Im Sog des "Wir"

US-Wahlen Mit seiner Rhetorik der Einschließung biegt Barack Obama langsam in die Zielgerade ein

Weltweit evoziert Präsidentschaftskandidat Barack Obama das Gefühl, dass in den Vereinigten Staaten etwas Historisches passiert. Ein immer größer werdender Teil der Wähler scheint sich von einem schwarzen Politiker repräsentiert sehen zu wollen. Vor allem aber dürfte mit ihm die Baby-Boomer-Ära des erbitterten Kulturkampfes zwischen Linksliberalen und Neokonservativen während der Präsidentschaften von Bill Clinton und George W. Bush ein Ende finden. Das politische Programm von Hillary Clinton, deren Nominierung als Präsidentschaftskandidatin lange als sicher galt, unterscheidet sich nur in Nuancen von dem Obamas. Beim Nominierungswahlkampf handelt es sich vielmehr um einen Wettkampf der Codes und Rhetoriken. Und diesen scheint der Senator aus Illinois zu gewinnen.

Dass Obamas großes Kampagnenthema der "Versöhnung" und der "Heilung der Nation" einen symbolischen Nerv besonders unter jungen Amerikanern trifft, überrascht vor dem Hintergrund der ideologischen Grabenkämpfe der letzten 16 Jahre nicht. Was allerdings überrascht, ist die rhetorische Wirksamkeit, mit der Obama seinen Gospel der "Hoffnung" unter das Volk bringt. Kaum einen amerikanischen Politiker der letzten Jahrzehnte umgab eine so prophetische Aura. Niemand wurde, gefördert durch eine umfangreiche Grassroots-Bewegung, jemals so früh zur popkulturellen Ikone. Obama scheint es binnen weniger Monate geschafft zu haben, ein Bewegung ins Leben zu rufen, die die alten Fronten zu überbrücken glaubt.

Während Clinton am Debattenpult überzeugt, läuft Obama in der Theaterhalle zur Höchstleistung auf. Obamas Stil ist gleichzeitig seine politische Botschaft. Amerikanische Kommentatoren aller Ausrichtungen sind sich einig, dass es seit John F. Kennedy keinen besseren Redner auf der politischen Bühne gegeben hat. Sein kadenzenreicher, erhebender Redestil wird oft mit dem Martin Luther Kings verglichen. Obamas Reden sind bewusst an die historischen Skripts seiner Vorbilder George Washington und Abraham Lincoln angelehnt, die sich von der Dominanz des königlichen "Wir" der englischen Monarchie befreiten und zum ersten Mal das Pathos des demokratischen "Wir" ausbuchstabierten.

Obamas große Leistung besteht darin, dieser patriotischen Redefigur ein zeitgemäßes und authentisch wirkendes Gewand zu geben. Sein Kampagnenmotto "Yes We Can", das von prominenten Befürwortern wie Scarlett Johansson und John Legend sogar zu einem hitverdächtigen Ohrwurm-Popvideo vertont wurde, konzentriert dieses demokratische, alle Bevölkerungsgruppen, Rassen und Geschlechter einschließende "wir" in populistischer Reinform. Klangvolle Sätze wie "Wir sind der Wandel, den wir suchen" oder "Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben" gehören zum Grundvokabular von Obamas Reden und machen einen Großteil ihres Sogeffekts aus.

Obamas Versöhnungs-Messianismus zeitigt beeindruckende strategische Konsequenzen. Nicht nur prallen die nach dem alten Muster des Kulturkriegs gestrickten Charakterattacken des Clinton-Lagers an ihm ab. Auch der Versuch der Neokonservativen, ihn zur personenkultanfälligen Führerfigur zu stilisieren, verliefen bisher im Sand. Obama spricht von seiner politischen Bewegung nicht als der seinen, sondern der einer wachsenden Gruppe von Amerikanern mit dem Glauben an eine grundlegende Reform der Politik in Washington. Er inszeniert sich nicht als Produzenten des Wandels, sondern vielmehr als dessen Katalysator.

Die gravierendste Konsequenz trifft allerdings Hillary Clinton. Auch die erste erfolgversprechende Wahlkampagne einer Frau hat historische Bedeutung. Doch Obama hat es geschafft, sie in das Licht einer Art Amtsinhaberin anstelle des einer ersten Präsidentschaftskandidatin zu rücken. Hillary scheint zu eng mit den Kulturkämpfen und Intrigen Washingtons verstrickt. Von den meisten Amerikanern wird sie zuerst als eine Clinton und erst dann als Frau wahrgenommen.

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