Im Frust vereint

Belgrad Seit Monaten gehen in der serbischen Hauptstadt Menschen auf die Straße, um gegen die Politik von Präsident Aleksandar Vučić zu demonstrieren. Ein Bericht aus der Menge
In Belgrad demonstrierten Tausende gegen Präsident Aleksandar Vučić
In Belgrad demonstrierten Tausende gegen Präsident Aleksandar Vučić

Andrej Isakovic/AFP/Getty Images

Es ist ein trüber Tag, der sich über den Köpfen der Protestierenden an diesem Samstag, den 13. April, in Belgrad zusammengebraut hat. Wieder haben sich Zehntausende zu dem seit Dezember letzten Jahres anhaltenden Protest zusammengefunden. Nach Angaben der Organisatoren soll es die bislang größte Demonstration gegen die Regierung und den amtierenden Präsidenten, Aleksandar Vučić , werden. Und während die Oppositionsparteien — ein Zusammenschluss aus demokratischen Kräften vorheriger Regierungen und Ultranationalisten— auf einen Sturz des Präsidenten und einstigen Kriegstreibers pochen, fordern mehrere Bürgerinitiativen von ebendiesem eine Öffnung seiner Politik, die in den letzten Jahren starke autoritäre Züge angenommen hat.

Die serbische Bevölkerung leidet seit den revolutionären Umbrüchen vom 5. Oktober 2000 an Nepotismus, Korruption und zunehmender Einparteienpolitik, die eine demokratische Wende verunmöglichen. Vor allem gegen die seit dem Antritt Aleksandar Vučićsanhaltende Medienstarre richtet sich die Wut der Protestierenden. Aggressiver Boulevard und Trash-TV dominieren die Medienlandschaft und tragen ihres zur Verrohung des politischen Diskurses bei — wenn dieser überhaupt stattfindet. Denn der Präsident verweigert sich seit Jahren einer Debatte mit der Opposition und den Bürgerinitiativen.

Vučićs Trumpiaden

Auch an diesem Samstag versammelt sich am Platz vor dem Parlament eine Masse, die politisch heterogener nicht sein könnte. Die Stimmung ist von Anfang an aufgeheizt. Vielen Bürgerinnen und Bürgern wurde die Anreise aus weiten Teilen des Landes durch Straßensperren erschwert, was bei den Anwesenden für Unmut sorgt. Auffällig ist die hohe Anzahl an Männern und alten Menschen, die teils äuußerst widersprüchliche Parolen gen Rednerbühne brüllen. Doch die politischen Spektren lösen sich im Menschenmeer auf, und der Verdacht, einer breitgefächerten Bürgerbewegung beizuwohnen, erhärtet sich. Die Leute haben sich nicht zusammengefunden, um irgendwelchen Parteibonzen zu huldigen, auch wenn manche von ihnen an diesem Abend die Mikros in den Händen halten. Die meisten sind gekommen, um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen: Missstände im Gesundheitssystem werden von fast allen Rednern auf der Bühne angesprochen und mit Sprechchören goutiert. Der Umstand, dass für krebskranke Kinder im heutigen Serbien zunehmend per SMS Gelder für eine Therapie im Ausland gesammelt werden, vereint viele Leute auf dem Platz. Wenn es um die Gesundheit der eigenen Kinder geht, löst sich jegliches Gerede über Parteienpolitik in Luft auf.

Auf der anderen Seite läuft die Propaganda-Maschinerie der Regierung auf Hochtouren: Das Internet rund um das Parlament ist lahmgelegt. Keine Informationen oder Bilder, die schnell an die Öffentlichkeit gelangen können. Und während immer mehr Menschen auf den Platz strömen, veröffentlicht das Innenministerium erste Schätzungen, denen zufolge sich um die 7300 Menschen auf dem Protest versammelt haben. Die Organisatoren sprechen zu diesem Zeitpunkt schon von mehreren Zehntausend Teilnehmern. Dieses extreme Herunterbrechen von Zahlen gehört seit Beginn der Protestwelle zur Strategie der Regierenden. Als beispielsweise während des Winters sich immer mehr Menschen den Protesten in der Hauptstadt anschlossen, sprach Vučić persönlich von einer optischen Täuschung, die die Masse größer aussehen lasse, als sie in Wahrheit ist, da die Protestierenden dicke Winterjacken trügen. Die Liste an solch lächerlichen Aussagen ließe sich endlos fortsetzen.

Als die Masse sich gegen 17.30 Uhr in Bewegung setzt und langsamen Schrittes Richtung Regierungssitz geht, regnet es bereits. Und während einige die Demokratie hierzulande gedanklich schon zu Grabe getragen haben, ist sie für viele der hier Anwesenden immer noch die einzige Möglichkeit, den maroden Institutionen endlich wieder Anstand, Würde und Gerechtigkeit zu verleihen. Solang diese Wende nicht eintritt, werden sie weitermarschieren.

Marko Dinić ist in Belgrad aufgewachsen und lebt als freischaffender Schriftsteller in Wien. Im Frühjahr 2019 erschien sein Debütroman "Die guten Tage" im Wiener Paul Zsolnay Verlag

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