Porträt Dina Abouelsoud betreibt ein Hostel. Ihr Traum. Es steht nahe des Tahrir-Platzes in Kairo. "Der Ort hat mich gefunden", sagt sie. Von einem freien Ägypten träumt sie noch
Im Eingangsraum von „Dina’s Hostel“ steht eine blasse, etwa 50-jährige Frau. Nervös zieht sie an einer Zigarette. Sie sei Dokumentarfilmerin, ein Geheimdienstmitarbeiter sei ihr gerade gefolgt und habe ihr gedroht, erzählt sie. Das offene Gespräch mit einem Verkehrspolizisten über ihr Filmprojekt sei wohl ein Fehler gewesen.
Dina Abouelsoud, Besitzerin des Hostels, hört ihr zu. Sie beruhigt die Frau. Kein Grund zur Sorge, die Geheimdienstler würden ihr nur einen Schrecken einjagen wollen. Dann wendet sich Abouelsoud zwei asiatischen Gästen zu und plant für die beiden auf einer Landkarte eine Tagestour. Das Hin- und Herspringen zwischen der angespannten politischen Situation in Kairo mehr als ein Jahr nach Mubaraks Sturz und den
z und den Wünschen normaler Ägypten-Touristen ist Alltag für Abouelsoud. Seit dem Beginn der Revolution im Januar 2011 ist die 36-Jährige mehr als nur Besitzerin eines Hostels in der Nähe des Tahrir-Platzes. Sie kämpft für Ägyptens Demokratisierung – und versucht zugleich, das touristische Tagesgeschäft aufrecht zu erhalten.„Manchmal fühle ich mich wie die Mutter einer Großfamilie“, witzelt Abouelsoud. Sie trägt die Haare kurz, ihre Locken stehen widerspenstig ab. „Dina’s Hostel“ liegt nordöstlich vom Tahrir-Platz, zwischen Nil und altem islamischen Viertel. Hier strapaziert das Gewimmel der Menschen und der Stoßstange an Stoßstange rollenden Autos die Sinne. Viele Häuser stammen aus dem 19. Jahrhundert, bürgerliche Architektur, die Bausubstanz ist mürbe.Im fünften Stock eines roten Backstein-Gebäudes befindet sich das Hostel. Ein alter Fahrstuhl aus Holz und Eisen klappert hinauf. Es ist wenig los. Erst kürzlich hat eine Gruppe deutscher und französischer Künstler die Buchung storniert – wegen Sicherheitsbedenken. Abouelsoud zuckt mit den Schultern. So ist das eben seit sich die ägyptische Bevölkerung entschlossen hatte, keine Ruhe mehr zu geben, bis Mubarak zurückgetreten war. „Für das Land war es natürlich gut, aber das Hostel war monatelang leer. Eine Katastrophe für den Tourismus.“Die Erfüllung eines TraumsWie schlecht es geschäftlich läuft, lässt sich Abouelsoud kaum anmerken. Zu sehr brennt sie für die Anliegen der Revolution – und zu sehr ist das Hostel die Erfüllung eines Traums: „Der Ort hat mich gefunden, nicht ich ihn.“ Mit Unterstützung ihrer Freunde hat sie den Altbau renoviert und eingerichtet: Bunte Sitzkissen auf dem Boden der Gemeinschaftsräume, eine offene Küche, eine Bücherecke.Das Hostel ist für sie ein Stück Emanzipation. Ende der neunziger Jahre war Abouelsoud aus ihrer Heimatstadt Alexandria aufgebrochen, um als Reiseleiterin und in Hostels zu arbeiten, in Kairo, Sharm El-Sheikh, der Weißen Wüste. Nach zehn Jahren beschloss sie, sich selbstständig zu machen. Sie brauchte Freiraum. „Bei uns gibt es ein altes Sprichwort: ‚Binde den Esel dort an, wo es sein Besitzer will.’ Das war nie mein Ding. Ich hatte immer eigene Ideen.“Ist das in Ägypten für eine Frau besonders schwierig? „Als Frau wirst du kaum respektiert“, erzählt sie. „Vor allem, wenn du Anweisungen gibst. Die Leute nehmen dich einfach nicht ernst. Besonders Männer wollen nicht tun, was eine Frau ihnen sagt.