"Were we wrong?", hieß es Ende Juni selbstkritisch auf der Titelseite von The New Republic. Eine Sonderausgabe des konservativen US-Intellektuellenmagazins, das im Frühjahr 2003 eifrig für den Irakkrieg getrommelt hatte, stellte die Haltung der Redaktion gegenüber dem Krieg und damit die eigene Berichterstattung öffentlich in Frage. Gleich im Editorial wurde die Einsicht formuliert, man habe sich in den Gründen, für den Krieg einzutreten, getäuscht.
Diese Form der journalistischen Selbstdenunziation ist kein Einzelfall. Bereits im Mai verschaffte sich Daniel Okrent Gehör. Der Ombudsmann der renommierten New York Times warf seinem Blatt "kollektives Versagen" vor. Die New York Times habe sich in den Monaten vor Beginn der Angriffe von Kriegsbef
n der Angriffe von Kriegsbefürwortern instrumentalisieren lassen, viele Informationen seien fehlerhaft gewesen und mit marktschreierischen Schlagzeilen an den Leser gebracht worden.Okrents offene Kritik an den Berichten seiner Zeitung über den Irakkrieg hat einmal mehr gezeigt, dass derlei Introspektionen der amerikanischen Medienbranche inzwischen zum guten Ton gehören. Während selbstkritische Zeilen auf den US-Medienseiten ein professionelles Vorbild dafür abgeben, wie die Journaille selbst nach kapitalen Schnitzern Rückgrat beweist, sinkt der Stellenwert medialer Selbstreflexion in Deutschland zusehends. Die krisengeschüttelte Presse befreit sich allmählich vom kostspieligen Ballast der Medienseiten.Jahrzehntelang haben die Medien alles Mögliche beobachtet und darüber berichtet - nur nicht über sich selbst. Während der wirtschaftliche Aufschwung Mitte der neunziger Jahre dem Medienjournalismus eine Hochkonjunktur bescherte, befindet er sich mit der Krise wieder auf dem Rückzug in die Bedeutungslosigkeit. Das Image bröckelt und viele ambitionierte Neugründungen von Medienressorts sind inzwischen gescheitert wie die Traumfabriken der New Economy.Die mediale Eigenkritik sieht sich mit einem Legitimationsproblem konfrontiert: Wozu überhaupt Medienjournalismus? Dabei wird übersehen, dass die gesellschaftliche Verantwortung journalistischer Arbeit ebenso wie das öffentliche Interesse an Medien in den vergangenen Jahren gewaltig gestiegen ist oder, um es mit Norbert Bolz zu sagen: "Es gibt kein Jenseits der Medienwirklichkeit".Gerade bei uns, wo ausländische Investoren in den Medienmarkt eingreifen und gleichzeitig Fusionsgesetze gelockert werden, wo Politiker mehr Wert auf ihren Auftritt in Talkshows als im Parlament legen und das Schreckgespenst eines Überwachungsstaats umgeht, kann eine kritische Beschäftigung mit den Medien nicht von Nachteil sein. Wenn in Deutschland, dem größten und zugleich am weitesten entwickelten Mediensystem in Europa, Verlagsgiganten wie Bertelsmann und Springer als Global Player die Medieninhalte diktieren, ist Transparenz gefordert. Denn je mächtiger die Medien und je undurchsichtiger ihre Märkte werden, umso wichtiger ist es, die Spielregeln zu hinterfragen.Eine angemessene Kritik der Medien können Medienjournalisten leisten, die sich einem gesamtgesellschaftlichen Denken verpflichtet fühlen. Es lassen sich mehrere Funktionen der medialen Selbstkontrolle ausmachen, die für ein breites Publikum von Bedeutung sind. Dazu gehören beispielsweise die klassischen Servicefunktionen wie sie in den meisten Qualitätszeitungen als fester Bestandteil des Feuilletons verankert sind und die sich über Programmvorschau, Fernsehkritik und öffentlichkeitsrelevante Brancheninformationen definieren. Medienjournalismus