Für die Entdemokratisierung der Sprache ist die AfD ebenso mitverantwortlich wie für das Versprechen eines „Tages X der Abrechnung“. Zumal sie ihre Verbindungen zu dem rechtsterroristischen Umfeld der Gruppe Combat18 verleugnet. Der mutmaßliche Mörder des Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan E., stammt aus dem Umfeld von Combat18. Als deren Kristallisationsfigur gilt in Deutschland der stellvertretende NPD-Vorsitzende Thorsten Heise. Heise vertritt die neonazistische Sammlungsbewegung in der NPD, die sich dort nach Vorbild der AfD einen „völkischen Flügel“ geschaffen hat. Führer dieses „Flügels“ in der AfD ist Björn Höcke. Und Höcke und Heise verbindet sehr viel.
Spätestens seit 2008, als Heise Höcke beim Umzug ins Eichsfeld half, kennen sich die beiden. Nach meinen Erkenntnissen schrieb Höcke 2011/12 drei Texte unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in von Heise herausgegebenen Neonazi-Magazinen. In Volk in Bewegung schrieb Ladig etwa, Nazi-Deutschland sei von fremden Mächten angegriffen worden, weil sich dort eine „Antiglobalisierungsbewegung“ entwickelt habe. Die Begeisterung für die NS-Wirtschaftspolitik sei auch heute noch vorhanden, und es werde eine Revolution kommen, mit der man diese wiederherstellen könne. Die nationale Bewegung müsse sich auf die Führung in dieser Revolution vorbereiten.
Höcke bestreitet, Ladig zu sein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat meine Recherche überprüft und geht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ davon aus, dass Ladig Höcke ist. „Nicht zuletzt“ die Texte von Ladig haben das BfV dazu veranlasst, den „Flügel“ von Björn Höcke zum „Verdachtsfall“ zu erklären.
Höckes Abrechnung
Welche Verstrickungen finden sich in der AfD zu dem faschistischen Versprechen „Komm zu uns, wir sind die Macht, und wir werden eines nicht mehr fernen Tages X mit allen abrechnen, die nicht zu uns kommen, und allen unseren Kameraden Absolution erteilen“? Auch in diesem Fall führt die Spur zu Höcke.
Der AfD-Bundesvorstand hat 2018 das Ausschussverfahren gegen Höcke ohne öffentliche Widerlegung der Gründe gestoppt. Höcke konnte nun eine neue Phase seiner faschistischen Agenda einläuten. Am 17. Juni 2018, auf den Tag genau ein Jahr bevor der Rechtsextremist Stephan E. als mutmaßlicher Todesschütze in den Medien genannt wurde, sprach Höcke bei einer Kundgebung in Mödlareuth.
Ganz offen rief Höcke seine Anhänger dazu auf, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, da die Polizei von ihren Vorgesetzten verraten worden sei. „Der Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie wabert durchs Land“, rief Höcke ins Mikrofon. An anderer Stelle führte er aus: „Sie ist ein Entartungsstadium der Demokratie, wie sie schon in der Antike die klassischen Staatsrechtslehrer formuliert haben, (…) diese Demokratie ist das letzte Degenerationsstadium, sie ist in meinen Augen eine sogenannte Ochlokratie, das ist eine Herrschaft der Schlechten.“
Diese antike Lehre sieht die Geschichte als Rad, nach dem Degenerationsstadium der Demokratie folgt demnach die Herrschaft des Einen. Höcke führt mit den Worten des Philosophen Machiavelli aus, die Herrschaft des Einen sei die beste Möglichkeit, eine Nation nach der Dekadenz wieder zu sich zu führen. Die Übergangsphase werde „grausam“ und gegen unsere Moralvorstellungen verstoßen.
Höcke kündigt den „Tag X“ an, auf den sich viele Rechte vorbereiten. Auf seinen Kundgebungen warnte er die Bundespolizei: „Wenn das Volk an die Macht kommt, wird sich Merkel abgesetzt haben, aber die Kleinen kriegt man dran.“ Daher sollte die Bundespolizei genau überlegen, wem sie heute folgen werde.
Faschistische Pose
Einer demokratischen Gesellschaft entspricht eine auf Konsens ausgerichtete Sprache der Aushandlung, eine Sprache der Argumente. Einer faschistischen Sprache entspricht eine Sprache als Pose, eine Sprache der Macht. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek sagt dazu: „Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“
Martin Sellner (Identitäre Bewegung) wiederholte diese Aussage. Sprache soll im Faschismus nicht argumentativ auf gegenseitiger Augenhöhe stattfinden, um wie in einer demokratischen Gesellschaft diese voranzubringen. Faschistische Sprache dient im machiavellistischen Sinn dem Machterhalt, dem Versprechen, zur Macht zu gehören (Freund) oder vernichtet zu werden (Feind).
Die Mitverantwortung der AfD an der Ermordung Walter Lübckes findet sich also auf drei Ebenen: Die AfD ist beteiligt an einer Entdemokratisierung der Sprache, der das Potenzial gewaltfreier Aushandlung genommen wird, wodurch letztlich nur noch Gewalt „spricht“.
Außerdem verspricht die AfD einen „Tag X der Abrechnung“. Rechtsextreme Attentäter sehen sich als Vorkämpfer dieses „Tages X“ und erhoffen sich – wie der Attentäter von Christchurch, der Martin Sellners Identitärer Bewegung Geld spendete – einen späteren Friedensnobelpreis.
Und es gibt eine von der AfD geheim gehaltene Zusammenarbeit mit Repräsentanten rechtsterroristischer Organisationen. Die Weigerung der AfD, Licht in die Zusammenarbeit von Höcke und Heise zu bringen, lässt Rechtsterroristen hoffen, dass die AfD ihre Taten gutheißen wird.
Kommentare 38
"Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur." (Volker Pispers)
Im Übrigen: Eine regelrechte Hetz-Aufmachung!
Wer kapieren würde, daß die "AfD" in erster Linie eine systemtreue, den Neoliberalismus huldigende Partei und damit eine Gefahr für das Gemeinwesen ist, hätte a.) in der Tat berechtigte Gründe zur Kritik ihr gegenüber, und müßte b.) wohl sein primitives Rechtsradikalen-Feindbild korrigieren. Aber komplexeres Denken ist ja gerade nicht in Mode.
Herr Kemper, Ihr Artikel ist zum Speien!