“Nachdem sie die richtigen Räume gefunden und die Hostel-Lizenzen hatte, eröffnete sie zum Jahreswechsel 2009/10. Ihre Familie erzählte sie nichts, sie wollte sich erst etablieren. Noch heute wissen nicht alle Verwandten Bescheid. Ihre Mutter sei aber inzwischen stolz auf sie. Das erste Jahr war das Hostel ausgebucht, überbucht. Eine euphorische Zeit. Als die große Nachbarwohnung frei wurde, war klar: Sie würde erweitern. Den neuen Trakt weihte sie wenige Tage vor dem 25. Januar ein. Dann kamen keine Touristen mehr, die Räume standen aber nicht leer. „Die Leute hatten Angst, bei ihnen zuhause Treffen abzuhalten“, erzählt Abouelsoud. „Darum habe ich meine Türen geöffnet.“ Die Demonstranten konnten sich aufwärmen, duschen, eine Mahlzeit bekommen, in den Betten übernachten. Es war ein Rückzugsort, nur eine Viertel Stunde Fußweg entfernt vom Tahrir-Platz.Die wenigen ausländischen Journalisten, die nach einiger Zeit wieder ins Hostel kamen, zeigten sich begeistert: Hier werde Geschichte geschrieben. Seitdem sind die politischen Treffen in „Dina’s Hostel“ offen für Weltenbummler wie Revolutionäre. „Wer mit auf den Tahrir-Platz kommen möchte, kann das jetzt tun“, sagt sie. Es ist Freitagmittag, drei Gäste schließen sich ihr an. Mit den Gästen im Schlepptau schlängelt sie sich durch die Menge auf dem Platz, hört hier und dort zu, checkt Diskussionen ab, Gruppierungen, Bühnen. Ihr Handy klingelt: Nawal El Saadawi ist unterwegs zum Platz. Die 80-jährige Schriftstellerin und Ärztin ist Ägyptens berühmteste Feministin, sie will sich unter die Demonstranten mischen. Abouelsoud strahlt.Am späten Nachmittag kommt El Saadawi dann ins Hostel. Im vergangenen März hat sie mit der Neugründung der „Ägyptischen Frauen Union“ an ihre politische Arbeit früherer Jahre angeknüpft. Die Union ist Teil einer säkularen feministischen Bewegung. Bei einem spontanen Treffen im Aufenthaltsraum des Hostels sitzen auch drei junge Männer in der Runde. Die Grande Dame des Feminismus thront in der Mitte und diskutiert die Agenda. Die Mängelliste ist lang, der Kampfgeist groß.Abouelsoud erinnert sich an die Widerstände, die sie selbst überwinden musste: „Für diese Leute war es kein Spaziergang mit mir. Ich habe eine starke Persönlichkeit, damit kamen sie nicht klar.“ Sie – das sind Behörden, Polizei, Geheimdienste. „Sie haben damit gedroht, mir keine Lizenz zu geben. Ich habe es schließlich doch geschafft.“ Um Bestechungsgeld kam sie dabei zum ersten Mal in ihrem Leben nicht herum. Bis dahin hatte sie stets schlicht auf ihre Rechte bestanden und geduldig länger gewartet. Im Hostelgeschäft war das unmöglich. „Es ist eine große Mafia, die in den Ämtern beim Pförtner anfängt. Wenn ich ihm sage, dass ich eine Lizenz brauche, rechnet er: Hostel gleich Touristen gleich Geld, viel Geld.“Schließlich zahlte Abouelsoud. Es liefen bereits Mietkosten auf. Sie konnte es sich nicht leisten, länger zu warten. Eine neue Rolle als Chefin wartete auf sie. Zunächst wollte sie nur Frauen einstellen, denn männliche Mitarbeiter seien „auf Frauen, Sex, Geld“ aus. Doch die Idee musste sie fallen lassen, schon deshalb, weil Frauen nicht allein Nachtschichten arbeiten dürfen.Der nächste Plan: besonders gläubige Männer einstellen. Abouelsoud grinst, als sie daran denkt, wie naiv das war. Auch diese haben weiblichen Gästen Briefchen geschrieben, Blumen geschenkt. „Ich erhielt SMS: ‚Bitte sag deinem Angestellten, dass er mich nicht anrufen soll.’ Dieser Angestellte hatte aber nicht nur fünf Mal am Tag gebetet, sondern fünf Mal in der Stunde, also immer. Ich habe keine Ahnung, wann er überhaupt Zeit für so was hatte.“Die Einstellungskriterien heute: jung, englischsprachig – und unerfahren im Hostelbetrieb, also: unverdorben. Mit der Folge, dass das Personal viel Anleitung braucht. „Es macht mich manchmal verrückt, wenn sie mich permanent anrufen, für die kleinsten Fragen. Sie haben Angst, etwas selbst zu entscheiden.