Im Frankfurter Schlamm

Fotografie Barbara Klemm wartet ab, bis die Wirklichkeit große Momente inszeniert
Ausgabe 48/2013
Demonstration gegen die Startbahn-West, Frankfurt am Main, 1981
Demonstration gegen die Startbahn-West, Frankfurt am Main, 1981

Foto: Barbara Klemm

Noch vor vier Uhr in der Frühe kam der Ring-Anruf: Die Polizei rücke aus, um das Hüttendorf auf dem Gelände der geplanten Startbahn West am Frankfurter Flughafen zu räumen. Da machte sich auch die Fotografin Barbara Klemm auf den Weg, zusammen mit dem Polizeireporter der Zeitung, bei der sie angestellt war, der FAZ. Es wurde Tag, und nichts war geschehen. Es wurde Mittag, und nichts geschah. Erst als es auf den Abend zuging, deuteten sich Konfrontationen zwischen Demonstranten und Polizisten an. Ein paar Bilder hatte Barbara Klemm bis dahin schon aufgenommen. Aber jetzt kamen ihre Augenblicke.

Geschichten, die wie diese anfangen, könnte die Fotokünstlerin – als Trägerin des Ordens Pour le mérite Mitglied im vornehmsten Club des Landes – zu fast jedem der Bilder erzählen, die jetzt in einer großen Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt werden. Barbara Klemm lässt sich auf das ein, was sich zeigt, wartet ab, bis der Wirklichkeit große, wie inszeniert aussehende Momente gelingen, und nimmt genau dann ihr Bild auf.

Was noch folgt, ist Sache der Technik bis in die Dunkelkammer. Der Maler, sagt sie, hat es leichter, weil er die Inszenierung, die sein Werk zeigt, selber bestimmen kann. Sie als Fotografin müsse aufpassen, wann für wenige Sekunden sich eine Szene, eine Person, ein Stück Leben am treffendsten zeigt. Gelingt es, sagt das Bild, wie es so schön heißt, mehr als tausend Worte. Mehr als tausend Worte gebrauchten üblicherweise die Zeitungsleute, die zu Barbara Klemms Fotos die Artikel schrieben. Und sie wussten, dass die meisten Leser – auch während der Lektüre und danach – von Barbara Klemms Bild gebannt blieben.

Akribische Recherche

Ihre Fotografien sind Poesie. Sehr oft hat die FAZ sie auch dargeboten wie Gedichte. Die nun schon vor einigen Jahren aufgegebene Tiefdruckbeilage Bilder und Zeiten war für sie und ihre Kollegen ein wöchentlicher Ausstellungsplatz. Manches Reportagebild fand jenseits aller Aktualitätsüberlegungen dorthin. Die Fotografin reiste um die Welt, ging in Länder und dort aufs Land, wo selten Fremde hinkamen, oft begleitet von den jeweiligen Korrespondenten, die jede Reise akribisch vorbereiteten, weil sie wussten, dass auch ihre Berichte auf lange Zeit davon profitieren würden, was die Klemm im Kasten und in den Schubladen hatte.

Die Bilder der Ausstellung dokumentieren unübersehbar, dass diese Frau sich politisch als links verstand, an ihrer Begeisterung für Willy Brandt hat sich nichts geändert. Das wusste in der FAZ zu jeder Zeit jeder. Aber es war den Redakteuren egal. Die Bilder waren hervorragend. Poesie eben.

Legendär sind auch Klemms Porträts, manchmal von Prominenten, sehr oft von Menschen auf Straßen und Plätzen überall in der Welt. Auch hier inszeniert die Fotografin nichts. Mit einer kleinen Leica schlendert sie durchs Gelände und hat blitzschnell ihre Aufnahme geschossen. „Wenn eine Person wahrnimmt, dass sie fotografiert wird, ist die Chance für ein gutes Bild schon dahin“, sagte sie einmal. Prominente zieht sie in ein Gespräch, auf das sie sich gründlich vorbereitet.

Barbara Klemm hat ihren Beruf seit dem 14. Lebensjahr zunächst als Handwerk mit allen jeweiligen technischen Herausforderungen gelernt. Die Gespräche, unter anderem mit Thomas Bernhard und Golo Mann, wurden für sie zu Stationen individueller Erwachsenenbildung. Der Erfolg dürfte manches Gymnasium neidisch machen. Mitglied der Berliner Kunstakademie ist Frau Klemm inzwischen auch.

Zurück zum Hüttendorf. Der Tag war lang und nicht schön. Die Kollegen von der Frankfurter Rundschau hatten sich von ihrer Gewerkschaft einreden lassen, sie hätten auf die Begrenztheit ihrer Arbeitszeit zu achten. Um 12 Uhr mittags waren acht Stunden herum. Da erschien im Frankfurter Schlamm die Ablösung. Passiert war bis dahin noch nichts. Die Neuen musterten uns ironisch, denn wir sahen nicht mehr so aus, als hätten wir einen komfortablen Beruf. „Habt ihr vielleicht Hunger?“, fragten sie, „wir haben leider nichts zu essen dabei.“ Sie freuten sich ungemein. „Hoffentlich greifen die Bullen vor 20 Uhr an“, konterten wir, „sonst müsst auch ihr wieder abziehen, ohne etwas erlebt zu haben.“

Die Polizei rückte gegen 18 Uhr vor. Barbara Klemm bekam Gelegenheit, ihre Bilder zu machen. Da waren aber schon andere Kollegen gekommen, die sagten: „Sadat ist ermordet worden. Eure Geschichte kommt höchstens auf Seite vier.“

Barbara Klemm. Fotografien 1968–2013 Martin-Gropius-Bau in Berlin, bis 9. März 2014

Jürgen Busche war von 1972 bis 1987 Redakteur der FAZ

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