Im Vorgefühl des Untergangs

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Dunkle Tage" waren für den Dichter Thomas Brasch immer auch Momente der Offenbarung. Wenn die Grenzen zwischen hell und dunkel verschwimmen, erlebt sein lyrisches Ich die Augenblicke der wahren Empfindung. Über die Welt fällt dann die Dämmerung einer Endzeit, in der alles verhangen scheint von der Erwartung der nahen Katastrophe. So irrte in den verstörenden Schwarzweissbildern des Spielfilms Domino (1982) die Schauspielerin Lisa, dargestellt durch Braschs Lebensgefährtin Katharina Thalbach, durch ein dunkles Berlin, in dem sich die Zeichen der nahenden Apokalypse mehren. In Braschs Gedichten werden die fluktuierenden Sphären von Nacht, Schlaf und Traum zur letzten Heimstätte eines weltverlorenen Ichs, das nie mehr die helleren Bezirke des Erwachens erreicht. Der Schlaf und die Träume gebären dann die Phantasmagorien vom Untergang. So sieht sich das Ich eines fatalistischen "Schlaflieds" gehetzt "vom schlimmsten Frieden / zwischen zwei Kriegen", wobei der nächste Krieg offenbar unmittelbar bevorsteht.

Vom Vorgefühl blutiger Feindseligkeiten erzählen auch die so schlicht anmutenden Verse des Gedichts Vorkrieg, das in der letzten Abteilung von Braschs 1980 publiziertem Band Der schöne 27. September zu finden ist. In drei jambisch akzentuierten und traditionell gereimten Strophen vergegenwärtigt der Text das Zusammentreffen von Eros und Tod. Der Verheißung des erotischen Begehrens steht die Erwartung eines nahen Krieges gegenüber, der "atemlose" Liebesakt korrespondiert mit der Gewissheit von "schönem Tod" und Verderben. Die "fremde Frau" des Textes agiert dabei nicht nur als erotische Verführerin, sondern auch als Todesbotin, die das Ich auf eine Treppe lockt, hinter der Unheil zu lauern scheint. Liebe und Krieg, Tod und Verlangen verschränken sich hier zu einem komplementären Verhältnis.

Thomas Brasch

Vorkrieg

Ich habe heute nacht geträumt
Von einem dunklen Tag
Und einer fremden Frau Wie
Atemlos ich bei ihr lag

Sie sprach von einem schönen Tod
Und von einem eisernen Krieg
Ich sah wie sie mit großem Schritt
Die eiserne Treppe hochstieg.

Ich bin ihr nachgegangen
Soldaten haben mich eingefangen
Und mit hellen Regentropfen erschossen So wurde ich wach
Aber noch immer schlagen die Tropfen aufs Dach

Thomas Brasch, 1945 in Westow/Yorkshire geboren, starb diesen November in Berlin. Zuletzt erschien im Suhrkamp-Verlag seine Novelle Mädchenmörder Brunke, die literarische Essenz eines Prosaprojekts, das auf insgesamt 14.000 Seiten angewachsen war.

Aber der Traum geht jäh zu Ende, und das Szenarium der Verlockung bricht ab mit der Imagination des Todes. Am Ende befindet sich das Ich im Übergangsbereich von Traum und Realitäts-Sphäre, und die "hellen" Regentropfen, die auf das Dach schlagen, bilden den Nachhall jener Schüsse, die dem Ich im Traum den Tod brachten.

Aber nur für kurze Zeit ist der Dichter der Macht des Todes entronnen. Bald folgten neue literarische Ankündigungen von "Vorkrieg" und nahem Verderben. Aus einer rauschhaften Produktivität heraus stürzte Brasch Mitte der achtziger Jahre in eine tiefe Schreibkrise, die er durch ruinösen Umgang mit der eigenen Gesundheit noch weiter vertiefte. Als er am 2. November einem Herzversagen erlag, ließ sich plötzlich der erste Satz seiner letzten Novelle Mädchenmörder Brunke (1999) als Menetekel entziffern: "Ich war offensichtlich an den Folgen jenes Unglücks gestorben, das ich erwartet hatte, seit mir das Lieben abhanden und ich mir auf diese Weise vor Jahren vollständig abwesend geworden war."

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