“ Aber es fällt Abouelsoud auch schwer, die Dinge aus der Hand zu geben. Es ist ihr Ort. Sie wohnt sogar dort, ein Stockwerk höher.Und sie ist bekannt in der Kairoer Aktivisten- und Kulturszene. Auch der Städteplaner Mohamed Elshahed hat von ihr gehört. CairObserver heißt sein Blog, er ist ein brillanter Beobachter der Mega-Stadt. Für ein Gespräch schlägt er ein Treffen in einem Kulturzentrum vor. Die Art, wie Abouelsoud Reisende und die Bevölkerung zusammenbringe, sei ganz und gar ungewöhnlich, sagt Elshahed: „Dieser paranoide Staat ist der Meinung, Touristen sollten sich nicht unters Volk mischen. Die Touristenströme werden an wenige Orte gelenkt, ans Rote Meer, in die Wüste, zu den antiken Stätten, doch kaum in die großen Städte. Die Regierung ist sehr bemüht, die Stadtbevölkerung zu kontrollieren. Das wäre schwieriger, wenn überall Touristen sind.“Klagen der Politiker über sinkende Touristenzahlen findet er scheinheilig: „Einerseits beschwert man sich, dass der Tourismus eingebrochen ist. Gleichzeitig verbreitet die Regierung aber, dass die Protestierenden ausländische Spione mit bösen Absichten seien.“ Polizisten griffen diesen Vorwurf gern auf, sagt Abouelsoud. Sie werde über ihre Gäste ausgefragt – wer ist dieser, wer jener. Sieben Polizei- und Sicherheitsdienste verlangen vom Hotelgewerbe Auskunft, von der Touristen- über die Immigrationspolizei bis zu verschiedenen Geheimdiensten.Nachdem sie ihre Lizenzen hatte, war für Abouelsoud Schluss mit Bestechungen. Sie ignoriert seitdem alle Drohungen. „In jedem Hostel, in dem ich gearbeitet habe, wurden Polizisten bestochen. Die Leute wollen halt keinen Ärger. Alternativ gibt es Naturalien: Ein Polizist schaut vorbei, duscht, schläft ein paar Stunden, bekommt ein Frühstück – als sei es sein Haus.“Sie spielte die Gender-KarteAls Polizisten das bei ihr versuchten, spielte sie die Gender-Karte: Sie sei doch eine Frau und wolle keinen schlechten Ruf riskieren. So ließen sich patriarchale Vorstellungen ausnahmsweise für ihre Sache nutzen. Abouelsoud organisiert auch Filmabende, Konzerte, Ausstellungen im Hostel. Vielleicht kann ihr das auch ökonomisch helfen. Sie braucht neue Ideen, nicht nur weil die Branche leidet, sondern auch weil Kairo vom Zentrum aus zu zerfallen scheint. Die Stadt stülpt sich nach außen, wächst in die Wüste. Noch ist Downtown der touristische Mittelpunkt, doch in wenigen Jahren wird eine der Hauptsehenswürdigkeiten von hier verschwinden: Der Neubau des berühmten Ägyptischen Museums entsteht außerhalb der Stadt. Der Umzug ist für August 2015 angekündigt.„Der Neubau ist eher wie Disneyland oder Las Vegas, ein Ausstellungsort in der Wüste, zu dem man über die Autobahn gelangt“, sagt Elshahed. Der kulturelle Austausch falle dann ganz weg. „Wenn sich Touristen und Anwohner nicht treffen und unterhalten, kann die Regierung jede Verschwörungstheorie verbreiten, die ihr einfällt. Und genau das tut sie ja auch.“Und die Zukunft für „Dina‘s Hostel“? „Ich weiß nicht wie lange ich noch so weitermachen kann“, sagt Abouelsoud. Ansonsten werde sie eben verkaufen. Sie lacht, weil sie sich das wohl selbst kaum vorstellen kann – ein Leben ohne ihr Hostel. „Leider bin ich nicht sehr optimistisch. Der Militärrat hat von Anfang an mit uns gespielt. Jetzt haben wir auch noch die Islamisten im Parlament. Den meisten ist inzwischen egal, was passiert. Hauptsache, es geht ökonomisch bergauf. Die Menschen haben Angst vor der Zukunft.“ Sie verstehe das, die Armut sei ja nicht zu übersehen.Sie glaubt aber daran, dass die Revolution und ihre ökonomischen Interessen nicht im Widerspruch stehen müssen: „Ich ermutige alle, die Revolution abzuschließen. Wenn wir die nächsten Schritte gehen, wird die Zukunft viel, viel besser sein.“
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