Was mich echt betroffen aber auch wütend macht, ist, die Prahlerei der AfD Leute – dass sie so gute Verbindungen haben in die Sicherheitsbehörden. UND dann noch der … Moderator Frank Plasberg in "Hart aber fair" ( ARD) … Am Montagabend, "Aus Worten werden Schüsse - wie gefährlich ist rechter Hass?", der AfD-Repräsentant in der Runde. ( Uwe Junge, Vorsitzender der Partei in Rheinland-Pfalz. Ehemals rechten Flügel der CDU, stramm konservativ, Kaiser Wilhelm Bart, Ex-Berufsoffizier mit Auslandseinsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan.) Plasberg völlig überfordert, farblos und den roten Teppich ausgerollt … Medien haben eine Verantwortung... JA! Aber bitte nicht so! Nicht nur die AfD braucht politische Bildung!
»Außerdem verspricht die AfD einen ›Tag X der Abrechnung‹. Rechtsextreme Attentäter sehen sich als Vorkämpfer dieses ›Tages X‹ und erhoffen sich – wie der Attentäter von Christchurch, der Martin Sellners Identitärer Bewegung Geld spendete – einen späteren Friedensnobelpreis.«
Besonders erschreckend finde ich aktuell, wie sehr die Blaupausen von rechts außen denen aus den frühen 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts ähneln. Damals wie heute betätigte sich ein nicht unerheblicher Teil des staatlichen Gewaltapparats in rechten Strukturen und Zwischenbereichen; damals hießen die Architekten des »Tiefen Staats« Groener und Noske, heute treiben »Staatsdiener« wie Maaßen und Wendt die Republik nach rechts. Der direkte Support rechtsterroristischer Strukturen hat mittlerweile ebenfalls seine Äquivalente: Sie reichen von der nach wie vor unzulänglich aufgeklärten Verstrickung der Ermittlungsorgane in den NSU-Sumpf bis hin zu den in letzter Zeit aufgedeckten Rechts-Aktivitäten von Polizei-, Bundeswehr- und Spezialeinheitskräften. Selbst die »Liquidierung« besonders verhasster »Systemstützen« hat in der frühen Weimarer Ära ihre Pendants: gestern Rathenau und Erzberger – heute ein nicht rechts-willfähriger Regierungspräsident wie Walter Lübcke.
Last but not least: Damals wie heute werden die Taten durch eine entsprechende Rhetorik vorbereitet, in den Bereich des Denkbaren und dann des Möglichen & Machbaren gerückt. Insofern: ein gruseliges Panoptikum von Äußerungen – umgekehrt jedoch ein Schlaglicht darauf, wie große Teile von AfD und Sonstwie-Rechts wirklich ticken. Ein Detail: »Friedensnobelpreis« halte ich für eher unwahrscheinlich – zu pazifistisch, zu völkerverständigend der Preis und seine Geschichte. Andererseits kann man sich, was die Denke dieser Leute anbelangt, nie sicher sein: Vielleicht wird er – nach einem erneuten erfolgreichen Einmarsch arischer Wehrmachts-Recken in Norwegen – ja umkonstituiert: mit der nicht auszuschließenden Folge, dass eine jetzt noch in norwegischer Systemhaft schmachende Idolfigur der Szene erster Preisträger wäre?
- eine HETZ-AUFMACHUNG !
auf dem fahndungs-plakat fehlt: DEAD or ALIVE.
schöner ist der kurz-schluß "vom wort zur tat" nicht illustriert worden!
da hat sich jemand mit der knarre ins eigne knie geschossen.
das hat axel-springer-niveau.
und gehört: überführt und gerügt .
- schade(?) um den anschließenden text,
der damit blockiert ist und dem anspruch eventueller ernsthaftigkeit entzogen.
Yes, Sir gebe. s.o.
Manches, was aus diesem rechtsextremen Lager kommt, ist so verrückt, daß man nur mit dem Kopf schütteln kann. Und dabei sollte man es belassen. Da wird man mit Vernunft nicht heranreichen, und eine kollektive Psychoanalyse dürfte kaum im Bereich des Machbaren sein. Solche verirrten, extremen Haltungen können nur neutralisiert werden, indem sie keine Nahrung bekommen, aber auch nicht durch sinnlose Konfrontation zusätzlich in die Enge getrieben werden. So wie man dem Großvater, der meint, im 1000jährigen Reich wäre alles besser gewesen, begütigend die Hand auf die Schulter legt und sagt: „ist ja gut, Opa“.
Wenn die Gruppe dieser Unverbesserlichen zu groß ist, ist alles verloren, es sei denn, man greift zu Notwehr-Gewalt. Davon kann heutzutage nicht die Rede sein. Daher muß es darum gehen, diejenigen, die im rechtsextremen, aber auch rechten und bürgerlichen Lager noch argumentieren und argumentativ ansprechbar sind, mit stärkeren Argumenten wenn nicht zu überzeugen, dann wenigstens hinreichend zu verunsichern. Ein wichtiges Moment ist auch das Ansprechen emotionaler Konflikte, denn die nicht vollkommen Verhärteten haben ja die gleichen empathischen Impulse wie alle Menschen; auch bei einem normalen AfDler zieht das Argument „sollen wir die Kinder im Mittelmeer ertrinken lassen?“ emotional. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Linke nicht mehr weiterwissen und die anderen zu beschimpfen und zu verteufeln beginnen.
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine durchgeknallte Zeit, in der das Verrückte normal geworden war (siehe meinen Vorkommentar). Die Situation war so verfahren, daß selbst eine vernünftige Einheitsfront von Kommunisten und SPD möglicherweise nicht die Pathologie aufhalten konnte. Aber heute ist diese Situation in meinen Augen bei weitem noch nicht gegeben, eine pathologische Entwicklung kann durchaus verhindert werden, die Jugend ist keine verlorene, sondern gut orientierte. Bleiben wir also gelassen und beharrlich, noch sind die Linken ihre eigenen größten Feinde, das muß sich ändern, dann können wir die Hegemonie im Denken erlangen und Einfluß auf die Realität nehmen.
Wer sprach einst von "Ratten und Schmeißfliegen", wer wollte dem politischen Gegner "auf die Fresse" geben, wer redete von "Asyltourismus" und "Ausländermaut"? Eine Menschen verachtende Sprache ist beileibe nicht das Monopol der AFD, die im Artikel einfachheitshalber mit Bernd Höcke gleichgesetzt wird.
Warum setzt man sich nicht - auch in Talkshows - viel intensiver mit der militaristischen, unsozialen und neoliberalen Politik der AFD auseinander?
Könnte es daran liegen, dass sich dann Politiker*innen verschiedener Parteien selbst auf die Anklagebank setzen müssten?
