Zur Mitte des neuen Albums von Kreisky legen die Aliens den Schalter um bei Franz Adrian Wenzl. Vorher schon hatte der Sänger und Texter der Band aus Wien im von ihm bekannten Grantelton über deprimierte Rucksacktouristen und die Zustände in den besseren Wohngegenden Österreichs gesungen. Um Drohnen über akkurat gemähten Vorgärten war es gegangen, um die Größe der Kakerlaken in südeuropäischen Jugendherbergen und den Audi Q6 irgendeines Arschgesichts, das Wenzls Erzähler mal wieder die Einfahrt zugeparkt hat. Dann aber, im Song Kilometerweit Weizen, kommen die Aliens auf der Erde an, und selbst ihm fällt nichts mehr dazu ein. Im Stil eines derangierten Operntenors beendet er die erste Seite der Atlantis-LP mit „Lalala
P mit „Lalala“-Pirouetten.Man kann also sagen: Am Plattenteller trennen Kreisky einmal mehr die Spreu vom Weizen. Wer sich nach den ersten vier Songs ihres sechsten Albums noch dazu aufraffen kann, die LP umzudrehen, wird wahrscheinlich auch schätzen, was im weiteren Verlauf passiert. Einem hoffnungsfrohen Jungen zählt Wenzl all die Wochentage auf, an denen er versagen wird: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Den Salzburger Ex-Skistar Marcel Hirscher möchte er mit Milch übergießen, auf dass er „weich und weiß“ bleibe wie der Schnee, durch den er einst kurvte. Seinen Lebenswandel kürzt er in Ermangelung einer sinnstiftenden Sprache auf fünf prägnante Worte herunter: „Blöde Witze und cooles Wissen.“Der Popmusik ist es egalKreisky machen dazu denselben Krach, den sie seit Mitte der Nullerjahre machen. Schnittige Gitarren im Stile längst vergessener Post-Punk-Gruppen aus Manchester, Leeds und anderen englischen Industrielöchern. Orgel- und Synthieklänge, die auch zur Livebegleitung alter Horrorfilme taugen würden. Eine Rhythmusgruppe, die so stoisch um ihre Noten kreist, dass man sich Kreisky sogar als Krautrockband ausmalen kann. Etwas ist aber doch anders an Atlantis. Es klingt zu laut und nach Zuviel, als wären alle Instrumente im roten Bereich der Studioregler aufgenommen worden. In neuer Rolle als Vollzeitproduzent hat der ehemalige Kreisky-Bassist Gregor Tischberger ganze Arbeit geleistet. Die Maschine knarzt, die Schrauben sitzen locker, die Zeichen stehen auf Explosion.Auch deshalb spricht diesmal eine besondere Dringlichkeit aus den Liedern der Band, die schon 2014 erkannt hatte: „Die Erde ist ein Hassplanet, der sich um sich selber dreht.“ Blick auf die Alpen hieß damals das Album zur Erkenntnis, und wenn Kreisky ihre Platten benennen würden wie impressionistische Maler ihre Bilder, müsste Atlantis eigentlich Blick auf die Alpen mit weit aufgerissenen Augen und langsam aufziehender Panikattacke heißen. Der Sound und die Worte passen zur Lage: Kurz, Strache, ihre Parteien und Urlaubsziele müssen nicht explizit vorkommen, um dem Album einen apokalyptischen Touch zu verleihen. Corona und das österreichische Krisenmanagement sitzen mit in der Gondel, obwohl Atlantis längst fertig war, als das Virus in Ischgl ankam.Stichwort Skisport: Der Song Abfahrt Slalom Super-G, mit dem Kreisky an die eingangs erwähnten „Lalala“-Eskapaden ihres Sängers anschließen, war ursprünglich als Geschichte eines Rekonvaleszenten gedacht. Während eine kreiselnde Gitarre an den Retro-Rock von Franz Ferdinand und damit auch an das Frühwerk von Kreisky erinnert, sinniert der Protagonist des Songs über die Einsamkeit des Wohnzimmers, in dem er sich von einer Operation erholt, womöglich nach einem Unfall auf der Piste. Das Schöne an Popmusik ist hier einmal mehr, wie egal ihr solche Szenarien sind. Anderthalb Jahre, nachdem Kreisky das Stück aufgenommen haben, könnte es plötzlich auch von der Systemrelevanz des Skifahrens handeln.Die Isolation im Wohnzimmer ist dann nicht mehr verletzungs-, sondern krankheitsbedingt. Das Schneetreiben vor der Haustür erscheint dem paranoiden Erzähler als Todesfalle. Wer so spezifisch textet wie Wenzl in Abfahrt Slalom Super-G und damit doch den Zeitgeist eines eigentlich unvorstellbaren Jahres erahnt, ist entweder sehr gut in seinem Job oder mit hellseherischem Pessimismus gesegnet. In smarter Voraussicht haben sich Kreisky darauf verlassen, dass zwischen den Aufnahmen und der Veröffentlichung von Atlantis alles noch viel schlimmer werden würde, als es eh schon war.Kann das allein aber die Botschaft sein? Der Hassplanet ist schlecht und Österreich der offizielle Idiotenhügel dazu? Kreisky selbst sind im 16. Jahr ihres Grantelns offenbar Zweifel gekommen. Sie dichten Atlantis einen Abschlusssong an, der den sieben vorausgegangenen mit überraschendem Kampfgeist begegnet. Zur dramatisch aufgerissenen Kirchenorgel führt Wenzls Erzähler in Wenn einer sagt ein Selbstgespräch, das von Sinn und Zweck eines Lebens als moderat erfolgreicher Rockmusiker zu handeln scheint. „Wenn einer sagt“, sagt er zu sich, „was du da machst, ist der letzte Dreck / Sag: Es ist mein Dreck.“Für Österreich im Jahr 2021 scheint das ein sinnvolles Motto zu sein. Was die Aliens sagen, bleibt abzuwarten.Placeholder infobox-1