Das Kapitol ist üblicherweise das Ziel von Touristen, nicht Trumpisten
Foto: Sarah Silbiger/Getty Images
Wehklagen und Spott gab es noch im Herbst über den betagten Joe Biden, der so farblos wahlkämpfe im „Keller seines Wohnhauses“, ein Mann aus der Vergangenheit und einer anderen Welt. Eine Revolution ist nicht ausgebrochen in Washington, doch Präsident Biden tritt ziemlich resolut für Reformen ein, die ihm viele linke Demokraten nicht zugetraut hätten. Auch wartet er offenbar nicht so lange wie Barack Obama auf republikanische Kooperation. Das birgt Risiken, die demokratische Mehrheit im Kongress ist knapp, dennoch – Biden regiert.
Sein Corona-Programm wird allmählich dem Ausmaß der Not gerecht. Bei Einwanderung und Klimaschutz signalisiert das Team Biden/Harris Dringlichkeit. Ihr Programm will Umweltgerechtigkeit für besonders betrof
ers betroffene Gegenden mit afroamerikanischer, indigener oder Latino-Bevölkerung. Und dann plant das Weiße Haus, das Lager Guantánamo zu schließen, ebenso die Privatgefängnisse im nationalen Strafvollzug. Schließlich soll es einen 15-Dollar-Mindestlohn geben, mehr als doppelt so hoch wie im Moment.Immer noch loyal zu TrumpInzwischen hat sich gezeigt, was der leichteste Job ist in Washington: Ex-Präsident Trump gegen die Impeachment-Anklage zu verteidigen, er habe am 6. Januar zum Sturm auf das US-Kapitol angestiftet. Trumps Anwälte machten nach ein paar Stunden Schluss in der Gewissheit, es würden genügend republikanische Senatoren gegen eine Amtsenthebung stimmen. Und so kam es. Die demokratische Hoffnung ist zerronnen, republikanische Politiker würden nach der Gewalt den absurden Vorwurf der Wahlfälschung und ihre Loyalität zu Trump aufgeben. Wer in der Republikanischen Partei seinen Posten behalten will, muss die mit Horrormeldungen von manipulierten Wahlen gemästete Basis bedienen.Die Politiker im rechten Amerika haben sich weitgehend auf die Erwartung zurückgezogen, dass sie womöglich trotz aller demografischen Veränderung noch eine Zeit lang als rechte weiße Partei Macht ausüben oder zumindest das Regieren der Demokraten sabotieren können. Langfristig fragwürdig, doch kurzfristig gar nicht so unsinnig, blickt man auf Umfragen und Umstände vor Ort: Trumps Werte sind landesweit im Keller, aber bei einer klaren Mehrheit der Republikaner genießt er nach wie vor großes Ansehen. Eine Ausnahme war Mitte Februar Nikki Haley, Trumps ehemalige UN-Botschafterin und mögliche Präsidentschaftsanwärterin für 2024. Im Magazin Politico hat sie nach Jahren der Servilität bedauert, dass Trump seine Partei „im Stich gelassen“ habe. „Wir hätten nicht auf ihn hören sollen.“Die mit dramatischen Videos untermauerte Impeachment-Anklage war erschütterndes Polittheater und etwas für Geschichtsbücher. Demokraten mussten im Kongress so tun, als könnten sie Republikaner überzeugen. Dabei konnten die gar nie für eine Amtsenthebung stimmen, ohne sich selbst infrage zu stellen. Die Mehrzahl hat die Lüge von der gestohlenen Wahl mitgetragen.Die Hauptgefahr für die US-Demokratie kommt nicht von rechtsextremen Proud Boys und dem Mann mit den Hörnern auf dem Kopf, der unweigerlich auftritt, sobald Bilder vom erstürmten Kapitol zu sehen sind. Dieser „QAnon Shamane“ erklärte im NBC-Fernsehen, die Aktion sei ein Erfolg gewesen. Man habe „die Verräter“ gezwungen, „ihre Gasmaske aufzusetzen und in ihren Untergrundbunker zu fliehen“. Zwischenzeitlich ist er in Haft, der Staat hat den Behörnten freundlicherweise in