>>Daher muß es darum gehen, diejenigen, die im rechtsextremen, aber auch rechten und bürgerlichen Lager noch argumentieren und argumentativ ansprechbar sind, mit stärkeren Argumenten wenn nicht zu überzeugen, dann wenigstens hinreichend zu verunsichern.<<
Gemeint sind hier wohl eher die Funktionäre, zu Solchen habe ich keine Kontakte. Aber wenn in Gesprächen "A"fD-Sympathien aufkommen und die Erwägung , sie mal zu wählen: Dann erkläre ich, dass die "A"fD der Versuch ist, abtrünnige "C"- und "S" - Wähler auf den Pfad der kaputtalistischen Untertanentugend zurückzuführen. Das lässt sich auch belegen.
Was ist hier eigentlich Ihre Rolle, dass Sie sich halten können-'Agent Provocateur' ?
*****
Ihr Satz an mich gründet auf einem Prämissenfehler. Deshalb ist der Satz auch keine Frage, auf die ich andernfalls antworten könnte.^^
Frage an Sie und Denkzone8: was im Beitrag ist denn Ihrer Meinung nach falsch und hetzerisch?
Was bringt Sie (wie von der Tarantell gestochen oder sich auf den AfD - Schlips getreten fühlend?) so in Rage?
Inhaltliche Auseinandersetzung???
Sie stör(t)en sich nicht an einigen Äusserungen der «steckbrieflich Gesuchten»?
»(…) Bleiben wir also gelassen und beharrlich, noch sind die Linken ihre eigenen größten Feinde, das muß sich ändern, dann können wir die Hegemonie im Denken erlangen und Einfluß auf die Realität nehmen.«
Auch in Anbetracht des heiter-sonnigen Wetters möchte ich mich gegen die Einschätzung, dass das Glas des zivilisatorischen Fortschritts halb voll ist (anstatt halb leer), nicht sperren – jedenfalls nicht im Grundsätzlichen.
So sieht es aus! *****
Auch ich meinte eher nicht die Funktionäre, die haben handfestere Interessen, die sie gegen Argumente immunisieren.
Man wird allgemein sagen können, daß „C“- und „S“-Wählern, die zur AfD überlaufen, der Untertanengeist naheliegt, aber ich denke, daß es nicht klug ist, das direkt zu thematisieren, zumal das Sichlösen von den Altparteien als Akt des Ungehorsams, der Unfolgsamkeit zu interpretieren ist und als ein kleiner Aufstand gegen die etablierte Führung, die nicht ganz zu unrecht als Verarschung gesehen wird. Aber man kann leicht zeigen, daß diese Art des Ausweichens vor dem Sturm in den Orkan führt. Ein paar Argumente gegen solche kurzschlüssige Reaktionsweise sind allerdings nötig.
Um es in anderen Worten als Gauland, aber mit der gleichen Bildersprache und auf vergleichbarem Niveau auszudrücken: die AfD mit ihrem außerparlamentarischen PEGIDA/Identitären-Arm und anderen Verirrten ist nichts anderes als die tiefbraune Kacke von Gauland und Konsorten („Vogelschiss“ wird der Bedeutung nicht gerecht!).Natürlich muss diese Kacke als solche objektiv analysiert werden! Z. Bsp.: Was meint Gauland, wenn er Verständnis für Hetzjagden auf Ausländer wie z.B. in Chemnitz äußert („es ist normal, wenn Menschen ausrasten“)? Will er zu solchen Jagden anstacheln oder würde er selbst gerne - wie auch im Bundestag in anderem Zusammenhang geäußert - sich am Jagen beteiligen?Hat er die Jagd auf Merkel mittlerweile beendet, weil er jetzt zur Revolution gegen Merkel aufruft?Und was geschieht mit den Gejagten, wenn man Ihnen gezeigt hat, was Sache ist, wenn man sie erledigt hat? Sollen diese dann, z.B. „in Anatolien entsorgt“ werden? Einer solchen Verbrecherbandensprache bedient sich Gauland, gerne nachgeahmt von seinen Jüngern.Vorbeugend erkläre ich: ich werde sicherlich wieder mißverstanden!Besser Taststur-Revoluzzer als Tastatur-Ausrutscher! Besser Tastatur-Revoluzzer als Nazi://youtu.be/sBom50KrkBkPS:Wer rassistische Parolen und Hass-Kommentare absondert, ist verdammt noch mal, ein Rassist und bereitet den Nährboden für rechten Terror!
>>Man wird allgemein sagen können, daß „C“- und „S“-Wählern, die zur AfD überlaufen, der Untertanengeist naheliegt, aber ich denke, daß es nicht klug ist, das direkt zu thematisieren,…<<
Na ja, hier kann ich das schon so sagen. In anderen Diskussionen verweise ich eher auf die wirtschaftlichen Ziele der „A“fD, in denen sie eindeutig Kapital- und nicht Arbeitskraftverkäuferinteressen vertritt. Dass das Gleiche in Blau eben keine Alternative ist.
Hallo, bin ich etwa zuständig für die Tapetenmuster Ihrer Vorstellungswelt und dmentsprechenden Projektionen?
»(…) In anderen Diskussionen verweise ich eher auf die wirtschaftlichen Ziele der ›A‹fD, in denen sie eindeutig Kapital- und nicht Arbeitskraftverkäuferinteressen vertritt. Dass das Gleiche in Blau eben keine Alternative ist.«
Ich glaube NICHT, dass die AfD das Gleiche in Blau ist. Wirtschaftsprogrammatisch mögen mittlerweile langsam ein paar Hüllen fallen.* Im Kern jedoch sind bürgerliche Neoliberale und die nationalvölkische Gemengelage rechts davon keinesfalls dasselbe. Meines Erachtens besteht der Treibsatz für den entwickelten recht(spopulistisch)en Furor aus auf die Spitze getriebenem Wohlstandschauvinismus, aus Egoismus der Sorte »Nach mir die Sintflut« und verletzten Herrenmensch-Gefühlen – unterfüttert natürlich von den auch in den Medien breit thematisierten Gefühlen, »irgendwie« zu kurz gekommen zu sein.
