Still, heimlich und ohne langwierige Debatten in den nationalen Parlamenten wollte die EU-Kommission ihre Position absegnen lassen - wohl in der Hoffnung, dass sich niemand ernsthaft für das »General Agreement on Trade in Services« interessieren würde. Dieses Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, das gegenwärtig im Rahmen der WTO verhandelt wird, wurde dennoch zu einem Politikum im Deutschen Bundestag. Fraktionsübergreifend ignorierten die Abgeordneten den Zeitplan Brüssels, der bis Ende März Stellungnahmen aus allen Mitgliedsstaaten vorsah und führten im April Anhörungen durch, deren Ergebnisse nun im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit diskutiert werden.
FREITAG: Bei der Erarbeitung einer europäischen Position zum
ischen Position zum GATS gab es ein ungewöhnliches Maß an Geheimhaltung. Wie haben die Abgeordneten des Bundestages darauf reagiert? SIGRID SKARPELIS-SPERK: Die Geheimhaltung ist nicht nur erstaunlich, sondern auch empörend. Wir haben uns jede Information einzeln holen müssen. Dabei geht es beim GATS um einschneidende Präjudizierungen künftiger Gesetzgebung. Es geht darum, ob das Volk noch die Souveränität hat zu sagen: Diese Lösung gefällt uns nicht, das muss anders geregelt werden. Beim GATS geht das aber kaum noch. Einmal unterschrieben, ist es außerordentlich schwer zu kündigen und das nur zu hohen Kosten. Und deswegen darf es hier keine Geheimdiplomatie im Stil des 19. Jahrhunderts geben, als die Könige untereinander verhandelt haben. Das sind vordemokratische Zustände, die in den Demokratien Europas nichts mehr zu suchen haben. Der EU-Handelskommissar behauptet, er hätte die Parlamente sehr wohl informiert. Im Vorfeld haben wir Informationen von einer Allgemeinheit bekommen, die nach dem übereinstimmenden Urteil aller Abgeordneten, einschließlich CDU und FDP, uns klargemacht haben: Wir wissen nicht, was von wem und auf welchen Gebieten gefordert wird. Am 7. Februar lag dann die Verhandlungsposition der EU-Kommission vor. Bis zum 18. März sollten anschließend die Regierungen der Mitgliedsländer ihre verbindlichen Erklärungen abgeben. Ein Zeitraum von fünf Wochen! In so kurzer Zeit kann ein Parlament, wenn es sich um eine so unglaublich komplizierte Materie handelt, nicht vernünftig beraten.Und daraufhin hat der Bundestag Einspruch erhoben und auf Anhörungen bestanden? Ja, wir haben die Notbremse gezogen. Zum ersten Mal in der Parlamentsgeschichte unseres Landes wurde für internationale Verträgen der Europäischen Union ein Parlamentsvorbehalt beschlossen.Der Entwurf zum GATS sah vor, dass die Wasserversorgung für den privaten Wettbewerb geöffnet werden soll. Die EU-Kommission hat am Ende aber nachgegeben, den Wassermarkt in Europa nicht zu liberalisieren. Aus welchen Gründen? Wasser ist eines der Lebenselemente des Menschen, Wasser ist eine Ressource, die nicht beliebig vorhanden ist. Wir sind zwar ein wasserreiches Land, gleichwohl ist Trinkwasser von der besten Qualität auch bei uns in Deutschland nicht beliebig verfügbar. Die Industrie hat Wasserrechte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, und manchmal missbraucht sie diese Rechte in einer Weise, die einen fassungslos macht. Da wird Grundwasser sozusagen von Champagnerqualität aus Tiefen hervorgeholt und darf ohne weiteres als Kühlwasser für Kraftwerke dienen, während andere Teile der Republik gewaltige Summen aufwenden müssen, zum Beispiel entlang des Rheins, um Trinkwasser für ihre Bevölkerung