Die von der israelischen Regierung errichtete Trennmauer rinnt zu feinem Sand gemahlen durch drei filigrane Stundengläser: In Majd Abdel Hamids Sanduhren werden die an den Checkpoints der Besatzung vergeudeten Stunden des Wartens zu Kunst. Zu sehen sind sie derzeit auf der ersten palästinensischen Kunstbiennale.
Vom 1. bis 15. November zeigt die Qalandiya International nationale und internationale Künstler und Künstlerinnen in den drei Hauptausstellungen Gestures in Time (kuratiert von Katya-Garcia Anton und Lara Khaldi), Disarming Design from Palestine (kuratiert von der International Academy of Art Palestine), und den YAYA - Young Artist of the Year Award (verliehen von der A. M. Qattan Stiftung). Es gibt keinen zentralen Pavillon, sondern die Arbeiten verstreuen sich über entlegene Dörfer und Städte (Qalandiya, ’Abwein, al-Bireh, Hajjah, Jamma’in, Dhahiriya, Gaza, Jerusalem, Ramallah und Nazareth), was sehr vielen Besuchern die Möglichkeit der Teilhabe und der Begegnung ermöglicht.
Ein Hörspaziergang führt zum Beispiel in den palästinensischen Hügeln von Uriel Orlow durch die traumatischen Erinnerungsruinen von Deir Yassin. Neben Orlows Specters of Stone durchforsten auch zahlreiche andere Arbeiten die Erinnerung. Bis an die Schmerzgrenze der Nostalgie wagt sich Jumana Manna, die YAYA-Gewinnerin, in ihrer melancholischen Evozierung des unwiederbringlich Verlorenen in der Videoinstallation A Sketch of Manners: Alfred Roch's Last Masquerade.
Ausstellungsort für einige unerreichbar
Am eindrucksvollsten aber auf die Vergangenheit bezieht sich die Installation AL-JISSER (die Brücke) der Gruppe Subversive Film, die ein filmisches Archiv des fast mythischen Flüchtlingsstromes der über die Allenby Brücke nach Jordanien Vertriebenen zuerst zusammentrug, dann bearbeitete. Der Menschenzug der exilierten Masse aus der offiziellen Propaganda verlangsamt sich am Ende derart, bis wieder der Schritt des Einzelnen, die Geste einer Frau, eines Kindes, der taumelnde Tritt der Tragenden sichtbar wird.
Gestures in Time, Gesten in der Zeit, heißt folgerichtig eine der Hauptausstellungen. Diese Gesten vollziehen sich hier dabei stets im Schatten der Trennmauer: Ein Gutteil des Publikums und der Kuratoren der Ausstellungen in Ramallah, das heißt im palästinensischen Rumpfstaat im Westjordanland, wird die in Jerusalem gezeigten Arbeiten nie zu Gesicht bekommen, da ihnen die Reise zu dem 14 Kilometer entfernten Ausstellungsort aufgrund ihrer „falschen“ Papiere verwehrt bleibt. Die Verbindung zur Ausstellung in Gaza entsteht durch Videokonferenz, da sowohl Ein- als auch Ausreise unmöglich sind.
Wie sich derart selbst- und fremdbestimmte Ortsveränderungen im Allgemeinen auf die Kunst auswirken, ergründete am Rande der Qalandiya International der von Adania Shibli herausgegebene Band Dispositions. Ein Gespräch von 15 palästinensischen Malern wird hier in Beziehung und Zwiegespräch gesetzt mit den überaus vielfältigen Beispielen ihres Schaffens.
Schon jetzt lässt sich resümieren: Qalandiya International bot ambitionierte und teilweise äußerst gelungene Versuche, ihr Motto „Kunst und Leben in Palästina“ zu verwirklichen, gerade auch in der Thematisierung der örtlichen Gegebenheiten, sowohl in den Arbeiten selbst als auch in der Wahl der Ausstellungsorte.
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