Anders – das heißt: unvergleichbar – ist die rechte Programmatik in meinen Augen deswegen, weil die Neoliberalen (aller Couleur) »nur« einen bürgerlich-technokratischen Sicherheitsstaat anvisieren, der die Verteilungs-Ungerechtigkeit aufrechterhält und ansonsten großteils auf dem Freihandels-Prinzip basiert (Summe aus allen: das TINA-Prinzip). Die Rechten – und das ist meine große Befürchtung – wollen tatsächlich vieles anders machen. Im Ernstfall würde es wohl in eine ähnliche Richtung gehen wie in der Türkei oder auch in Russland: autoritärer Staat, Zollschranken, Neoimperialismus und, nach innen: Demokratieabbau, Backlash und Repressionen gegen Minderheiten. Klassisch marxistisch ausgedrückt haben wir hier einen Furor des radikalisierten Mittelbaus (und nur zu geringen Anteilen einen, in den Teile der klassischen Eliten involviert sind). Ob das ein klassisch faschistisches Programm ist, ist letzten Endes Auslegungsfrage. Die Steine, die derartige Regimes von unten nach oben bringen (wie derzeit vor allem in Brasilien zu besichtigen), widerlegen meines Erachtens allerdings die Ansicht, dass hier grosso modo das Gleiche am Werk wäre wie beim übrigen Neoliberalismus. – Wobei ich die Kausalketten, mittels der sich beide Erscheinungsformen aneinander hochschaukeln, natürlich keinesfalls in Abrede stellen will.
* Wobei auch das nicht durchgehend der Fall ist und in Gänze vor allem auf den nationalreaktionären – gemeinhin als »gemäßigt« veranschlagten – Flügel um Weidel, Storch & Co. zutrifft. Der völkische Part gibt sich sozial gemeinhin verbalradikaler – da wird wohl die anvisierte Zielklientschaft in Rechnung gestellt werden. Und: »den Arbeiter« in Lohn und Brot bringen konnte bereits eine frühe Führungsgestalt dieser Richtung recht passabel.
bleibste stets cool und gelassen.
«...bin ich etwa zuständig für die Tapetenmuster Ihrer Vorstellungswelt und dmentsprechenden Projektionen?»
Nö. Zuständig nicht.
Aber wer (z.B.) Laute wie ein bestimmtes Tier von sich gibt, braucht sich (zumindest) nicht wundern, wenn der Rezipient dieser Geräusche dann jenes auch für real hält.
Sie überschreiten ad personam ganz gehörig Grenzen!
schrieb GEBE :))))
Sir gebe meinte wohl: ..." überschreitet u n g e h ö r i g grenzen.."
>>Demokratieabbau, Backlash und Repressionen gegen Minderheiten.<<
Dafür wird allerdings die „A“fD nicht unbedingt gebraucht.
Was den Demokratieabbau angeht: Wir sind der Diktatur des Privatprofitwachstums noch gar nicht entronnen, da kann also nichts rückgängig gemacht werden. Nur wird diese Diktatur allmählich sicht- und spürbarer. Die „Agenda 2010“ hat nicht nur mit dem direkten Hartz4- Vollzug, sondern vor Allem auch mit der vorgeschalteten Angst Nochnichtbetroffer, dort landen zu können, die Ausbeutungsverhältnisse verschärft.
Ein Backlash sind auch die immer weiter um sich greifenden Privatisierungen ehemals öffentlicher Bereiche: stetes Wachstum des „enrichissez-vous“. Mit bekannten Folgen: zum Beispiel die fortschrittlichen Verschlechterungen im Gesundheitswesen und vor Allem in der Altenpflege.
Was Minderheiten angeht: Nicht jeder „Kapitalfascho“ tritt gegen die gleichen Minderheiten. Aber das divide et impera – Prinzip hängt an keinem Parteibuch.
>>Ob das ein klassisch faschistisches Programm ist, ist letzten Endes Auslegungsfrage.<<
Ja. Gewaltherrschaft kann auch „freie Marktwirtschaft“ heissen, dann wird sie oft nicht als Gewaltherrschaft erkannt, weil sie immer wieder mit „irgendwie demokratischen“ Phrasen um die Ecke kommt.
Vielleicht später mehr ...
Ich nutze das sich abzeichnende Ende dieses Threads und die zuletzt von Zietz und gelse eingeschlagene Richtung für ein paar unzeitgemäße, unpopuläre Überlegungen, weil es nicht mehr viele nerven wird. Es gibt den Begriff des revolutionären Subjekts (ich weiß, das ist die Sprache des 19/20ten Jahrhunderts, man könnte auch von progressivem Subjekt reden), an dem man noch unterschieden hat, ob es objektiv oder subjektiv vorliegt. Im Marxismus war und ist es ein Schlüsselbegriff, weil er eine materialistisch-wissenschaftliche Weltanschauung ist, in der Politik nicht voluntaristisch, sondern von objektiven Strukturen aus verstanden wird, ohne die entscheidende subjektive Seite zu verleugnen. Es gibt also ein objektives und ein subjektives revolutionäres Subjekt (wobei letzteres keine reine Untermenge ist), heute würde man sagen, daß das eine sich wieder deutlicher manifestiert, das andere marginalisiert ist. Die echte Linke gehört zum subjektiven, sie betrachtet den Systemwechsel als überfällig. Daß es die objektiv revolutionäre Klasse gibt, ist deshalb so wichtig, weil sonst jede Hoffnung auf eine Verbesserung der Welt illusionär wäre, das gilt aber gleichermaßen für das Subjekt, Befreiung ist nur möglich, wenn eine große Zahl der Menschen sich zum Subjekt machen kann; nur Subjekte sind frei, eine Tautologie.
Der Kapitalismus hat sich immunisiert, indem er seine frühe, rohe Form der Spaltung in Besitzende und Besitzlose transformiert hat in eine kontinuierliche Einkommensverteilung, die freilich asymmetrisch ist, das wird als die 1%/99%-Gesellschaft bezeichnet, in der der dünnen Oberschicht der dicke Bauch der Restbevölkerung gegenübersteht. In dieser großen Masse gibt es individuellen Abstieg und Aufstieg, insgesamt aber wird der Bauch immer dicker und rutscht nach unten, die Spitze immer dünner. Natürlich gibt es einen oberen Rand dieses Bauchs, der sich zurecht als prekäres Segment der Oberschicht zurechnet, den Abstieg fürchtet und sich stärker als die im Zentrum der Macht an die Aufrechterhaltung des Systems klammert. Wenn diese Leute sich in der AfD organisieren, kann es gefährlich werde, und sie sind durch nichts von ihrem Ressentiment abzubringen. Das ist der „Furor aus auf die Spitze getriebenem Wohlstandschauvinismus, aus Egoismus der Sorte »Nach mir die Sintflut« und verletzten Herrenmensch-Gefühlen“(Zietz), aber das ist nicht der Großteil der AfD-Wähler bzw Sympathisanten, oder wenn, dann ist das keine politische Gruppe, die die politische Führung an sich reißen könnte, ihr würde objektiv die 99-x%-Masse entgegenstehen. Diese 99-x% sind objektiv das revolutionäre Subjekt, sie haben nicht viel zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Sie können sich gegen ihre Interessen der AfD anschließen, weil die ihnen wenigstens die Sicherheit einer stabilen, gewaltgestützen Ordnung bietet, und ein Sammelsurium von ein kontrafaktisches „Wir“ simulierenden Ersatzwerten in dem kalten bürgerlichen Nihilismus. Diese 99-x% sind objektiv das revolutionäre Subjekt, sie müssen von Links gewonnen, überzeugt werden. Das ist die neomarxistische Analyse des Spätkapitalismus.
