Wer Andreas Schmidt-Schaller treffen möchte, muss warten können. „Eile ist die Mutter der Unvollkommenheit“, entschuldigte der Schauspieler kürzlich in einem MDR-Interview sein notorisches Zuspätkommen („blöde Krankheit“). „Ich gebe mir künftig Mühe.“ Das klingt nach deutlicher Vorwarnung. „Oh, Sie sind schon da, ich bin noch gar nicht zu Hause“, erklärt er am Telefon, nach vergeblichem Türklingeln. „Geben Sie mir 30 Minuten.“ Eine glückliche Fügung, dass das Haus, das Andreas Schmidt-Schaller mit Partnerin und jüngstem Sohn bewohnt, an den Schlossgarten Schönhausen in Berlin-Pankow grenzt. Null Grad herrschen an diesem immerhin sonnigen Mittag im Februar. Von Ast zu
„Im Westen waren die Frauen immer Opfer“
Porträt Andreas Schmidt-Schaller war Leutnant Grawe im DDR-„Polizeiruf“. Dann wurde er durch die Serie „Soko Leipzig“ auch im Westen zu einer Marke
zu Ast hüpfende Eichhörnchen vertreiben den Unmut.Er steht nicht hier und kann nicht anders: Schmidt-Schallers Marotte ist charakteristisch für einen Mann, der sich in der Mitte seiner Welt wähnt. Irgendetwas ist immer wichtiger. Also muss man warten können. Hierin kommt der Archetypus des modernen Mannes zum Vorschein, den Schmidt-Schaller zeitlebens als Figur verkörpert. Nicht jenen Soldatentypus heroischer Gesellschaften, der Idealmann der Bürgerzivilisation ist der leicht kantige Kommissar. Über 27 Jahre lang gab Schmidt-Schaller in zwei TV-Serien den Ermittler mit dem Touch des Unkonventionellen. Das prägte sein öffentliches Gesicht. Weil die eine Serie in der DDR gesendet wurde, die andere nach dem Mauerfall eine gesamtdeutsche war, gilt Schmidt-Schaller, Jahrgang 1945, für die einen als Repräsentant der eigenen realsozialistischen Geschichte. Andere sehen ihn als kumpelhaft-akzeptablen Ossi.Wer den Mann treffen möchte, sollte keine Anschlusstermine haben. Auch nach 30 Minuten öffnet niemand die Tür. Er wird gewiss jeden Moment eintreffen im Berliner Ostviertel, wo Christoph Hein um die Ecke wohnt. Lebt Egon Krenz noch hier? Vorm Haus: Menschen mit Tagesfreizeit, Fahrradfahrerinnen mit Helm, frischgebackene Väter in den Vierzigern, die ihre Babys vorm Bauch geschnallt herumtragen. Autos wenden, auf dem Wirtschaftshof gegenüber wird ein Anhänger beladen. Ein Recycling-Lkw lässt zehn Minuten den Motor laufen, signalisiert dann piepsend den Rückwärtsgang. Was Schmidt-Schaller wohl denkt, wenn er aus dem Fenster seines Einfamilienkubus auf solches Treiben schaut? Ob er sich dieses Trubels bewusst war, als er an dieser Stelle 2010 den Neubau errichten ließ?Unbekümmertes Selbstbewusstsein spricht aus Schmidt-Schallers Körperhaltung. Die Schule des DDR-Theaters, wo auf Ensemblearbeit, nicht auf Solisten Wert gelegt wurde, ist bei jedem Wort des gebürtigen Arnstädters zu spüren, der in Weimar aufwuchs. Spoiler: Ein Treffen wird zustande kommen; nur jetzt noch nicht. Keinesfalls ist er der Typ selbstverliebter Mann, der den Starkult sucht. Wie er zigmal mit hochgeschlagenem Lederjackenkragen in der Einlassschlange am Schauspiel Leipzig nach den „Soko“-Drehs für Premierenbesuche anstand: Da freute er sich, erkannt zu werden, ohne in den Vordergrund zu drängen. Eine Autogrammkarte hat so jemand nicht einstecken.Paraderolle TrautzschkeNach zwei Stunden Warten ist Schmidt-Schaller endlich wieder telefonisch erreichbar. „Wollen wir uns nachher in der Volksbühne treffen?