Kino In „Der perfekte Chef“ mimt Javier Bardem einen Familienunternehmer, der sich in der Rolle des Patrons fast zu gut gefällt. Taugt das zur Kapitalismuskritik?
Julio Blanco ist ein notorischer Schwätzer. Doch obwohl er natürlich zu anderen spricht, sie belehrt, unterhält oder zurechtweist, hat man das Gefühl, dass der erfolgreiche Unternehmer eigentlich stets mit sich selbst redet. Sich auf diese Weise selbst davon überzeugen will, immer das Richtige zu tun – und es deshalb zu behaupten.
Möglicherweise ist Blanco aber auch nur ein verunsicherter Mann, der weiß, dass seine Macht schwindet. Ganz sicher aber ist er ein Narzisst, der keine Widerrede duldet. Dass er dennoch nicht grundsätzlich unsympathisch wirkt, liegt an seinem einnehmenden Charme, mit dem er durchaus erfolgreich versucht, seine Umgebung für sich zu gewinnen.
Blanco führt ein spanisches Familienunternehmen für Industriewaage
;r Industriewaagen, das er von seinem Vater geerbt hat, den er noch heute bei der Betriebsversammlung vor seinen Angestellten zitiert. „Mein Vater war ein einfacher Mann, der Waagen baute. Er sagte: ,Gleichgewicht ist wichtig. Gleichheit. Eine Gesellschaft, die viele Waagen herstellt, ist eine gerechtere Gesellschaft.‘ Und recht hatte er.“ Das ist zwar ziemlich sicher gelogen, und falls nicht, hatte Blancos Vater damit natürlich unrecht. Doch auch wenn es nicht wahr ist, ist’s doch gut erfunden.Der perfekte Chef ist eine Charakterkomödie in sieben Teilen, weil sich der spanische Autor und Regisseur Fernando León de Aranoa (A Perfect Day) dazu entschlossen hat, seine Hauptfigur eine Woche lang bei dessen Bemühungen zu beobachten, einen in Aussicht gestellten Preis für exzellente Unternehmensführung der Regierung zu gewinnen – das für Blanco offensichtlich einzige wichtige Ziel –, während er dem Besuch des Komitees entgegenfiebert. Das belgische Filmemacherduo Jean-Pierre und Luc Dardenne, bekannt für seine sozialrealistischen Arbeiten, wählte eine ähnliche Dramaturgie, um in Zwei Tage, eine Nacht vom Kampf einer Arbeiterin gegen ihre Entlassung zu erzählen. Dass dieselbe Methode nun in einer Komödie über einen gestressten Firmenchef zum Einsatz kommt, ist hoffentlich purer Zufall.Kapitalismuskritik?Der perfekte Chef ist einer jener Filme, die sich augenzwinkernd kapitalismuskritisch geben, ihre Kritik aber ausschließlich an der Charakterschwäche eines Einzelnen festmachen, der für das System scheinbar verantwortlich ist – also meistens Boss, Banker oder Broker. In dieser Hinsicht wirkt Der perfekte Chef schon wieder nahezu anachronistisch, indem er statt eines Finanzjongleurs einen Familienunternehmer ins Zentrum rückt.Mit randloser Brille und graumeliertem Scheitel überwacht Blanco von seinem gläsernen Büro, einem Aussichtsturm gleich, die unter ihm liegende Fertigungshalle. Den Portier an der Einfahrt begrüßt er morgens persönlich, seine Sekretärin kennt er offensichtlich seit Jahrzehnten und den ältesten Mitarbeiter beschäftigt er sonntags privat für die Reparatur des eigenen Swimmingpools. Blanco inszeniert sich als Patriarch, weil er gerne einer ist.Eingebetteter MedieninhaltWürde Blanco nicht von Starschauspieler Javier Bardem dargestellt, könnte man sich fragen, was an dieser Figur überhaupt interessant sein soll. Die zweifelhaften Methoden, mit denen ein Unternehmer versucht, seine Angestellten zu manipulieren? Der Familienunternehmer alten Schlages, der sich rühmt, seine Beschäftigten wie ein gutmütiger Vater zu behandeln, im Gegenzug dafür aber Überstunden als Selbstverständlichkeit einfordert? Er habe eben auch „schwierige Kinder“, so der kinderlose Blanco, und manche habe man lieber als andere. „Oder es gibt eines, das weniger verlangt, aber mehr benötigt.“ Meint er damit den zu Beginn des Films von ihm entlassenen Familienvater oder seinen langjährigen Freund und Abteilungsleiter, der gerade von seiner Ehefrau verlassen wird und dem Blanco – nur konzentrierte Mitarbeiter sind zweckdienlich – unter die Arme greift? Oder eher doch die neue, junge Praktikantin aus der Marketingabteilung, auf die er ein Auge geworfen hat?Irgendwie wird man bei diesem Film das Gefühl nicht los, dass sich León de Aranoa nicht entscheiden konnte, was er eigentlich erzählen möchte. Am offensichtlichsten wird dies angesichts des von Blanco innerhalb einer Woche zu lösenden Problems, das sich aus der Entlassung des Familienvaters ergibt: Nachdem er in der Fabrik zunächst lauthals gegen seine Kündigung protestiert hat, errichtet der Mann direkt gegenüber der Einfahrt sein persönliches Widerstandscamp, in das er auch seine beiden kleinen Kinder mitnimmt, mit deren Hungertod er droht. Wo er schlechte Reime skandiert, selbst gebastelte Schilder malt und sich mit dem Portier anfreundet, indem er ihn zum Morgenkaffee einlädt. Wie alle Figuren in diesem Film ist aber auch die des Arbeitslosen nicht ganz ernst zu nehmen, will die Inszenierung doch nicht Gefahr laufen, sie als ausschließlich verbittert oder gar klassenkämpferisch darzustellen. Mit dem Resultat, dass auch dieses Problem keines ist, das die Sympathiewerte Blancos in den Keller rasseln lässt.Am Ende, nachdem gute Miene zum bösen Spiel gemacht wurde und vom Chef Frauenquote wie Diversität in der Firma gepriesen wurden, könnte möglicherweise alles wieder gut sein. Doch es gibt ein letztes Bild in diesem Film, und dieses ist das beste. Natürlich darf es hier nicht verraten werden, doch so viel sei gesagt: Man achte auf das Gesicht des alten Mannes, der für Blanco am freien Sonntag den Filter für dessen Swimmingpool tauschen musste.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.