Im Mittelfeld

Spiegel-Jargon Alexander Osangs neuer Erzählband "Lunkebergs Fest"

Alexander Osangs neuer Band verspricht elf Erzählungen und offeriert stattdessen eine Galerie von Einzelporträts, die in der Zusammenschau ein Generationenbild ergeben. Sätze wie aus dem Eröffnungstext Das Totenschiff charakterisieren die allgemeine Stimmungslage: "Er war 43 Jahre alt, sein Kopf steckte in einer Reisebustoilette, seine Frau war in einen hessischen Narkosearzt des St. Hedwig Krankenhauses verliebt." Hier ist die Rede vom AOK-Angestellten Eckert, der versehentlich zum Entführer eines Reisebusses avanciert. Doch ebenso wie dieser tolpatschige Verlierer räsonieren auch seine Altersgenossen in den anderen Texten über die Misere ihres Lebens. An Familienfesten wie Weihnachten oder Ostern, auf Parties und am Ende eines Urlaubs exemplifiziert Osang die scheinbare Ausweglosigkeit der Situation; an diesen Kristallisationspunkten kollektiv verordneter Fröhlichlichkeit wird, mal drastisch, mal dezent, erkennbar: "Das Leben ist kein Picknick". Die Midlife-Crisis würgt Osangs Figuren bis zur Selbstbesinnung, der Schrecken des Alters und der Zukunft treibt seine Glückssucher fast über die Grenzen ihrer Existenz hinaus. Die Erkenntnis, als Dreißig- und Vierzigjährige endgültig erwachsen und (selbst-)verantwortlich geworden zu sein, somit die Hälfte des Lebens eventuell bereits hinter sich zu haben und trotzdem (fast) nichts erlebt und bewegt zu haben, was dem Glück irgendwie ein bisschen näher bringen könnte, frustriert sie alle ungemein. Da ist die Promoterin Andrea mit den Schnabelschuhen und dem chicen Alfa Romeo, der Familie und Freund entgleiten. Der kahlköpfige, kinnlose Sozialdemokrat und Referent im Innenministerium Lunkeberg versteckt seine spießigen Hausschuhe und Platten vor den Gästen im Eisschrank und muss damit leben, dass seine Freundin ihre Beziehung als "Typberatung" interpretiert. Der Kettensägenverkäufer Ronald Kluge hadert mit einem möglichen Losgewinn vor vielen Jahren und geht der Sache doch nie richtig auf den Grund. Zudem hat "Kluge keine Geheimnisse mehr. Er bekam keine andere Frau mehr." Der Feierabendmusiker Lindemann hat sich seit zehn Jahren nicht mehr verliebt, vielleicht weil er unfruchtbar ist. Friedemann kauft sich Platten gegen seinen Geschmack, Franks Leben ist ins Stocken geraten, David macht das Leben zum Museum, Lisa sitzt mit ihren kranken Vietnamveteranen in "the middle of nowhere" und vermisst Schnee und Kinder, Lothar hat zehn ereignislose Jahre hinter sich und hofft im Keller auf eine Überraschung, und Carsten hört die Musik von "Supertramp" mit gemischten Gefühlen, weil sie ihn daran erinnert, dass er alt wird.

Der Spiegel-Korrespondent Alexander Osang überraschte vor zwei Jahren mit seinem Debütroman Die Nachrichten (Freitag 6/2001), weil er so gar nicht journalistisch geschrieben ist. Seine neuen Texte hingegen arbeiten stark mit Typisierungen, geben sich lakonisch wie im besten Spiegel-Jargon, raffend und oft nur noch andeutend und knackig formuliert. Osang beschreibt Zustände, die Erzählungen treten auf der Stelle. So wie seine Figuren durchhängen und wie Halbgefrorenes nur tröpfchenweise schmelzen, so verharren die Texte meist in einer Zeitdimension, werfen allenfalls scheue Blicke vor und zurück. Diese Statik ermüdet auf die Dauer, zumal sich die Figuren, so unterschiedlich ihre Milieus sein mögen, auffallend ähneln. Nur die Erzählung Das Totenschiff schlägt eine kleine Volte, nimmt buchstäblich mit auf die Reise. Die anderen Texte gleichen Schnappschüssen im Bilderrahmen, frech arrangiert und scheinbar keck aus der Hüfte geschossen. Doch diese Methode erschöpft sich beim Rundgang durch die Galerie, so dass man dann doch gerne den Ausgang erreicht.

Alexander Osang: Lunkebergs Fest. Erzählungen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2003. 174 S., 15 EUR


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