Eigentlich nichts Neues: Wenn das Verlangen nach einem menschenwürdigen Leben ohne Angst und Folter kollidiert mit den vermeintlichen Interessen des Sicherheitsstaates USA geraten die Menschenrechte ins Hintertreffen. Aus realpolitischen Gründen, heißt es in der Regel. Wozu das führt, zeigt sich gegenwärtig besonders krass beim Taktieren der US-Regierung gegenüber den Volksaufständen in den arabischen Ländern. Trotz aller Rhetorik von Demokratie und Selbstbestimmung setzt man letztendlich auf alterprobte Machtstrukturen und fremdbestimmte Stabilität. Barack Obama macht das nicht viel anders als sein Amtsvorgänger.
Wie zu hören ist, fliegt George W. Bush Mitte Februar nicht wie geplant nach Genf, um dort einen Vortrag zu halten. Es erwar
. Es erwartet ihn in der Schweiz aber eine Anzeige des Center for Constitutional Rights: Der Ex-Präsident habe das Foltern autorisiert, klagt das Zentrum. Auch Gerichte im Ausland müssten sich damit befassen. Amnesty International (AI) forderte die Schweizer Bundesanwaltschaft gleichfalls zu Ermittlungen auf. Folglich bleibt Bush in Texas. Handschellen hätte man ihm in Genf sicher nicht angelegt, aber peinlich wäre eine solche Anklage doch. Und das Gespenst vom Augusto Pinochet geistert umher: Der chilenische Ex-Diktator war im Herbst 1998 wegen eines spanischen Auslieferungsersuchens in Großbritannien fest genommen worden. Zwei Jahre musste er in London unter Hausarrest verbringen.Für die politischen und intellektuellen Eliten in den Vereinigten Staaten ist es unvorstellbar, dass ein US-Präsident wegen Folterns vor einen internationalen oder ausländischen Gerichtshof kommt. Auch wenn George Bush in seiner Autobiografie bekannte, er habe das Waterboarding befohlen. Der staatstreue Barack Obama hat sie bisher alle in Schutz genommen, die Folterknechte der CIA, des Militärs, der Sicherheitsfirmen und deren Befehlsgeber. Auch bei Ägypten sind Obama wie auch viele europäische Politiker bereit, ihren Vasallen zu schützen. Egal, ob Mubarak Tausende Menschen foltern und misshandeln ließ.Wisner redet Klartext Genau genommen ist das irgendwie konsequent: Hatte man diesen Potentaten doch jahrzehntelang hofiert. „Präsident Mubarak hat seinem Land 60 Jahre gedient und steht jetzt vor der Aufgabe, Ägypten in die Zukunft zu führen“, sagte Frank Wisner, Obamas Sondergesandter für Ägypten, am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Diese Offenheit des undiplomatischen Diplomaten passte seinen Vorgesetzten nichts ins PR-Konzept. Die Person Wisner hat freilich Symbolcharakter: Der Ex-US-Botschafter in Kairo ist gegenwärtig für die Beraterfirma Patton Boggs tätig, die ihrer Webseite zufolge seit 20 Jahren für die ägyptische Regierung arbeitet, auch für das Militär und „führende ägyptische Unternehmerfamilien und deren Konzerne“.Mubaraks Regime war gut für amerikanische Interessen. Auch wenn das US-Außenministerium in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht vermerkte, „dass ägyptische Sicherheitskräfte unnötige tödliche Gewalt“ einsetzen und Häftlinge „foltern und misshandeln, in den meisten Fällen, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden“. In der US-Elite gibt es zur Ägypten-Frage und zum Umgang mit den Aufständischen in anderen arabischen Ländern kaum Meinungsverschiedenheiten, abgesehen von Streitigkeiten darüber, ob man nun eine künftige Regierungsbeteiligung der Muslim-Bruderschaften „tolerieren“ wolle oder nicht.James Baker jedenfalls, einst Außenminister von George Bush senior, gab Obama gute Noten. Der Präsident müsse in einer schwierigen Lage „balancieren“, erläuterte auch der langjährige Diplomat Nicholas Burns in Foreign Policy. Einerseits müssten die Vereinigten Staaten ihrem Anspruch gemäß „auf der ganzen Welt für Freiheit eintreten“. Andererseits stehe dieser Drang nach Freiheit möglicherweise im Widerspruch oder werde im Widerspruch zu US-Sicherheitsinteressen stehen, das heißt, dem „fortgesetzten ägyptischen Frieden mit Israel und Kairos Hilfe gegen al Qaida, die Hisbollah und Iran in den kommenden Jahren“. Irgendwann einmal werde Obama vielleicht wählen müssen, schrieb Burns.Suleiman legt selbst Hand anKontrollierbar sind die Ereignisse in Ägypten nicht, aber der US-Präsident hat anscheinend schon gewählt. Als Garanten eines „geordneten Übergangs“ werden nun das von den USA ausgerüstete Militär und Vizepräsident Omar Suleiman gehandelt, der als Geheimdienstchef schon lange zu Mubaraks engen Vertrauten zählt und in Washington als verlässlicher Alliierter gilt. Der, wenn es sein muss, sich auch mal die Hände blutig macht für die CIA. Wie die Journalistin Jane Meyer in ihrem Dossier The Dark Side über die Verschleppung Terrorverdächtiger in Folterländer dokumentierte, sei Suleiman der „Kontaktmann“ für die CIA in Ägypten gewesen, wenn man Verdächtigte dorthin zum „Verhör“ schickte. Im Magazin New Yorker zitiert Jane Meyer den früheren US-Botschafter in Kairo, Edwin Walker: Suleiman sei „nicht zimperlich gewesen“. Und der in Ägypten gebürtige australische Bürger Mamdouh Habib schreibt in seinen Erinnerungen, er sei nach seiner Festnahme 2001 in Pakistan nach Ägypten verschleppt und dort als „Terrorverdächtiger“ von Suleiman selbst gefoltert worden.Das erwähnte Beispiel Pinochet erklärt vielleicht auch, weshalb sich der Diktator Mubarak so an seine Präsidentschaft klammert. Vielleicht wird die Bundesrepublik Deutschland den zeitweiligen Gastgeber spielen dürfen, wenn Mubarak zur ärztlichen Behandlung nach Baden-Baden kommt, wie spekuliert wird. In den USA wird der rote Teppich wohl nicht ausgerollt. Zu schlecht sind die Erinnerungen an die Konsequenzen der Entscheidung von Präsident Jimmy Carter aus dem Jahr 1979, den gestürzten Schah aus dem Iran ein paar Wochen lang in einem US-Krankenhaus behandeln zu lassen. In Teheran wurde die US-Botschaft gestürmt, so dass Mohammad Reza Pahlavi nach Ägypten weiterreisen musste.Präsident Barack Obama mutmaßte am 6. Februar, Ägypten werde nie mehr so sein wie vor den Protesten. Und selbst wenn die US-Hinhaltestrategie mit Suleiman funktionieren sollte: Das gleiche gilt für die Supermacht USA.