Im Schatten der Furcht

CASTOR-TRANSPORTE Kein Ende des Protests

Wenn man den Medien glaubt, waren die Proteste gegen den Castor-Transport in diesem Herbst wenig erfolgreich. Es gab tatsächlich weniger Teilnehmer als im Frühjahr. Doch was ist hier das Erfolgskriterium, und worum ging es überhaupt? Dass vielen Menschen die gewandelte Weltlage und besonders der Afghanistan-Krieg noch mehr auf den Nägeln brennt als der "Energiekonsens" der Regierung - der den Konzernen das Weiterlaufen der Atommeiler bis zum Verschleiß erlaubt -, so viel wissen auch die Demonstrationsveranstalter. Mehr noch, es geht ihnen natürlich selbst nicht anders. Aber soll man, weil eine Frage existenziell wichtig ist, den Streit um eine andere ebenso wichtige Frage vernachlässigen? Einen Burgfrieden kann es auf keinem Politikfeld geben, in der Atomfrage aber schon gar nicht. Deshalb war es diesmal die Aufgabe der Bewohner des Wendlands, stellvertretend für andere, die in einer anderen Situation dazugestoßen wären, den Protest sichtbar fortzuführen. Das ist gelungen. Niemand wird glauben können, er habe das Einschlafen des Protests beobachtet.

Es kommt noch hinzu, dass die Polizei es Anreisenden nicht leicht gemacht hat. Ihre Dauerpräsenz behinderte das rechtzeitige Ankommen. Weil sie im Schatten der Furcht operierte, Atommeiler seien das nächste Terrorziel, konnte sie auf das bleierne Gefühl auch der Atomgegner setzen - darauf, dass es sich auf dem Castor-Transport erstrecken würde. Sie verhielt sich, als sollte die Furcht durch vorgeführte Besatzermentalität noch verstärkt werden. Bürger, die sonst von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht hätten, wurden abgeschreckt. Die Wendländer selbst waren erschrocken, als die Ackerbrache eines Bauern besetzt wurde, der infolge neuer Verordnungen kein Rechtsmittel dagegen einlegen durfte: sein Eigentum sei "beschlagnahmt", teilte man ihm mit. Trotzdem ließen sich 300 Bauern von Straßenblockaden nicht abhalten.

Langer Atem, auch wenn die Zeiten bleiern sind, war die Devise der Demonstranten. Sie zeigten ihn auch dadurch, dass sie die neue Sorge um Sicherheit der Meiler vor Anschlägen nicht ins Zentrum stellten. Gewiss teilen sie die Sorge. Sie gibt ihrem jahrzehntelangen Protest noch einmal zusätzlich recht. Sie ist lange vor dem 11. September von ihnen selbst geäußert worden. Sie sollte viele, die diesmal nicht gekommen sind, veranlassen, sich an Robert Jungks Klassiker Der Atomstaat zu erinnern. Aber der Versuchung, mit der Terrorgefährdung für mehr Aufsehen zu werben, sind die Demonstranten nicht erlegen. Die Fortführung der Atomindustrie kann von niemandem verantwortet werden - ganz unabhängig von der Frage, ob auch Terroristen sich ihrer annehmen oder nicht.

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