“ Dort, am Rosa-Luxemburg-Platz, nimmt er abends an einem Podium zum Zirkeltag teil. Jener Tag, an dem die Mauer genauso lange weg ist, wie sie gestanden hat: 28 Jahre. Fast die gleiche Zeit maß Schmidt-Schallers TV-Kommissar-Leben. Im Gegensatz zu vielen Kollegen wusste er, wann er aufhören sollte, statt zu warten, bis ihn der Regisseur beiseitenimmt: „Wir müssen reden.“ Also machte er Schluss mit Kommissar Hajo Trautzschke in Soko Leipzig – die zweite Paraderolle des Andreas Schmidt-Schaller, nachdem er dem „Polizeiruf 110“ im DDR-Fernsehen sein Gesicht verliehen hatte.Placeholder image-1Dabei wollte er nie Seriendarsteller werden, als er nach dem Schauspielstudium in Leipzig am Theater Karl-Marx-Stadt („Die Stadt mit den drei O“) arbeitete. Aber die zeittypische Theateranstellung auf Lebenszeit lehnte er als kreativitätslähmend ab, kam nach einer weiteren Station am Theater Magdeburg zum Film. Und zum „Polizeiruf“, wo er seinen ersten Auftritt als Verdächtiger hatte. Er erbat sich Zugeständnisse für eine Figur jüngerer Generation, durfte längere Haare tragen. Unter diesen schaute er seit 1986 als Leutnant Thomas Grawe in die Kamera. Nach der Wende zunächst eingestellt, kehrten die Serie und er wieder. Seinen letzten Fall hatte Grawe 1995. Nach diversen TV-Auftritten – als Leiter des Puppentheaters Gera war er zwischenzeitlich auch tätig – trat Schmidt-Schaller 2001 im ZDF seine zweite Paraderolle als Hajo Trautzschke an. „Mich hat gereizt, dass der Hauptkommissar aus dem Osten kommt, weil über die Biografie etwas erzählt wird.“ Seine eigene holte ihn 2013 ein, als bekannt wurde, dass er in den späten 1960ern Informationen für die Staatssicherheit sammelte. „Das waren aber nur Stimmungen aus dem Theaterkollektiv und der Gesellschaft“, so Schmidt-Schaller. Als er über Personen berichten sollte, brach er die Zusammenarbeit ab. Volle Akteneinsicht werde ihm bis heute verwehrt, erzählt Schmidt-Schaller, seine Anwältin kämpfe weiter darum.Den Hauptkommissar Trautzschke hängte er nach 329 Episoden im vergangenen Oktober an den Nagel. „Jetzt trinken wir erst mal!“, prostete er bei einem Abschiedsinterview im MDR einer Moderatorin zu. Es war mitten am Nachmittag. Der Frau stand der Sinn noch nicht nach Prosecco. Einige Minuten später bot sie ihm an, auch ihr Glas zu leeren.„Ich hab schon seit vier Woche keinen Alkohol mehr getrunken. Das ist schwer“, klagt er am Abend auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Wenn Schmidt-Schaller „zwischen fünf und halb sechs“ vorschlägt, meint er 17.40 Uhr. „Ach, das tut mir so leid, dass ich Sie versetzt habe. Mich hat es am Rücken erwischt. Der Arzt musste eine Spritze setzen, vielleicht ist es die Bandscheibe.“ Mühsam schleicht er die Volksbühnenmauern entlang, um den rückseitigen Eingang der Kantine zu erreichen. Wortkarg, unfreiwillig grummelig, strahlt unter den Schmerzen doch Sympathie aus. Im holzgetäfelten Ambiente einer Studentenkneipe nimmt Schmidt-Schaller an einem runden Ecktisch Platz. Es wird ein 20-minütiges Frage-Antwort-Spiel. Er will sein Gegenüber nicht beleidigen und gibt brav knappe Auskunft, aber von der Plauderlaune halten ihn die Schmerzen ab. Warum gerade er da jetzt aufs Podium soll, wisse er nicht. Sicher hat er Ost-West-Erfahrung. Galionsfigur des Ostens? Nein, das sei er nicht. „Das ist mir so wurst, was andere denken oder die Presse daraus macht. Wenn die das so meinen, dann muss ich das hinnehmen. Ich fühle mich einfach als Bürger dieses Landes.