Im Möglichkeitsraum

Literatur Ein Sammelband beschreibt das Verhältnis von Fritz Bauer zu den 68ern
Ausgabe 45/2020
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1961
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer im Jahr 1961

Foto: Everett Collection/Imago Images

Fritz Bauer war ein aufrechter Sozialdemokrat, einer, den man mit der Lupe sucht. Als Generalstaatsanwalt und Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 – 65) wurde er bekannt. Der Band Fritz Bauer und „Achtundsechzig“ zeigt nun noch andere Seiten seines Engagements, wenngleich es insgesamt wohl eher dem Muff von tausend Jahren geschuldet war, den viele unter Talaren verbargen. Zwölf Aufsätze von Fachleuten, hauptsächlich aus den Geschichts- und Rechtswissenschaften, ergänzen einander optimal. Bei diversen Schwerpunkten greifen sie Grundzüge im Denken und Handeln stets neu auf: einen Willen, das Strafrecht menschlich zu gestalten, eine Aversion gegen neuen Rechtsradikalismus, gegen Obrigkeitsfimmel sowie rigide Sexualnormen, die aus seiner Sicht eine fehlende NS-Aufarbeitung kompensierten.

Ehemalige NS-Richter verhängten weiter Urteile. Dass sie geläutert waren, zweifelte der Sohn jüdischer Eltern und bekennende Atheist öffentlich an. Damit brachte er viele gegen sich auf, auch in der eigenen Partei. Als 1959 Studenten mit Nähe zum SDS die Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz kuratierten, funkte die SPD dazwischen: Den SDS hielt sie für von der DDR unterwandert, erinnert Kristina Meyer, es waren typische „antikommunistische Abwehrreflexe“ und „innerparteiliche Disziplinierungsmaßnahmen“. Bauer habe sich aber nicht gefügt, sondern „die Initiativen der Studenten wohlwollend, wenn auch vorwiegend aus einer professionellen Distanz“ unterstützt. Belastendes über NS-Funktionäre durch „Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft der DDR“ in die Finger zu bekommen: der SPD ein Graus, für Bauer Alltagsroutine. „(G)egen 99 in Hessen tätige Juristen, die an Todesurteilen (…) beteiligt gewesen waren“, strengte er Verfahren an. Auf unmittelbare Effekte hoffte er nur wenig. Gesellschaftliche Reflexion darüber, was Autoritarismus anrichtet, sei eher Ziel gewesen – und die Justiz davon zu befreien.

In puncto Strafrecht schwebte Bauer ein auf Resozialisierung setzendes vor. Auch hier lag er mit seiner Zunft über Kreuz. Kriminelle, so Kirstin Drenkhahn, wurden oft unter miserablen Umständen zu Zuchthausstrafen verdonnert. Abschrecken lautete das Motto. Philanthropen wie Bauer hätten es schwer gehabt, dagegen anzugehen. In einer Zeit, in der sich kaum jemand um Erhebungen geschert habe, verortet Drenkhahn Bauer als Freund der Empirie. Während er sich auf internationale und interdisziplinäre Forschung stützte, hätten Kollegen einschlägige Texte mangels Englischkenntnissen gar nicht gekannt.

Viele Texte im Band verweisen auf Öffentlichkeitsarbeit, die Bauer, der 1968 mit 64 Jahren starb, unermüdlich betrieb: als Experte bei Podiumsdiskussionen, als Autor von Büchern und einer Flut an Artikeln. Damit „eröffnete er den 68ern einen Gestaltungs- und Möglichkeitsraum juristischer Intervention“, so Alexandra Kemmerer in einem Kapitel über Bauer als „Netzwerker“. Deutlich wird durch die Lektüre aber auch: Teil der Diskurse und Debatten war er nur begrenzt. Sich im Privaten austobende (sexuelle) Gewalt und Machtasymmetrien zwischen den Geschlechtern habe er noch nicht berücksichtigt, der zweiten Frauenbewegung zum Beispiel daher nur eine Grundlage bereitet.

Detailreich, aber verständlich und so auch für interessierte Laien zugänglich zeichnen die Autor*innen ein spannungsreiches Bild vom Verhältnis Bauers zu den sich formierenden Protestbewegungen, wobei – so beschreibt es Malena Todt – die Angst vor einem allmächtigen Staat Bauers Denken jedoch bestimmte.

Info

Fritz Bauer und „Achtundsechzig“. Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft Katharina Rauschenberger, Sybille Steinbacher (Hrsg.), Wallstein Verlag 2020, 278 S., 34 €

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