Adrian Goigingers Debüt „Die beste aller Welten“: Idylle mit dem Schuss

Kino Adrian Goigingers Debüt-Film „Die beste aller Welten“ blickt durch die Augen eines Siebenjährigen aufs Drogenmilieu
Ausgabe 39/2017
Dem Kind ist das, was es kennt, die Normalität: Adrian (Jeremy Milker) hat Feuer
Dem Kind ist das, was es kennt, die Normalität: Adrian (Jeremy Milker) hat Feuer

Foto: Polyfilm

Am Ufer der Salzach, ein Kind umarmt die Welt. Die Kamera folgt seinen quirligen Bewegungen, den Kinderbeinen hinterher, die über Felsen springen. Auch die Musik macht auf heile Welt, mit dosierten Ausbrüchen ins Euphorische. Der Junge, Adrian (Jeremy Miliker), zündet einen Kracher, rennt weg und freut sich, als es ordentlich knallt. Er findet einen Stein, den die Mutter Helga (Verena Altenberger) Pfeilspitze nennt und mit einer märchenhaften Geschichte in seine Abenteuerfantasiewelt herüberholt (das ist der Pfeil von deinem Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Opa Ronan, einem Abenteurer. Und in unseren Adern fließt das gleiche Abenteurerblut wie bei ihm).

Mit Günter, dem Stiefvater, wird Holz gesammelt und ein schönes Lagerfeuer gemacht. Später, als es dunkel ist, sind noch andere Männer da. Es wird getanzt, gegrillt und gesoffen. Es gibt ein tolles Feuerwerk, eine Wurst fürs Kind und für die Erwachsenen Heroin. Als der Junge irgendwann inmitten komatöser Körper herumsitzt, ist auch das wohlige Gefühl von Geborgenheit sichtbar erschlafft.

Die beste aller Welten hat einen verlässlichen Halt: eine Umarmung, die mal groß, innig und warm ist, mal etwas schwach und ein bisschen spät dran. Aber sie fehlt nie. Das Kind also umarmt die Welt, die Mutter umarmt das Kind, der Film umarmt mit dem Kind Welt und Mutter und mit der Mutter das Kind. Auch die Betrachterin wird fest gedrückt. Dieses Grundvertrauen, an dem nicht gerüttelt wird, braucht es, ansonsten würde man beim Zusehen ständig innerlich das Jugendamt anrufen wollen. Tut man aber nicht. Damit bewegt sich Adrian Goigingers erstaunliches Debüt nicht nur in einem filmisch eher selten repräsentierten Bereich zwischen Elendserzählung und Glamourisierung. Der Film ist auch das rare Beispiel einer Drogenmilieustudie durch Kinderaugen.

Die beste aller Welten ist Goigingers eigene Geschichte. In den 1990er Jahren wuchs er als Sohn einer schwer heroinsüchtigen Mutter in prekären Verhältnissen am Stadtrand von Salzburg auf; Junkies, Dealer und Kleinkriminelle gehörten ganz selbstverständlich zu seinem erweiterten Familienverband. Der Titel des Films ist dennoch frei von Bitterkeit. Es soll eine schöne Kindheit gewesen sein. Von der therapeutischen Anstrengung einer Vergangenheitsaufarbeitung ist deshalb nichts zu spüren.

Opiumgesöff und Monopoly

Mit nur gelegentlichen Perspektivverschiebungen erzählt der Film konsequent aus der Sicht des Kindes. Dabei steht Die beste aller Welten trotz größtmöglicher Authentizität – vom Salzburger Dialekt bis hin zu drogenmilieuspezifischer Ausstattung und extrem glaubwürdiger Junkie-Maske – nur bedingt dem sozialrealistischen Kino nah. Denn Adrians häusliche Realität zwischen einer Mutter, die mal sehr da ist, mal total weggetreten, wird in keinem Moment als eine Abweichung von einer als gegeben betrachteten gesellschaftlichen Normalität begriffen.

Mit großer Selbstverständlichkeit bewegt sich der Film mit dem Siebenjährigen (die agile Kamera von Yoshi Heimrath hat viel auf Schulranzenhöhe zu tun) durch eine Welt, in der es alltäglich ist, zwischen dicken Rauchschwaden, Bierdosen und Opiumgesöff Monopoly zu spielen oder in Büchern zu blättern. Oder dass „der Grieche“ unangekündigt über den Balkon in die Wohnung kommt und irgendwas vorbeibringt. Die Verstörung, die Gewalt und die Vernachlässigung spart der Film indes nicht aus – etwa wenn die gerade noch so ekstatischen Menschen plötzlich wie halbtot daliegen und Adrian sich selbst überlassen ist. Die Krassheit der Situation erfasst nur das Publikum. „Wegen dir ist mei Kindheit im Oasch“, sagt Adrian einmal zu seiner Mutter, meint damit aber nur ein ganz normales Kinderproblem (kein Bock auf Hort).

Motor des Films ist die Liebesgeschichte zwischen Helga und Adrian – und nicht der dringliche Wunsch der Mutter, von den Drogen loszukommen (sie versucht es immer wieder). Was dieses Liebesverhältnis unter anderem ausmacht, ist eine sehr spezielle Sprachvereinbarung zwischen Mutter und Kind und damit verbunden die Übertragung jeder Bedrohung in eine schillernde Fiktion, an der sich gemeinsam weiterspinnen lässt. In dieser Fiktion gibt es Untote, Menschen ohne Seele, Dämonen, einen Zaubertrank für Kinder und einen für Erwachsene – und das Jugendamt ist einfach nur die Putzbehörde. Goiginger visualisiert Adrians Fiktion, in der ein Abenteurer namens Ronan mit Feuerpfeilen gegen Dämonen kämpft, mit eher unspezifischer Fantasy, irgendwo zwischen Märchenfilm und Game of Thrones.

Das ist zwar nicht unschlüssig – warum sollten die Parallelwelten eines Siebenjährigen auch ästhetisch kreativer gestaltet sein? Und in der Männlichkeit des Helden spiegeln sich durchaus die abgerockten Junkie-Typen, die zu Hause bei der Mutter immer auf der Couch sitzen. Dem Film tun die visuellen Brüche aber nicht unbedingt gut. Und im Vergleich zu Adrians Abenteurersprachwelten fehlt den Szenen tatsächlich so etwas wie Fantasie.

Umso geglückter ist die Verschaltung von Außenblick und kindlicher Innensicht, von Ausnahmesituation und Alltag. Goiginger nimmt sich hier die Freiheit, schwer auszuhaltenden Lagen situationskomische Momente abzugewinnen. Etwa wenn der Mensch vom Jugendamt einen Besuch abstattet und plötzlich der Dealer im Zimmer steht. Das ist natürlich überhaupt nicht lustig. Aber wenn er vorgibt, nur mal eben die Kaffeemaschine ausleihen zu wollen und sich ein grotesker Dialog mit dem Sozialarbeiter entspinnt (Kaffee ist quasi mein Lebenselexier), ist man doch ziemlich froh.

Eingebetteter Medieninhalt

Die beste aller Welten Adrian Goiginger Deutschland/Österreich 2017, 100 Minuten

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