Im Aufwind des Shitstorms

#MakeRapeLegal Die mediale Empörung hat ein angekündigtes internationales Treffen von Vergewaltigungsbefürwortern verhindern können. Doch wem hat die Aufregung wirklich genützt?
Ausgabe 06/2016
Was bleibt, wenn der Sturm sich wieder legt?
Was bleibt, wenn der Sturm sich wieder legt?

Foto: NOAA/Getty Images

Es gibt Geschichten, bei denen müssen sich selbst wahnsinnserprobte Journalisten die Augen reiben. Vergangenes Wochenende rief ein Mann namens Daryush Valizadeh unter dem Motto „Make Rape Legal“ zu einem internationalen Treffen von Vergewaltigungsbefürwortern auf. Auf Twitter wurde das Motto als Hashtag blitzschnell verbreitet und erzeugte erwartungsgemäß mediale Empörung. Die Treffen wurden dann wieder abgesagt. Die Medien hätten eine Hetzkampagne gegen ihn gestartet, und er könne nicht mehr für die Sicherheit der Beteiligten garantieren, sagte Daryush Valizadeh. Kann ein Mann ernsthaft für Vergewaltigung plädieren und sich dann über solche Reaktionen wundern?

Das sei natürlich alles nur Satire gewesen und viel zu wörtlich interpretiert, verteidigte sich der US-Amerikaner später. Schließlich will er Vergewaltigung nicht generell, sondern nur in den eigenen vier Wänden erlauben. Ein Glück! Starke Frauen, so argumentiert Valizadeh, bräuchten nämlich kein Gesetz, das sie schützt. Sie könnten selbst entscheiden, mit wem sie den rechtsfreien Raum betreten. „Wenn ich mein Auto mit meinem Schlüssel darin in einem gefährlichen Stadtteil stehen lasse und es geklaut wird – wer ist dann schuld?“, fragte Valizadeh bei einer Pressekonferenz.

Das ist ein Musterbeispiel fürs sogenannte victim blaming, die (meist männliche) Ansicht, Vergewaltigungsopfer würden zumindest eine Mitschuld an ihrem Schicksal tragen, zum Beispiel weil sie betrunken waren oder „aufreizende“ Kleidung trugen. Dass Frauen keine Gegenstände und Männer keine Wesen ohne Impulskontrolle sind, hat in dieser Argumentation keinen Platz.

Der Shitstorm um den 36-Jährigen führte zu Todesdrohungen, Veröffentlichung seines Aufenthaltsorts und Debatten über Einreiseverbote. Aber er führte auch zu Interviews, Pressekonferenzen und einer massiven Aufmerksamkeit für Valizadehs Blog, in dem er nicht nur tonnenweise Misogynie ausschüttet, sondern auch seine generelle Weltanschauung propagiert: Männer und Frauen haben natürliche Geschlechterrollen, Feminismus ist Terrorismus, Angela Merkel, die Juden und Homosexualität sind schlimm, Donald Trump, privater Waffenbesitz und Jesus Christus super.

Eine deutsche Journalistin konnte die irre Mixtur der Thesen kaum fassen und fragte leicht zugespitzt, ob Valizadeh womöglich „der Antichrist“ sei. Dabei darf man nicht vergessen, dass die freie Meinungsäußerung in den USA mehr ist als „nur“ ein Grundrecht: Menschenverachtende Thesen öffentlich auszustellen, gilt als Inszenierung der ultimativen Freiheit. Was deutsche Medienvertreter bei Trumps Aussagen reihenweise zum Kopfschütteln bringt, ist in den Staaten bei manchen Lobbyverbänden oder religiösen Gruppen seit langem an der Tagesordnung und nur selten eine Meldung wert.

Davon kann auch der deutsche Journalismus lernen. Provokante Thesen ins Netz zu stellen und sie anschließend zu Satire zu erklären, ist zu einer weit verbreiteten Praxis geworden, um mediale Aufmerksamkeit zu provozieren. Im Internet zählt kaum noch der zweite Blick, sondern nur der Moment der Aufregung. Der Shitstorm ist für Daryush Valizadeh jedenfalls ein voller Erfolg. Seine Leser- und Likezahlen steigen, seine frauenverachtenden Thesen finden Gehör. Auf dieses Kalkül sollte es in Zukunft eine andere Reaktion geben – auch wenn das in diesen nervösen Zeiten schwer vorstellbar ist: Erinnern wir uns daran, dass sich eine Haltung auch ausdrücken lässt, indem man etwas ignoriert. Über den nächsten Valizadeh würde also gar nicht erst berichtet.

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