Im Käfig der Gedanken

Intellektuellenpflicht Anne Webers neues Werk "Besuch bei Zerberus"

Anne Weber ist mit drei Prosabänden fulminant in die deutsche Literatur hineingeschossen und dies trotz der Tatsache, dass ihren Texten das allseits propagierte Erzählen einer Geschichte weitgehend abgeht. Die 1964 in Offenbach geborene Wahlpariserin darf zu der vom Aussterben bedrohten Spezies einer essayistischen Prosa gerechnet werden. Ihr geht es um die letzten Dinge, und wenn sie über derart Gewichtiges schreibt, stülpt sie die Sprache um, denkt um die Ecke und bringt die Begriffe ins Rollen.

So geschehen auch in ihrem neuen, schmalen Band Besuch bei Zerberus, der offenbar 2001 während eines Aufenthaltes als Stipendiatin des Literarischen Colloquiums am Berliner Wannsee entstand. Es geht um die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben, das liebste Thema der Autoren. Mutlos und ängstlich sitzt ein "mythologisches Zwitterwesen", das mit Stuhl und Schreibtisch verwachsen zu sein scheint, vor dem berühmten weißen Blatt Papier, daneben die Whiskeyflasche, mit der Hoffnung auf göttliche Eingebung. Was liegt näher, dieses Vakuum selbst zum Thema eines Buches zu machen? Und so mäandert Webers Gedankenfluß, in den sie mit dem Höllenhund Zerberus, ihrem spiritus rector, steigen will, um daraus ein "gutes Buch entstehen zu lassen, das auch Generationen später noch in Klarsichtfolie eingepackt in den Schulranzen liegt".

Geblendet vom Leben blickt sie in den Himmel, auf den Boden und in die Ferne, träumt sich durch Alpträume, stellt sich viele unbeantwortbare Fragen, sucht im Branchenverzeichnis nach wesensverwandten Heulsusen, hadert mit der Welt der gesicherten Angestellten, staunt über das Nichts, räsoniert über die Gefräßigkeit des Weltalls, bewundert die gelben Hosen der Wirklichkeit und mißtraut allen allgemeinen Wahrheiten: "Gedanken führen zu nichts, das ist das Schöne an ihnen. Man gibt sich ihnen hin, sie geben sich einem hin, man spielt mit ihnen, sie lassen einen nicht mehr los und bilden einen Fluß, an dessen Ufern man gerne spazierengeht ... Daneben gibt es den Gedanken, den klaren, den man eines Tages faßt. Genau wie die vorherigen führt er zu nichts. In ihrem knöchernen Käfig drehen sie sich im Kreise, und in diesem Reigen tanze ich gerne eine Weile mit."

Auf der Landkarte findet sie in Cerbère, südlich von Perpignan gelegen, an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien das Tor zur Unterwelt, bewacht von Zerberus, der ihr den Weg in eine neue Welt weisen soll. Während der Vater vorübergehend mit Sterben beschäftigt ist und die Mutter auf dem Wasser rudert, besucht sie das Grab des unglücklichen Walter Benjamin in Port Bou, "Intellektuellenpflicht" und Hommage an den Übervater zugleich, der wie sie die Sprache zur Komplizin machte. An diesem Ort zwischen Leben und Tod, Schreiben und leerer Einsamkeit ärgert sie sich über ihre Hirngespinste und will die Gemeinde neu anstrahlen, doch die öffentliche Verwaltung hält das für überflüssig. Und so sucht sie weiter nach dem richtigen Ton, der vielleicht besser der Falsche sein könnte, um das Erinnerungsdickicht und ihre Angst zu überwinden. Dieses Bemühen besticht passagenweise durch schöne Bilder und kluges Insistieren, ermüdet aber auch in seinem Kreisen um die eigene Mitte und bleibt letztlich hinter den kunstvollen Denk- und Sprachspielen der Vorgängertexte zurück.



Anne Weber: Besuch bei Zerberus. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004.

111 S., 18,90 EUR


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