sorgt, gesamtgesellschaftlich gesehen, für mehr Aufklärung und Kompetenz im Medienzeitalter. Medien bilden nicht nur soziale Wirklichkeit ab, sondern beeinflussen zunehmend die Lebenswelten der Menschen, weil sie Tag für Tag Ideologien, Werte und Rituale frei Haus liefern.Was den Gegenstand des Medienjournalismus betrifft, so stellt sich zunächst ein Definitionsproblem: Worüber sollen Medienjournalisten eigentlich berichten? Gerade die aktuelle Berichterstattung zeigt, dass Programmvorschau und Schauspielerinterviews zunehmend die Medienseiten füllen, während berufsbezogene Eigenkritik immer seltener und Gesellschaftsanalysen mit Medienbezug so gut wie gar nicht stattfinden.Eine weiterer Schwachpunkt ergibt sich aus der besonderen Berufsrolle des Medienjournalisten, der starken Kollegenorientierung. Medienjournalisten laufen stets Gefahr, sich den Vorwurf der Nestbeschmutzung einzuhandeln, wenn sie Probleme der eigenen Branche thematisieren. Unabhängigkeit ist dem Medienjournalismus das Glashaus, in dem er sitzt. Denn Medienjournalisten befinden sich nicht nur in einem kollegialen, sondern auch in einem ökonomischen Interessenskonflikt. In der durch Fusionen verflochtenen Medienlandschaft kollidieren Unternehmensinteressen oftmals mit dem journalistischen Objektivitätsanspruch. Unabhängige Berichte, etwa über Verlage und Programmanbieter, sind in Deutschland selten, vorauseilender Gehorsam und Gefälligkeitsberichte dagegen an der Tagesordnung. Dieses Problem hemmt den Medienjournalismus in der Ausübung seiner Transparenzfunktion immens. Vom Medienjournalisten wird Loyalität gegenüber dem eigenen Verlag eingefordert und gleichzeitig eine "gesunde" Distanz gegenüber fremden Medienunternehmen erwartet - eine ebenso heuchlerische wie unglaubwürdige Haltung.Schließlich ist auch der Medienberichterstatter nicht vor Betriebsblindheit gefeit. Aus Selbstreflexivität wird häufig Selbstreferenz, die der medialen Ereignisfixierung geschuldet ist. Medienjournalistische Befunde sind oftmals das Ergebnis von PR-Veranstaltungen, Pressemitteilungen und inszenierten Ereignissen, deren Bedeutung sich dem Insider meist nur aus der Beschäftigung mit sich selbst erschließt. Wenn Medienjournalismus aber keinen Transfer im Sinne gesellschaftlicher Aufklärung zu leisten vermag, hat er ein Relevanzproblem. Letztlich gilt, was Ignacio Ramonet, Direktor der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique, auf den Punkt gebracht hat: Wenn die Medien das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen wollen, müssen sie "Analysen zu ihrer eigenen Funktionsweise entwickeln, und sei es nur, damit wir alle erfahren, wie das Ganze läuft, und um daran zu erinnern, dass sie weder der Kontrolle, noch der Beobachtung, noch der Kritik entgehen". Medienjournalisten könnten genau dies leisten. Sie sollten sich weniger zu Sprachrohren ihrer Kollegen und zu Kampfmitteln der Verlage machen lassen, sondern sich stärker als Kontrollinstanzen begreifen. Denn zeitgemäße Medienkritik folgt einem gesellschaftlichen Verantwortungsprinzip mit dem Anspruch, der wachsenden Bedeutung der Medien eine aufklärerische Berichterstattung entgegenzusetzen. Damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger der Mediengesellschaft das Treiben der Medien durchschauen.Stephan Alexander Weichert arbeitet als Medienwissenschaftler am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg. Er ist Mitherausgeber des Buches Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus, das im Oktober im Verlag für Sozialwissenschaften erscheint.