“Seine 2015 erschienene Autobiografie will er auch nicht so nennen, „ein paar Gedanken und Erlebnisse“, der Verlag habe ihn dazu gedrängt, sie aufzuschreiben. Halbe Eitelkeit, charakteristisch für Schmidt-Schaller. Vielleicht ist dieser Wesenszug seiner Herkunft geschuldet: als uneheliches Kind bei starken Frauen aufgewachsen, hat er vieles seiner Großmutter Luise zu verdanken. Mutter Brigitte wurde zwischen Journalismus und Produktion beruflich mehrfach hin und her geschickt. „Ich habe immer mit starken Frauen zu tun. Auch wenn es manchmal nicht so einfach ist. Meine Frauen waren mir immer wichtige Partner, die Kinder sind es bis heute. Mein großer Sohn ist fast wie mein Bruder. Mit meinen Kindern kann ich viel besprechen, das gibt Halt.“Es war die Familie, die ihn zweimal davon abhielt, von Schwedenreisen nicht mehr zurückzukehren. „1961 dachte ich, das kann ich meiner Großmutter nicht antun. Mein Großvater in Schweden hatte sie in den Zwanzigern mit drei Kindern alleingelassen. Es war für mich nicht vorstellbar, diejenige, die für mich so gesorgt hat, sitzen zu lassen.“ Ähnlich war das 1979: „Da habe ich an meine Frau und meinen kleinen Sohn gedacht.“Placeholder infobox-1Die Mauer in den Köpfen: „Ich glaube schon, dass es die in unterschiedlicher Art gibt. Auf beiden Seiten wird noch in Ost und West unterschieden. Das ist bei der Jugend schon ganz anders.“ Bei seinem 21-jährigem Sohn spiele das nicht mehr so eine Rolle. Gerade an der Sprache macht er Unterschiede fest: „Ich ärgere mich, wenn ich lese: ‚an Weihnachten‘ oder ‚unter der Woche‘. Dann denke ich immer an Bergarbeiter, die unter Tage arbeiten.“ Seit 23 Jahren lebe er in einer „Ost-West-Verbindung“, ist mit der Regisseurin Swentja Krumscheidt liiert. „Wir merken Unterschiede, aber es funktioniert gut. Im Einzelnen kann ich die gar nicht so einfach benennen, manchmal gibt es unterschiedliche Auffassungen, obwohl sie als Kölnerin mir schon nahe ist.“ Damit meint er eine gewisse Großzügigkeit und „soziales Denken“. Gleichberechtigung, Kinderbetreuung, keine Zweiklassenmedizin, bezahlbare Mieten sind für Schmidt-Schaller Errungenschaften, die aus der DDR hätten gerettet werden sollen.Es kumpelt in der Kantine„Frauenquote ist ein Unwort für mich. Hier zeigt sich ein Unterschied zwischen Ost und West. Die Frauen waren in der DDR gleichberechtigt. Mehr oder weniger waren die Frauen im Westen immer Opfer, im Pornogeschäft, in der Werbung, degradiert zum Kaffeebringen. Sie waren immer die Untertanen. Das gab es im Osten nicht.“ In „Soko Leipzig“ bleibt Kommissar Trautzschkes bevorzugter männlicher Nachfolger zugunsten der Frauenquote unberücksichtigt. Beim „Polizeiruf“ allerdings war der Frauenanteil geringer.„Herr Krahl, sind Sie das?“ Am Nebentisch nimmt der Sänger von City Platz („Am Fenster“). Er soll die Podiumsdiskussion musikalisch begleiten. „Wir sehen ja alle ganz anders aus“, sagt Toni Krahl, als sich beide Männer die Hände reichen. „Wir werden nicht mehr schöner, wa? Haste keinen Rasierer?“ „Nee“, antwortet Schmidt-Schaller. Und spielt auf Krahls Glatze an: „Könnte ich mir bei dir leihen.“ Es kumpelt in der Volksbühnenkantine. Berliner Schnauze trifft auf einen plötzlich über die kleine Anerkennung aufgeblühten Schauspieler.Einige Meter weiter strahlt Intendant Chris Dercon beim Lesen der Menütafel jene Selbstverliebtheit eines Mannes von Welt aus, die Andreas Schmidt-Schaller abgeht. Er ist Mitte seiner Welt, mehr nicht.Dass niemand in der Kantine wie auch später auf dem Podium bemerkt, dass sich zur Mauer in den Köpfen fast ausschließlich Männern äußern, gehört auch zu dieser Geschichte. Das Warten hält an.
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