Ideologien kann man nicht erschießen

Nach London Die Anti-Terrorpolitik des Westes ist gescheitert. Der Nahe und Mittlere Osten brauchen eine umfassende Friedenskonferenz – und den Abzug fremder Mächte
Ein junge steht im April 2017 zwischen im Kampf gegen den IS zerstörten Häusern in West-Mosul. Doch Bomben werden den Terror nicht beenden
Ein junge steht im April 2017 zwischen im Kampf gegen den IS zerstörten Häusern in West-Mosul. Doch Bomben werden den Terror nicht beenden

Foto: CHRISTOPHE SIMON/AFP/Getty Images

Die Anschläge von London erfüllen mit Trauer und Abscheu. Doch Bomben-Kriege sind dagegen nicht die richtige Antwort. Die führen wir seit über 15 Jahren. Alles wurde durch sie nur schlimmer. Kein vernunftbegabter Mensch schlägt zur Bekämpfung bissiger Wespen mit Holzlatten auf ihre Nester ein. Weil es dann noch mehr tollwütige Wespen gibt. Doch genau das machen wir mit unseren Kriegen.

Um den Terror zu besiegen brauchen wir einen radikalen Kurswechsel. Die jungen Männer, die bei Bombenangriffen auf Kunduz, Aleppo, Mosul oder Raqqa alles verloren haben, sagen leider nicht: "Ich weiß, Ihr wolltet meine Familie nicht töten. Ihr wolltet Eure großen, edlen Werte verteidigen und nur Terroristen ausschalten. Ihr habt ja so Recht."

Nein, diese jungen Leute schwören blutige Rache. Sie schließen sich nicht uns, sondern dem IS oder anderen Terror-Organisationen an. Durch die Städte-Bombardements der US-geführten 68-Mächte-Koalition, die täglich Zivilisten tötet, steigt auch die Zahl der IS-Terroristen im Westen. Sie sind die Fünfte Kolonne der einst von Al Zarkawi als Antwort auf Bushs Irak-Invasion gegründeten Terror-Organisation. Chamäleon-artig hat sich der IS von einem Territorial-Staat zu einem Kraken-ähnlichen, weltweiten Online-Kalifat weiter entwickelt. Das von unseren strategischen Fehlern lebt.

Unsere Kriege im Mittleren Osten haben in den letzten 15 Jahren den Tod von über 1 Million Zivilisten verursacht. ("Ärzte gegen den Atomkrieg"). Dürfen wir uns wirklich wundern, dass es jetzt weltweit zehntausende Terroristen gibt? Bush, Obama, Trump, Blair, Sarkozy und Cameron, sie alle tragen Mitverantwortung für die Anschläge von London. Wie alle Regierungen, die sich aus Bündnisgründen an diesem kontraproduktiven Irrsinn beteiligen.

Terrorismus ist eine Ideologie. Ideologien kann man nicht erschießen. Man muss sie widerlegen, dem IS die islamische Maske vom Gesicht reißen. Und man muss dem Terrorismus den Nährboden entziehen. Konkret heißt das neben der klassischen Anti-Terrorarbeit im Westen durch Überwachung, Unterwanderung, Bekämpfung des Rekrutierungs-Netzwerks und enger Zusammenarbeit mit jenen "Rückkehrern" aus Syrien und dem Irak, die sich enttäuscht vom IS abgewandt haben:

1.) Wir brauchen eine umfassende Friedenskonferenz für den gesamten Mittleren Osten, die auch den zentralen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran zu lösen versucht. Und die den Weg frei macht für eine gerechte Syrienlösung. Niemand profitiert mehr von der Zerrissenheit Syriens und der Zerstrittenheit der Regional-und Großmächte als der IS.

2.) Der Westen muss seine verdeckten Öl-Kriege beenden. Langfristig sollte er sogar völlig aus dem Mittleren Osten verschwinden. So wie er einst Indien oder China verlassen musste. Er hat im Mittleren Osten nichts zu suchen. Er hat dort nur Chaos und Leid gestiftet.

3.) Wir sollten, zumindest im Irak, den Kampf gegen den "sunnitischen" IS den Sunniten überlassen. Bomben und schwere Artillerie dürften auch sie nicht einsetzen. Führende Sunniten haben das dem Weißen Haus mehrfach vorgeschlagen.

4.) Auch mit Geld lässt sich im Kampf gegen den Terror viel erreichen. Mit einem Esel, vollgepackt mit Dollars, kommt man im Orient weiter als mit jedem Panzer.

Ich weiß, diese Strategie ist komplizierter als Bombenwerfen. Aber langfristig wirkungsvoller und gerechter. Gewalt ist eine ansteckende Krankheit. Und das Leid, das sie auf beiden Seiten verursacht, unvorstellbar. Bis wir es selber erleben. In Berlin, Paris, Manchester oder London.

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