Ihr dürft Bundeskanzler zu mir sagen!

Kolumne In der Haushaltsdebatte im Bundestag sagen Politiker Dinge, die sie sich im echten Leben nicht trauen würden. Vielleicht müssen sie sich ja mit Späßchen bei Laune halten
Steinbrück übt schonmal für Kanzler
Steinbrück übt schonmal für Kanzler

Bild: Sean Gallup/Getty Images

In der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages traten in der vergangenen Woche Redner hervor, deren Reden mehr Beachtung verdienen, als sie gefunden haben. Die Bundeskanzlerin etwa nannte ihre Regierung die beste seit der Wiedervereinigung. Mehrere Sozialdemokraten sprachen von ihrem Kanzlerkandidaten – der noch gar nicht Kanzlerkandidat ist –, als wäre er schon Kanzler.

Und der Kandidat für die Kandidatur selbst titulierte die Bundesregierung als „Panzerknackerbande“, weil sie einer bundeseigenen Bank einen hohen Geldbetrag entnommen habe. Er musste sich später allerdings vorhalten lassen, dass er selbst als Finanzminister einst derselben Bank eine doppelt so hohe Summe für den Bundeshaushalt entnommen hatte.

All das würden diese Politiker als Redner vor einer beliebigen Versammlung von Bürgern draußen im Lande nie und nimmer sagen. Erst recht nicht auf einer Wahlkampfveranstaltung. Man stelle sich auch die Reaktion vor, wenn Angela Merkel beispielsweise in Coesfeld behauptete, ihr derzeitiges Kabinett sei besser als das letzte oder vorletzte von Helmut Kohl. Oder wenn Peer Steinbrück in Greifswald die Leute, die ihn hier wie überall erleben wollen, begrüßen würde mit den Worten: „Ihr dürft Bundeskanzler zu mir sagen“. Da gäbe es wohl nicht stürmischen Applaus, sondern eher entgeistertes Kopfschütteln, oder jemand würde gleich den Amtsarzt rufen.

Wie im Komödienstadl

Daraus könnte man vermutlich den Schluss ziehen, dass die Politiker die Bürger draußen im Lande ernster nehmen als den Kollegen Abgeordneten im Parlament. Es wäre hübsch, wenn die Politologen uns sagen könnten, dass dies der Fall sei. Vom Bürger wollen sie schließlich gewählt werden, die Kollegen – ob in der eigenen Partei oder bei anderen – haben sie eh schon am Hals. Wer will, darf hier Bescheidenheit oder gar Demut erkennen. Es kann aber auch sein, dass die meisten Abgeordneten Haushaltsberatungen so langweilig finden, dass sie Späße machen müssen, um sich ein wenig aufzuheitern.

Aber auch damit könnte man falsch liegen. Wahrscheinlich ist das Fernsehen schuld. Bei der Übertragung fühlen sich viele wie im Komödienstadl. Was einer im Saal vor wirklichen Menschen sich nicht trauen würde, macht er im Fernsehen, weil es da nur Kollegen gibt. Darum lasssen sich Politiker auf ihre Reden im Parlament auch so ungern ansprechen.

Wie etwa der Darsteller des Jago auf der Bühne am Tag drauf im Restaurant. „Warum waren Sie so böse?“ – „Das war doch nur die Rolle!“ Ach so.

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