Standardleben Zweibrücken ist die Stadt der Rosen und Rosse – und der Designer-Outlets. Unsere Autorin war erst skeptisch, hat dann aber schnell kapituliert. Ein Drogenexperiment
Shopping-Center auf der grünen Wiese sind eigentlich igitt. Die hässliche Investorenarchitektur verschandelt die Landschaft, dem Einzelhandel brechen die Kunden weg, die Innenstädte veröden. Schlimmer als normale Shopping-Center sind nur noch die sogenannten Factory-Outlet-Center, wo die unerträgliche Schnäppchenjägermentalität der Geiz-ist-geil-Generation bedient wird. Der Fall scheint also klar: Als größte Einrichtung ihrer Art in Deutschland muss das „Designer Outlet Zweibrücken“ auch die schrecklichste sein. Schon bei der Lektüre der PR-Prosa des Konzerns stellen sich die Nackenhaare auf: „Mit über 100 Designer-Shops steht das größte Outlet Center Deutschlands den angesagten Shoppingboulevards
ds der Welt in nichts nach.“ Provinzialität, die sich weltläufig geben will.Doch es kommt noch dicker: „Darüber hinaus ist das Shopping in Outlet Centern zu einem Symbol des postmodernen Lebensstils geworden.“ Ahja. In der festen Überzeugung, die „Designer Outlets Zweibrücken“ als Furunkel des „postmodernen Lebensstils“ zu portraitieren, reist man also quer durch die Republik. Aber dann kommt alles ganz anders.„Zweibrücken hat einen mediterranen Charme, der seinesgleichen sucht“, hat der Bürgermeister ins Telefon gegurrt. Zweibrücken, die „Stadt der Rosen und Rosse“, ist mit 38.000 Einwohnern Deutschlands kleinste kreisfreie Stadt, verfügt über eine Pferdezucht, einen Rosengarten und eine Eishalle – und über einen Charme, der so mediterran ist, wie man das von einer Kleinstadt, die im Krieg zu 90 Prozent zerstört wurde, eben verlangen kann. Sogar der T-Punkt macht Siesta von 12 bis 14 Uhr. Aber selbst um diese Zeit macht die Fußgängerzone keinen verödeten Eindruck.Jetzt ist ist die Stadt bekanntNatürlich hätten die Einzelhändler gegen das Outlet Center protestiert, sagt Annette Hübschen, städtische Beauftragte fürs Innenstadt-Marketing. „Aber die haben gemerkt, dass sie nicht viel ausrichten können, weil die Kunden von Anfang an dafür waren“. In den Monaten vor der Eröffnung im Jahr 2001 seien die Leute sonntags zum Bauzaun gepilgert, um die Fortschritte zu begutachten. „Wenn ich früher mit dem Dienstwagen unterwegs war, haben die Leute gedacht, ich käme aus Zwickau. Wegen des Kennzeichens ZW.“ Heute sei Zweibrücken den Leuten ein Begriff, weit über die Landesgrenzen hinaus.Zum Outlet-Standort wurde Zweibrücken, weil es weit genug, aber nicht zu weit von allem entfernt liegt. Zu nah an Ballungszentren dürfen Outlets nicht liegen, weil die Hersteller sonst die eigenen Läden kannibalisieren. Komplett in der Pampa geht aber auch nicht, weil sonst niemand kommt. 90 Prozent der Kunden kommen aus einem Radius von 200 Kilometern. Das ist für Zweibrücken mit seiner Nähe zu Frankreich, Luxemburg und dem Rhein-Main-Gebiet ein Einzugsgebiet von 15 Millionen Menschen.Außerdem seien markenbewusste Touristen aus Asien eine Zielgruppe, sagt Céline Diebold. Weil sie nicht nur Marketing-Managerin, sondern auch Französin ist, klingt manches, was sie sagt, schöner als das, was sie sagen will. Sie will vom Lebensstandard reden, den sich die Kunden auch in schlechten Zeiten bewahren möchten, weshalb das Outlet Center mit seinem Konzept, Markenware der Vorsaison zu reduzierten Preisen anzubieten, von der Krise profitiere. Aber sie sagt: „Jeder möchte sein Standardleben erhalten.“ Und das klingt aus ihrem Mund gar nicht gemein, nur wahr.Das Zubehör fürs gelungene Standardleben wird in einer Art Dorf-Imitat präsentiert. Die Sträßchen werden zwar nicht von Bäumen, sondern von kugelrunden Sträuchern in Blumenkübeln gesäumt, heißen aber trotzdem „Alleen“. Sie führen zum Marktplatz, in dessen Zentrum ein Rondell mit Sitzplätzen in den Boden eingelassen wurde. Im Sommer gibt es hier jeden Donnerstag nach Ladenschluss ein Open-Air-Konzert. Die Häuserzeilen mit den Boutiquen bestehen aus Glas, Holz und Edelstahl – jene Art von Freizeitarchitektur, die modern aussehen soll, aber immer billig wirkt. Wie Pappmachékulissen, die vom ersten Herbststurm weggefegt werden. Wenn man die Augen ganz leicht zusammenkneift, sehen auch die Passanten mit ihren Einkaufstüten nicht wie echte Menschen aus, sondern wie standardisierte Figuren, die der Architekt per Mausklick eingefügt hat. Das Ganze heißt „Village-Stil“, und es sieht genauso scheußlich aus, wie es klingt.Es fühlt sich gut anAber was so scheußlich aussieht, fühlt sich doch erstaunlich angenehm an. Man schlendert von Boutique zu Boutique und wird selbst bei Regen nicht nass, wegen der Vordächer. Das ganze Gelände (32.500 Quadratmeter) wird von soften Klängen beschallt. Die Verkäuferinnen sind so unaufdringlich, wie man es sich wünscht. Auch die Kunden wirken netter als anderswo. Anprobierte Ware lassen sie nicht einfach auf einem Haufen liegen, sondern falten sie wieder ordentlich zusammen. Wer im Begriff ist, 89 Euro für ein Polohemd auszugeben, das im Laden 139 Euro gekostet hätte, fühlt sich offenbar weniger als Kunde denn als Beschenkter. Immer wieder schmeicheln französische Sprachfetzen dem Ohr, was die Kundin in eine, nun ja, fast mediterrane Leichtigkeit versetzt. In der Umkleidekabine steht ein Flakon mit „Eau Dynamisante“ bereit. Wer sich damit einsprüht, stinkt zwar nach 4711, aber die Geste erfreut dennoch. Je länger man durch die Boutiquen treibt, desto klarer wird es: Die Designer Outlets Zweibrücken sind kein Furunkel, sondern eine wunderschöne Blüte des postmodernen Lebensstils.Womöglich ist man einfach nicht mehr ganz zurechnungsfähig, befindet sich im Drogenrausch. Beim Einkaufen wird das körpereigene Glückshormon Dopamin freigesetzt. Je teurer das gekaufte Produkt, desto mehr davon wird ausgeschüttet. Teure Produkte zu kaufen, die ursprünglich noch teurer waren, steigert die Hormonproduktion offenbar in sonst unerreichtes Ausmaß. Als um 19 Uhr die Läden schließen, setzt ein leichter Entzugsschmerz ein, den nur ein Gedanke lindert: Germanwings fliegt täglich von Berlin nach Zweibrücken.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.