Dem kann man widersprechen: 1. indem man davon ausgeht, daß das x größer oder wenigstens annähernd so groß ist wie das 99-x, oder 2., was auf das gleiche hinausläuft, daß im Weltmaßstab unser 99-x% der herrschenden Klasse zuzurechnen ist, die Westler alle zu viel zu verlieren haben, und folgerichtig den Globalkapitalismus/Westimperialismus verteidigen. Unter dieser Voraussetzung kann linke Politik in der westlichen Welt nur bedeuten, Sand ins Getriebe seiner Herrschaft zu streuen, und auf die Revolution der ausgebeuteten Welt zu hoffen.
Übrigens hat die Umweltproblematik die globale Sicht in den Vordergrund gerückt, aber nicht im Sinn des letztgenannten Internationalismus. Sie rückt die globalkapitalistisch-imperialistische Sicht zurecht, mindestens der Großteil unserer 99% gehört zu den Verlierern der Veränderung des ökologischen Gleichgewichts durch unsere eigene und exportierte Wirtschaftsweise, muß daher zum weltweiten objektiven revolutionären Subjekt gerechnet werden. Das heißt aber, im Wesentlichen ist die nationale Auseinandersetzung um progressive linke Politik identisch mit der internationalen linken Politik. So muß zB der Kampf gegen den Militarismus vorrangig erst einmal bei uns selbst geführt werden, die angebliche internationale Sicherheitspolitik ist ein total verlogenes Projekt der Machtpolitik, das nicht zu einer Friedenspolitik genutzt werden kann.
Ich glaube, Sie befinden sich mit dieser "Analyse" auf dem Holzweg, W. Endemann.
Die Schicht der Reichen und Wohlhabenden wächst und sie umfasst in den Staaten, die der Horizont breiter Wählerschaften bei uns oder in anderen Industrie- Staaten im Blick hat, mindestens 10% der Gesellschaft. Nur da, wo Armut notorisch ist, stimmt die These von dem einen Prozent noch. Das wirkt aber fern der entscheidenden Wählerschaften und gilt höchstens als bestes Droh- und Schreckmaterial der Rechten.
Der Skandal liegt eher in der Tatsache, dass sich Bürgergesellschaften mit einem recht großen Anteil an armen und in diesem Zustand auch verbleibenden Menschen abzufinden beginnen. Der Rechtsruck soll das Bürgertum vor der prekären Konkurrenz, global und national, schützen, Zwangsarbeit einführen, Sozialleistungen an "faule Elemente" kürzen, den Zugang aus dem Ausland strikt begrenzen.
Wer diesen Schutz kategorisch verspricht, der gewinnt momentan fast jede Wahl. Auch die bürgerlichen Traditionsparteien in Europa lernen schnell. Darum sieht die EU- Migrationspolitik so aus, wie sie aussieht.
Bei genauerer Betrachtung, nähern sich die westlichen Staaten und mittlerweile auch Russland und China, eher einer Drittelteilung. Die erhält den modernen Kapitalismus und seine Auswirkungen, weil zwei Drittel den Erfolg spüren und keineswegs etwas an der Wirtschafts- und Eigentumsordnung ändern wollen.
Das restliche Drittel ist eine beständige, stille Drohung und veranlasst zu gewissen Anpassungen. Recht und staatliche Ordnung, sichern den Zustand. Öffnungen nach Außen oder sozialistische Ansätze jeglicher Art, gelten als Bedrohung. Daher auch die Vorliebe für Rechts, statt weiterhin ein bisschen Links.
Von Rechts kommt das umfassende Schutzversprechen der situierten Bürgers, vor jeder Konkurrenz. Die Wohlstand und Konsum schaffenden, alles absichernden oberen 10 % der Gesellschaft, gelten nicht als Problem, sondern erscheinen als Lösung. Diese 10% funktionieren auch im Modell der "illiberalen Demokratie", ob in Ungarn oder Italien.
Über solche Fragen, haben früher einmal rechte Sozialdemokraten besonders fürsorglich nachgedacht (Peter Glotz).
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich empfehle Ihnen, eine Text, den Sie kritisieren wollen, etwas genauer zu lesen.
Ich schrieb von der „Einkommensverteilung, die freilich asymmetrisch ist, das wird als die 1%/99%-Gesellschaft bezeichnet“. Ich habe dann diese plakative occupy-Beschreibung beibehalten, aber ich gebe gerne zu, daß man das 1% nicht wörtlich nehmen darf. Auch ich würde von deutlich mehr als einem Prozent ausgehen, das spielt jedoch in meiner Argumentation keine Rolle.
Mit meiner Einteilung in 1%/x%/99-x% habe ich unter Hinweis auf die ziemlich kontinuierliche Einkommensverteilung so etwas wie eine Drittelgesellschaft angesprochen, wobei der Differenzpunkt zwischen den verschiedenen Segmenten nicht objektivierbar, eher subjektiv gefühlt ist. Es ist ja eine der großen stabilisatorischen Leistungen des Systems, die Klassenzugehörigkeit zu verschleiern. Mögliche Einwände gegen meine Sicht habe ich selbst benannt. Wenn etwa die Gesellschaft in drei annähernd gleich große Drittel gespalten wäre und nur dem unteren Drittel eine lebenswürdige Existenz verweigert würde. Dann kann man sich vorstellen, daß die Mehrheit der anderen zwei Drittel an der bestehenden Gesellschaft mit aller Macht festhalten, und sie haben die Macht. An solchem Herrschaftssystem würde selbst eine perfekte Demokratie nichts ändern, da sein Fortbestand im mehrheitlichen Interesse liegt, es sei denn, es ergäben sich andere Interessensprioritäten. Das liefe dann nicht auf eine soziale Revolution hinaus, sondern gegebenenfalls auf eine kulturelle.