ein Gefängnis verlegt, in dem es Bio-Essen gibt, das er aus Glaubensgründen braucht.Die entscheidende Gefahr ergibt sich aus dem tief verwurzelten Verschwörungsglauben und der antidemokratischen Wut im konservativen Teil der Gesellschaft. Das Magazin The Atlantic hat sich die Randalierer angeschaut, gegen die Anklage erhoben wurde. Darunter seien zahlreiche Amerikaner, die als „respektable Leute“ durchgehen könnten, hieß es, Unternehmer, Ex-Militärs, Polizisten. Die Mittelklasse sei gut repräsentiert gewesen. Diese Klientel sei in der Überzeugung dabei gewesen, man habe ihr das „unantastbare Recht zum Herrschen“ gestohlen.Herkömmliche Analysen vom Konflikt zwischen Wohlhabend und Arm, Eigentümer und Arbeiter treffen die Zustände in der Republikanischen Partei nicht unbedingt. Es geht den Rechten um Selbstverständnis und Ideologie, die nicht immer im Einklang steht mit wirtschaftlichen Interessen, die sonst bei den Republikanern gut aufgehoben sind. Die Handelskammer, ziemlich verlässlich republikanisch, hat sich deutlich distanziert vom Verleugnen des Wahlergebnisses. Das untergrabe Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, man begrüße Bidens 1,9 Billionen Dollar schweres Rettungspaket zur Corona-Hilfe.Biden ist es abseits vom Impeachment-Verfahren gelungen, die breite Allianz seines Wahlsieges zusammenzuhalten. Gern wird Lob von Bernie Sanders zitiert, wie das in der New York Times: Präsident Biden sei wie Franklin D. Roosevelt 1933 zu einer außerordentlichen Zeit der Krise an die Regierung gekommen. Und nun finde man Biden wie FDR „bereit, groß zu denken und nicht klein, um die vielen, vielen Probleme der Familien aus der Arbeiterschicht anzugehen“, so Sanders. Bei Roosevelt bedeutete großes Denken, angesichts der Weltwirtschaftskrise, 25 Prozent Arbeitslosen und bankrotten Banken radikale Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu ergreifen. Dazu zählten Wirtschaftshilfen und letztendlich ein „New Deal“ mit langfristigen Reformen im Arbeitsrecht, einer Finanzregulierung und Rentenversicherung.Biden hat vor seiner Vereidigung vom Verlangen nach Einheit gesprochen und vom Wunsch, Republikaner mit ins Boot zu nehmen. Deren Abstimmungsverhalten beim Impeachment könnte für ihn etwas Befreiendes haben: Mit ihrem Freibrief für Trump (nur sieben ihrer 50 Senatoren waren für die Amtsenthebung) haben die Republikaner bestätigt, noch immer die Partei von Donald Trump zu sein. Die Demokraten hielten zusammen. Mancher von ihnen hatte beim Ansturm auf das Kapitol wohl Angst um sein Leben. Das reduziert das Verlangen, überparteiliche Rücksicht zu nehmen. Demokraten aus dem Zentrum wie der Mehrheitsführer im Senat, Charles Schumer aus New York, zeigen sich kompromissbereit: Er möchte bei den nächsten Vorwahlen offenbar nicht gegen Alexandria Ocasio-Cortez antreten müssen, die – so wird spekuliert – vielleicht Senatorin werden will.Joe Biden ist erst ein paar Wochen im Amt. Im Wahlkampf hatte er sich vom Wunsch, die alte Welt wiederherzustellen, zu der Einsicht durchgerungen, dass eine solche Rückkehr nicht genügt angesichts der mit Corona zutage getretenen Ungleichheiten. Biden sah sich als Vertreter einer politische Mitte, die mittlerweile bei der Demokratischen Partei auffallend nach links gerückt ist. Das fortschrittliche und bunte Amerika hat Grund zur Hoffnung und Chancen. Gegen die Rechten gewinnt man nur, wenn die Regierung fühlbar funktioniert.
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