulich bedingte Entsolidarisierung auf, sondern auch die Unzulänglichkeit dieser Anschauung der Welt, in der es mehr wie Zahlen und Formeln gibt, um alles vermessen, berechnen und schliesslich verwerten zu können. Der vermeintlich gesunde Trend zum "quantified self", zur Selbstvermessung zur Selbstoptimierung entmündigt nicht nur (Geistesverletzung ist im Gegensatz zu Körperverletzung in einer rein materiellen Welt nicht existent..) den Einzelnen, sondern macht ihn noch mehr zum Produkt der Datenindustrie.
Ist ja alles richtig und niemand bestreitet diese Auswüchse, aber dass sind eben Zerrformen. Der nicht gnaz unnormale Wunsch gesund zu sein, ist ja nicht an sich schon pathologisch. Wenn sich alles nur noch um die Gesundheit dreht (und zwar alles und nur noch!) oder Gesundheit wirklich zum Aushängeschild wird, wie einst ds dicke Auto, wird es etwas strage, aber beides sollte man trennen. Die völlig Vernachlässigung der körperlichen Gesundheit ist auch nur in den seltensten Fällen unpathologisch.
Dr. Manfred Lütz hat schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen, daß die Selbstzüchtigung, die übertriebene, stets auf Selbstdarstellung bedachte "körperliche Ertüchtigung", die Gesundheits- und Fitnessmanie durchaus sexuelle Aspekte besitzen kann:
M. Lütz "Lebenslust. Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitwahn und den Fitness-Kult"
http://www.deutschlandfunk.de/manfred-luetz-lebenslust-wider-die-diaet-sadisten-den.730.de.html?dram:article_id=101808
Braucht es nicht regelrechte Masochisten, sich einem rationalistischen - wahrscheinlich doch nicht ganz zielführenden - Diktat der dauernden Optimierung auf mechanisch-physikalischer ("wissenschaftlich erwiesen"..) Ebene aufzuopfern, mit dem "Lohn", sich in moralischer Überlegenheit gegenüber den "Ungesunden", womöglich nicht nur "Ernährungsfaulen", impliziert also Leistungsschwächeren zu wähnen? Mag es nicht dieser Narzissmus sein, der antreibt, Askese, Austerität (!) und Verzicht wie im Mittelalter zu predigen, daß es Protestanten, Calvinisten und anderen Ideologen der "Zucht und Züchtigung" die reinste Freude (vgl. Sadismus) ist..?
Doch! Gerade deshalb ist doch der "marktkonforme" Körperkult, der Gesundheit im Grunde als Leistungsbeweis des Einzelnen darstellt, einmal mehr ungeachtet der Startbedingungen, Hintergründe, Dispositionen. Natürlich zählt das eigene Verhalten, aber eine Doktrin, die politischen wie ökonomischen Interessen nutzt und noch weitere Fragmentierung der Gesellschaft fördert, ist abzulehnen.
Angst- und Stresserkrankungen haben ja durch zunehmenden Leistungsdruck in der Arbeitswelt mitnichten abgenommen, wenn noch "Gesundheitsstress" dazu kommt, der auch nochmals in Zwei- oder Dreiklassen-Systemen organisiert ist, könnte es schon sein, daß die PSYCHE, die Seele, ggf. auch der Geist, allein der Gedanke an diese Maßregelung, Verhaltensvorgaben und Funktionsimperative viele sportliche Bemühungen für "die Fitness" (..) zunichtemachen bzw. nicht den Effekt bringen.
Es gibt immer mehr Studien, daß z.B. gerade Vorsorgeuntersuchungen so viele Sorgen (sic!) auslösen können, daß diese erst zur Krankheit führen, die ohne dauernde, "vorherige Sorge" gar nicht erst entstanden wären..
Die rein körperfixierte Sichtweise auf den Menschen, das Menschenbild, das keinen Gedanken an seelisch-emotionale oder auch psychosoziale Einflussfaktoren auf die Gesundheit verschwendet, kann am Ende sogar gesundheitsschädlich sein.
"Mens sana in corpore sano"
tickt heute noch in vielen Köpfen. Wunderbar, dabei sind alle nicht-körperlichen Faktoren ausgeblendet, die Optimierung des eigenen Körpers bleibt eigenverantwortliche (..) Pflicht, Verweigerung führt zu schlechtem Gewissen und sozialer Ausgrenzung - die krank machen kann.
Das Verhältnis von Gesundheit zu System entspricht ökonomischen Spitzenplätzen: "Eine gesunde Wirtschaft braucht kranke Menschen." (E. Fromm)
Also nichts für ungut, aber das, was hier gesunden soll, ist leider nicht der Mensch... Noch nicht ;)
Okay, danke für die Antwort, JNT, Ihre Antwort hier teile ich nahezu vollkommen.
appetit scheibt man mit 2 "p" am besten
nur wenn man der deutschen sprache mächtig ist und nicht erst wieder frisch zuhause ist, nach drei wochen unter franzosen.