Dies nun gerade präsentieren Sie als Gegenvorstellung, in der das obere und das mittlere Segment zusammengefaßt ist und als stabil, wenn nicht gar als immer reicher und immer größer werdend („Die Schicht der Reichen und Wohlhabenden wächst“) gesehen wird. Das halte ich für falsch und frage mich, womit Sie das statistisch beweisen wollen. Freilich ist damit die Revolutionsperspektive vom Tisch. Es bleibt Ihnen nur, sich moralisch darüber zu empören, „daß sich Bürgergesellschaften mit einem recht großen Anteil an armen und in diesem Zustand auch verbleibenden Menschen abzufinden beginnen.“ Wann hat man sich nicht damit abgefunden und wieso jetzt? Woher die heftigen Ressentiments kommen, und nicht einmal gegen die eigenen Abgehängten, sondern die fremden, das können Sie nicht erklären. Ich glaube nicht, daß das fürsorgliche rechtssozialdemokratische Nachdenken weiterhilft, möchte Sie aber nicht davon abhalten.
tja, lieber columbus,
mit Ihrer beurteilung der sozialen lage im jahre 2019
liegen Sie nicht falsch. auch wenn es die hoffnungen von
revolutions-/zusammenbruchs-erwartern auf null schraubt.
von immerhin noch denkbaren kriegerischen wenden
abgesehen, ist wohl der kampf gegen spürbare einschnitte,
besitz-stands-wahrung nicht zu übersehen.
der globale wettbewerb, ob privat-oder staats-kapitalistisch
motiviert, eskaliert.
die umwelt-ressourcen, die kapitalist. wachstum mit-generierten
müssen höher eingepreist werden, relative kosten-senkungen
im arbeits-kraft-sektor schrecken, nötige bedarfs-deckung
im öffentlichen bereich (sicherheit, gesundheit,pflege)
steht gegen kosten des ökologischen umbaus.
wenn es auch keine revolutionäre ist:
eine kaum-begrenzbare krise, die prekäre felder outet,
interessen/konzepte leidenschaftlich aufeinander-prallen läßt,
ist gleichwohl in entwicklung.
das austragen von ziel-konflikten/eine politisierung im öffentlichen raum
geschieht zunehmend nicht mehr in hergebrachter medialer form,
in herkömmlichem parteien-management.
eine erstarrung des politischen prozesses scheint mir
daher: unwahrscheinlich.
in einem ringen um koalitionen/mehrheiten/zugeständnisse
unter zunehmender entdeckung
von bedrohungen/neuen bedürfnissen/knappheiten
werden multi-polare konflikte entstehen,
kein kampf zweier richtungen.
oda?
ja. rechts-sozial-demokratisches denken ist so obsolet wie revolutions-aktuelles.
und ob etwas revisionistisch ist oder ein weiter-denken:
überlassen wir selbst-beschäftigen intelligenz-jurys.
die praxis ist aufem platz und gehört kritisiert und weiter-entwickelt.
s.o.
„die praxis ist“ immer „aufem platz und gehört kritisiert und weiter-entwickelt.“ Und es ist die Frage, ob sie weiter-so- oder anders-weiter-entwickelt werden muß. Daß revolutionäres Denken heute anachronistisch scheint, ist mir klar (daher meine unzeitgemäßen Gedanken). Aber daraus auf ein Ende der Geschichte (genauer einer unstetigen, die „normale“(Kuhn) Geschichte nicht linear verlängernden) zu schließen, ist vor-Kuhn-sche Naivität. Freilich, Leute, die glaubten, sie lebten in der letzten und besten aller möglichen Welten, gab es immer.
Sie haben meinen Kommentar auch nicht sehr genau gelesen, W. Endemann. Keineswegs ergibt sich aus meiner Erwähnung von Peter Glotz, der als erster Politiker in Deutschland öfter einmal von der 2/3 Gesellschaft sprach und schrieb, eine Nähe meinerseits zu diesem Sozialdemokraten.
Was aber tatsächlich zutrifft und Sie nun auch einräumen: Es fehlt in den wichtigsten Industrienationen, aber auch in allen Transformationsländern von Bedeutung, völlig an einer sozialrevolutionären Stimmung. Die einzige und zudem real bedrohliche, politische Stimme, die derzeit Erfolg hat, ist jene, die auf Ausschaltung möglicher Konkurrenz, z.B. durch Migration, auf Nationalität und strenge polizeiliche Ordnung setzt und sich das Ende der freien Presse, bzw. Pressemedien in ihrem Sinne, wünscht. Klar sind auch die Vorstellungen zur möglichen Opposition. - Ich denke Sie wissen das auch.
Als Linke, unter Umständen schon gereift, wissen wir auch, dass manche dieser Gedanken auch Linke anzog oder immer noch fasziniert.
Gegen das eine Prozent anzugehen, lockt keine Mehrheiten. Die Bürger, die um ihren Status fürchten, hängen an ihrem einen Prozent, besser an den 10 %, weil sie fest daran glauben, diese Mitbürger sicherten ihren bescheidenen oder auch schon wohlhabenden Status.
Wie kann man übrigens zwischen wohlhabend und reich unterscheiden? Eine einfache Definition genügt: Reichtum ermöglicht, von der Bewirtschaftung des eigenen Kapitals, in welcher Form auch immer, gut zu leben.
Wie Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, zu Recht feststellt, ist das der ursprüngliche bürgerliche Wunsch, Traum, Plan, nämlich in die Rentiersklasse der eigenen Gesellschaft Eingang zu finden.
Wohlstand erzielen hingegen auch viele Menschen, die zu wenige Kapitalien gebildet oder geerbt haben, um davon leben zu können, aber in gesicherten und gut dotierten Positionen, bezogen auf ihre Gesellschaft, leben. Sie können sich, ohne Schwierigkeiten und ohne alltägliche Einschränkung, Eigentum erwerben, sparen, anlegen und versichern, gegen die Wechselfälle des Lebens.
Wir erleben, trotz allen Krisengeredes, derzeit geradezu eine Blüte des bürgerlichen Kapitalismus, rund um den Globus, und es wäre angebracht, wir Linke hätten Angebote, die dieser Tatsache Rechnung tragen. - Danach sieht es aber nicht aus. Eher droht, dass Linke, angesichts ihrer Bedeutungslosigkeit, anfangen rechte Ideen zu vertreten, die derzeit in der Tat "populär" machen können (Über eine Formel, die dann auch Linke und Linksliberale erfasst, nämlich die von der "zivilisierten Verachtung", habe ich ja jüngst und davor schon, auch einige Blog- Artikel geschrieben).
