Im Gefängnis der Klischees

Buchmesse Mit einer Diplomatie des Schlingerns gegenüber China gaben die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse all denen Auftrieb, die ihre Welt gern in Gut und Böse einteilen

„Wandel durch Annäherung“. Um große Worte war Jürgen Boos nicht verlegen, als er zu Wochenbeginn die 61. Frankfurter Buchmesse eröffnete. Zur Rechtfertigung der umstrittenen Entscheidung, China zum Gastland der größten Bücherschau der Welt zu machen, bemühte der Direktor der Frankfurter Buchmesse die Ostpolitik Willy Brandts. Doch dass seine Strategie aufgegangen wäre, werden auch Boos’ Unterstützer nur schwer behaupten können.
Natürlich war nicht zu erwarten, dass die 50 Schriftsteller und Journalisten, die in China im Gefängnis sitzen, darunter der Vorsitzende des unabhängigen chinesischen PEN-Zentrums, während nach oder durch die Buchmesse frei kommen würden. Oder dass 30.000 staatliche Zensoren, die in Fernost das Internet kontrollieren, ihr Amt verlieren.

Ein Kennzeichen der Entspannungspolitik der siebziger Jahre war, dass sie auf die langfristige Wirkung von Koexistenz und Kooperation setzte. Und in Kauf nahm, zwischendurch die eine oder andere Kröte zu schlucken. Das hatte im Kalten Krieg der atombewehrten Supermächte seinen guten Grund. Doch heute ist die Situation anders. Es gab also keinen Grund dafür, dass zwei Dissidenten fast von einem Symposium im Vorfeld der Messe ausgeladen worden wären, um die offizielle chinesische Delegation nicht zu verärgern. Während gleichzeitig der Chef der obersten chinesischen Zensurbehörde Gapp als Ehrengast empfangen wurde. Schon bei der alten Entspannungspolitik kam der Kontakt zu den Dissidenten zu kurz. Die Macher im Westen setzten aus realpolitischer Vorsicht zu sehr auf die Staatsmacht im Osten.

Überhaupt überboten sich die Strategen der klammheimlichen Demokratisierung mit Ehrenbezeugungen in Richtung chinesischer Staatsführung. Hatte Frankfurts CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth bei dem Symposium im September durch ihre demonstrative Begrüßung der Dissidenten die Staatschinesen erst ordentlich vergrätzt, warnte sie nun bei der Messeeröffnung, die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in China dürfe nicht zum „Dauerprotest“ werden. Hätte Egon Bahr die Ostpolitik je so begründet, er wäre gesteinigt worden.

Natürlich lädt man sich nicht für teures Geld Leute ein, um sie vor den Kopf zu stoßen. Aber in etwas mehr Diskurs über die „Freiheit des Wortes“, die in Frankfurt sonst lauthals beschworen wird, über Verbindendes und Trennendes hätten die Gäste schon verwickelt werden dürfen. Wenn das Kommerz-Unternehmen Buchmesse es lobenswerter Weise wagt, politisch aufzutreten, darf es vor den Konsequenzen nicht zurückschrecken. Mit ihrer Schlinger-Diplomatie gab die Messe letztlich all denen Auftrieb, denen es gefällt, die Welt in Gut und Böse einzuteilen: Hier die Dissidenten, da die Diktatoren. So blieb für die Besucher zwischen den tausendjährigen Holzlettern im Ehrengastpavillon und dem symbolischen Käfig auf dem Stand einer Menschenrechtsorganisation ein seltsam unklares Bild: China, ein traditionsbewusstes Kulturland oder ein hochmoderne Gefängnis? Natürlich ist die Buchmesse „nicht die UNO“, wie Jürgen Boss zu Recht betonte. Doch wenn man auf dem Messegelände schon keine Diktatur in die Knie zwingt – „Wandel durch Annäherung“ hätte wenigstens dieses Klischee produktiv auflösen müssen.

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