aufzuarbeiten. Würde man in dieser Situation privatisieren, gingen wertvolle Grundwasserreserven an den Meistbietenden und nicht unbedingt an den, der das Trinkwasser braucht. Eine vernünftige und nachhaltige Wasserwirtschaft wäre nicht gewährleistet. Deswegen sind wir nicht dafür, die Wasserversorgung dem GATS zu unterwerfen.Ein wichtiges Thema ist auch die Liberalisierung des Tourismus. Besteht nicht die Gefahr, dass lokale Unternehmen in den Entwicklungsländern von den Reise-Multis noch stärker an den Rand gedrängt werden? Das ist durchaus denkbar. Ich bin Ökonomin und habe gelernt, dass den sehr großen Unternehmen nicht zu trauen ist. Entweder tendieren sie dazu, Monopole zu bilden, oder - wenn es wenige sind - untereinander Absprachen zu Lasten ihrer Kunden oder ihrer Arbeitnehmer zu treffen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn in diesen Ländern, die sich ja entwickeln sollen, kleine und mittelständische Strukturen entstehen, auch größere, die ihr eigenes Management haben. Die werden am Anfang natürlich auch Fehler machen, und deswegen brauchen sie zunächst Schutzräume. Sie können nicht aus dem Stand mit großen multinationalen Konzernen konkurrieren. Entwicklungsländer haben das Recht auf ihre eigene Entwicklung, und wir sollten ihnen dieses Recht nicht abschlagen.Wird aber nicht genau das mit dem GATS passieren? Jedes Land muss im einzelnen Fall selbst entscheiden, was es für wünschenswert hält und was nicht. Manche Länder stehen ja sozusagen zwischen Scylla und Charybdis: Entweder sie lassen kein fremdes Kapital herein, dann haben sie gar keines und damit auch kein Geld, um Maschinen zu kaufen, um Infrastruktur zu entwickeln und um ihre Menschen auszubilden. Da gehen manche lieber das Risiko ein, fremdes Kapital ins Land zu lassen, um diese Entwicklungsmöglichkeiten nicht auszuschließen. Nun ist fremdes Kapital ja auch nichts Schlechtes, man kann damit etwas Vernünftiges machen, wenn sich das fremde Kapital an bestimmte Spielregeln hält. Natürlich ist es für Unternehmen einfacher, überall auf der Welt dieselben Spielregeln vorzufinden. Länderspezifische Verpflichtungen dagegen, etwa für Ausbildung zu sorgen oder den Gewinn fünf Jahre lang im Land zu lassen, sind für Konzernzentralen nicht angenehm. Wenn man solche Auflagen aber nicht akzeptiert, heißt das, dass diese Länder sich zum Teil nicht vernünftig entwickeln können, und darauf haben sie ein Anrecht.Neben Wasser- und Tourismusunternehmen verlangen auch Banken und Versicherungen ein stärkere Marktöffnung. Welche Konsequenzen hätte das für den Finanzsektor in den ärmeren Ländern? In Entwicklungsländern ist der Markt für ausländische Großbanken und Versicherungsunternehmen sehr klein, oft zu klein, um profitabel zu werden. Interesse besteht an den Schwellenländern, an den sogenannten »emerging markets«, wo dann allerdings erfahrungsgemäß ortsansässige Konkurrenz vernichtet wird. Würden sich große ausländische Banken in einem Entwicklungsland etablieren, ist der Aufbau eines funktionierenden regionalen und lokalen Bankwesens gefährdet. Gerade das wird aber gebraucht - für die vielen Klein- und Kleinstunternehmen. Weltweit bekannte Mikrofinanzierungssysteme, die vor allem mit Frauen erfolgreich arbeiten, sind die Grameen Bank in Bangladesh oder SEWA in Indien. Solche Initiativen und den Aufbau lokaler und regionaler Bankenstrukturen sollte man fördern.Das Gespräch führte Rolf-Henning Hintze
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