Im Grunde fehlen nur noch ein paar Akteure, die in der Bevölkerung als Charismatiker gelten. Die rechten Angebote, ich wiederholes es, vielleicht zu ihrem Verdruss, weil Sie es wissen oder nicht mehr hören können, sind ganz ausdrücklich nicht auf eine Änderung des Wirtschaftssystems aus. Das gilt für unser Land, das sieht man in Italien, das gilt für Brasilien oder auch für Österreich. Usw.
Dass die Schicht der Reichen und Wohlhabenden global wächst, in China, in Indien, in Südafrika und Nigeria, in Mozambique, in Brasilien oder Mexiko,..., aber auch bei uns, berichten nicht nur die Länder selbst, mit ihren Medien, sondern auch die Weltbank, die UNDP, der IWF und Oxfam.
Tatsächlich gibt es wenig, was den Bürger in seiner Situiertheit, in seiner gelebten Materialität, mit allen ihren aufreibenden Randbedingungen, über längere Frist an die Betrachtung der größten Miseren dieser Welt bindet. Zum "Kruzimarx", sie sind wahrlich nicht klein (Umwelt und Klima, das vergessene Drittel (Standardantwort: Das gab es schon immer), Hunger, fehlendes Trinkwasser und noch schlimmer, fehlende sanitäre Einrichtungen (Die Welt hat ein wachsendes "Scheißhaus- Problem"), moderne Sklaverei und Milliarden mit Niedrigstlöhnen, knapp unter oder über dem Existenzminimum.
Eine andere Größe wird aber von uns Linken zu wenig genutzt: Bürgerliche Menschen haben nicht nur ängstliche oder furchtsame Emotionen, bezüglich ihrer Statusbedrohungen, sondern meist auch ein Gewissen, Schamgefühl, Gerechtigkeitsempfinden. Daran anzuknüpfen, ist möglich und sinnvoll. Über die Materialität, man verspreche noch bessere Gewinne, bessere materielle Verhältnisse für alle, als sie bisher erreicht wurden, lassen sich keine Anhänger mehr gewinnen.
Beste Grüße und gutes WE
Christoph Leusch
«99 Prozent unserer Bevölkerung geht es gut, dem einen Prozent geht es sehr gut«
Wieso gibt es denn dann «wirtschaftlich Unzufriedene« (Pkt.3)?
wahrscheinlich komfort-zonen-schisser, elends-simulanten,
eingebildete + kranke, sozial-hypochonder...
jeder kennt einen und kann daraus ein umfassendes lage-bild zimmern.
s.o.
Schön, hier einmal auf einen überzeugten Bürger zu treffen. Der hat natürlich gelernt, marxistische Ideologiekritiker Neunzehntesjahrhundertideologen zu nennen. Nicht ganz klar ist allerdings, ob die Bürger den Begriff verwässert haben, um ihn zu neutralisieren und sich anzueignen, oder ob tatsächlich, was marxistisch wäre, die Abbildfunktion der Ideologie angesprochen wird. Beharrt man auf letzterem, spricht man mit dem Ideologiebegriff immer auch den der Wahrheit an. Dabei möchte ich bleiben, denn alles andere führt nur zu leeren Scheingefechten.
1. Ich pflege, weil ich nicht ganz so simpel gestrickt bin, häufig hypothetisch zu argumentieren. Die Position, daß es 99% gut, 1% sogar sehr gut geht, habe ich als einen möglichen Einwand benannt. Und habe unter dieser Voraussetzung festgestellt, daß es dann bei uns objektiv kein revolutionäres Subjekt mehr gäbe, die Revolution von Außen kommen müßte. Nun gehen Sie möglicherweise einen Schritt weiter und sagen, (fast) die ganze Welt ist bürgerlich geworden, also dieser (fast) ganzen Welt geht es gut (vergessen wir einmal die nicht geringer werdende Masse der Migration), und unter dieser Voraussetzung hat sich die Revolution weltweit erledigt. Unter dieser Voraussetzung gebe ich Ihnen völlig recht. Da ich Materialist (im philosophischen, nicht im ökonomischen Sinn) bin, ist für mich die revolutionäre Perspektive obsolet, wenn es (fast) allen gut geht – und sie sich gut fühlen. Ich halte aber Ihre Voraussetzung für abenteuerlich, für ein mir unerklärliches bürgerliches Wunschdenken. Die Unzufriedenheit, der Mißmut, das Mißtrauen, die Mißgunst, die Streitsucht, die sozialen und psychologischen Pathologien, Fettsucht, Magersucht, Drogensucht, die Notwendigkeit, selbst in Familien die Gerichte zur Konfliktbewältigung einzusetzen usw usf, das alles kann man natürlich zur Natur des Menschen erklären, dann können wir uns alle Psychologen sparen, dann sind alle Mißstände keine Symptome einer kranken oder falsch organisierten Gesellschaft, sondern Normalstände. Sollen sich die Meckerer mal nicht so haben, es geht uns doch allen gut. Na, da haben Sie doch schön Ihre Seelenruhe gefunden, wir leben im Paradies, in der besten aller möglichen Welten, nur ein paar Spinner wollen das partout nicht wahrhaben.
2. Nicht ich, sondern „Sie unterstellen den Menschen, dass allein das Streben nach persönlichen wirtschaftlichem Eigennutz (und der Neid auf das eine Prozuent!?) sie zu politischem Handeln motiviert“, denn für Sie geht es den Menschen gut, wenn sie einkommensmäßig deutlich über einer bestimmten Grenze liegen, was eben für Westler im allgemeinen gilt. Falsch ist, das Gutfühlen als Absolut- statt als Relativerfahrung zu sehen. Da könnte man dann sagen, daß darin das Neidproblem der Menschen besteht, daß sie sich nicht mit dem vielen, das sie haben, begnügen, sondern sich an dem viel mehr, das andere haben, messen. Das ist allerdings nicht das Problem der Linken (oder meins), sondern der bürgerlichen Sozialdemokratie, die Linke dürfte kein Problem damit haben, daß auch Arbeitsunfähigen oder -unwilligen ein Einkommen zu einem Leben in Würde gewährt wird, ihr dürfte der Streit um den gerechten Lohn als ein Witz vorkommen angesichts der Einkommen aus der Kapitalvermehrung. Der Slogan „Linke wollen den Bürgern ihre Villa im Tessin wegnehmen“ ist so links wie „ein Mercedes (am besten Diesel) für alle“. Daß Sie das für links, vielleicht nur für das Links der unverbesserlichen linken Spinner halten, ist nun wieder typisch. Aber recht haben Sie, daß die Grünen nicht von Materialisten gewählt werden, sie werden teils von Postmaterialisten, teils von Idealisten, die ich den Linken zuordnen würde, und die keine Alternative sehen, richtig links wählen zu können, gewählt.
3. Als Linker will ich den „wirtschaftlich Unzufriedenen nichts, aber rein gar nichts anzubieten“ haben, darauf sind Sie offensichtlich fixiert. Als Linker interessiere ich mich gerade nicht für die wirtschaftliche Zufriedenheit, sondern für das, was man ein gutes Leben nennen kann. Da ist manches subjektiv, aber was ein gutes Leben ist, kann auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse und wahrhaftige Lebenserfahrungen gestützt werden. Und das Einzige, das man da anbieten kann, ist die Propaganda dessen, was man für richtig hält. Wenn die Menschen solches durchaus unsicheres, korrigierbares Wissen nicht annehmen wollen oder können, ist das eben so, dann ist ihnen diese Perspektive einer Verbesserung verschlossen. Jeder Linke handelt, wie er es tut, im Rahmen dieser Vorstellung von einer Verbesserung der Gesellschaft, der menschlichen Welt. Gestützt wird diese Vorstellung bspw von wissenschaftlichen Untersuchungen über den Zusammenhang von wirtschaftlicher Gleichstellung und Zufriedenheit und Produktivität der Gesellschaft. Aber selbstverständlich steht Ihnen frei, die linke Sicht zu verwerfen und die diese stützenden wissenschaftlichen Zusammenhänge zu ignorieren, sie können alles, was über ihren bürgerlichen Horizont hinausgeht, eine „demagogische Lüge“ nennen. Nur hier steht Behauptung gegen Behauptung, die Linke behauptet die Möglichkeit einer besseren Welt, die von den Herrschenden und einer Gruppe von Nutznießern mit brutalen Mitteln verhindert wird, der Gesellschaftsaffirmative weist die Möglichkeit besserer Alternativen kategorisch zurück. Warum nur? Wäre es nicht das Mindeste an Objektivität, die Möglichkeit besserer Möglichkeiten zuzulassen, und alle Versuche, es anders zu machen, wohlwollend zu begleiten. Einen offenen Wettbewerb der Systeme, ist das nicht die Idee des freien Markts? Aber nein, die bürgerlichen Ideologen organisieren eine self fullfilling prophecy, sie behaupten, Alternativen seien unmöglich, sie arbeiten offen und subversiv gegen alle solche Versuche, und stellen am Ende fest, die Alternativen funktionieren nicht. Womit ich nicht gesagt haben will, daß alle linken Umsturzversuche nicht auch an eigenen Fehlern der Linken gescheitert sind.
Wie gesagt, es gibt viele Indizien aus der Wissenschaft, die für bessere Formen der Selbstorganisation der Gesellschaft als der kapitalistischen sprechen. Aber der Beweis steht noch aus. Wir alle nehmen dabei eine Position ein, jeder sollte sich darüber klar sein, wo er steht und stehen will.
Zwischen Beoabachtungen und Ideologien klaffen Welten! Der Arzt kann eine Diagnose stellen und es dem Patienten überlassen, ob er die Behandlung nun will oder nicht. In dem Fall kommt es darauf an, wie groß die Einsicht (Leidensdruck) in der Sache ist, damit er/sie die Behandlung akzeptiert.
Mit der sogenannten "Soziale Marktwirtschaft" sitzen Sie einem Mythos auf (den ich auch eine zeitlang nicht durchschaut hatte, wie auch, wenn man es von (fast) allen Seiten bestätigt bekam und in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs alles damit verbunden hat/ analoges betrifft den Marshallplan), siehe hier und Ludwig Erhard musste nämlich gegen seine Überzeugung eher "zum Jagen getragen werden".
Die wachsenden Vermögensungleichheiten in der Gesellschaft werden ja selbst von den Konservativen nicht mehr bestritten, nur die "Rezepte" sind unterschiedlich, mit dem dieser Entwicklung begegnet werden soll, allerdings dann von jenen mit den gleichen Mitteln (Dosiserhöhung der Medikamente), die die Probleme bereits verursacht haben.
Es ist nicht einmal notwendig, auf alte Begriffe zurückzugreifen, um dem Zustand dieser Marktideologie zu widersprechen. Denn abgesehen davon, dass man ein Zitat von Adam Smith (unsichtbare Hand) fälschlich einseitig aus seinen zwei Hauptwerken entnommen hat, um damit dem Markt ein quasi neutrales Gewicht zu verpassen, was der aber in keiner Weise hinreichend leisten kann (Ungleichheiten verstärkt!), da ohne einen staatlichen Ordnungsrahmen noch nicht einmal von einem Markt gesprochen werden könnte.
"demagogische Lüge", krasse Behauptung!
Wenn Ihnen allerdings in einer Demokratie, die auch als "Fassadendemokratie" bezeichnet wurde, nichts außer der Marktideologie einfällt, denn es ist nichts anderes, dann ist allerdings noch ein dickeres "Brett zu bohren".
Marx hatte nämlich die "Entfesselung der Produktivkräfte/ Kapitalismus" noch als notwendige Voraussetzung zur Überwindung dieser Verhältnisse angenommen. Zumindest in der Hinsicht hat sich das System als widerstandsfähiger erwiesen, ist aber in einen Zustand über gegangen, der von einem Krisenzustand in den nächsten taumelt, aber sich im Neoliberalismus verselbständigt hat, sodass man es als eine neue Marktreligion bezeichnen kann, wobei der Marxismus zumindest von den beiden Schreibern her keine Weltanschauung war, sondern eine Analyse der Verhältnisse. Man sollte also nicht mehr hineinlegen, als enthalten war (wenngleich das in dogmatischer Weise in Parteien gemacht wurde).
Eines noch, der Mensch ist ein kooperatives Wesen und sich eben nicht "der Mensch ist des Menschen Wolf", wie es Thomas Hobbes noch aus zeitbedingte Erfahrung geschlossen hatte. Leider hat sich das Bild über den "Homo oeconomicus" in den Köpfen eingenistet, wobei kaum etwas weniger zutreffend ist, wer menschliches Verhalten analysiert (bestätigt auch in der Spieltheorie). Aber gelungen ist es insoweit, da selbst die im System Prekarisierten dem großteils verfallen sind.